Goodbye, USA? Amerikas Rolle in der Welt

Hat Trump das amerikanische Jahrhundert beendet? Kurz gesagt: Ja und Nein

von Schwere Imagekrise - Goodbye, USA? Amerikas Rolle in der Welt © Bild: Nicholas Kamm / AFP

Amerika zuerst, Abschottung und offener Nationalismus - um die internationalen Angelegenheiten der USA scheint es aus Sicht ihrer Partner nicht gut bestellt zu sein. Der Rückzug aus dem Klimaabkommen von Paris. Die Abwertung internationaler Institutionen. Abschied vom transpazifischen Handelsabkommen TPP, der Chinas Rolle in Asien nochmals enorm aufwertet. Goodbye, USA?

Nein. Auch unter Präsident Donald Trump steht dem das schiere Gewicht der letzten Supermacht der Welt gegenüber. Politisch, militärisch, wirtschaftlich, kulturell. Ebenso wie Jahrzehnte der Diplomatie, weltweiter Einfluss und strategische Partnerschaften.

Trump will Amerikas Macht sicher nicht beenden

Dennoch: Was auf Trumps Betreiben geschehe, habe mit reinem Realismus nichts mehr zu tun, meint die "New York Times". "Es ist vielmehr eine radikale Abkehr von der kooperativen und regelbasierten Vision, die Amerika und seine Alliierten seit dem Zweiten Weltkrieg angetrieben hat." Früher habe die Welt auf Amerika geblickt und gewartet, dass es Ton und Agenda setze. Unter dem Strich sei amerikanische Führung gut gewesen für die globale Sicherheit.

Trump will Amerikas Macht sicher nicht beenden, aber von Tag eins an redete er immer wieder dem Rückzug der USA das Wort. Abhängigkeiten beschnitten die Souveränität, so sieht er das. Aus Angelegenheiten anderer Staaten will er die USA heraushalten, so gut es geht. Es sei denn, es wäre zum eigenen Nutzen.

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Vor diesem Hintergrund fragt "Foreign Affairs": "Kann die liberale Ordnung überleben?". Die Antwort ist gemischt, erst recht nach der Warschauer Rede, in der "America-First"-Trump sich voll hinter die NATO stellte und unversehens als kämpferischer Lordsiegelbewahrer der westlichen Zivilisation auftrat. Aber wie auch seinem Jerusalemer Frieden-für-Nahost-sofort-Auftritt folgte zunächst einmal: nichts.

In Washington verweisen Think Tanks wie CSIS, die Carnegie Stiftung oder Brookings darauf, dass die USA über Jahrzehnte Institutionen, Regeln und Normen aufgebaut haben, die anderen Ländern Vorbild waren, ihre Differenzen nicht-kriegerisch auszuräumen: mit Abkommen, Institutionen oder dem Einstehen für Menschenrechte und Demokratie.

»Wir oszillieren immer zwischen Triumphalismus und Abstiegsphobien«

Kritiker sagen, all dies, womit Amerika seine Ära geprägt habe, werde nun von Trumps Arroganz, seinem geschichtlichem Desinteresse und politischen Unvermögen im Kern bedroht. Das "New York Magazine" sieht bereits ein post-amerikanisches Zeitalter angebrochen: "Länder, die wir für gewöhnlich als Junior-Partner denken, schicken sich an, das Vakuum zu füllen, das wir hinterlassen."

Grober Unfug, sagt Joseph Nye, altgedienter Spitzendiplomat, Autor und Experte für internationale Politik. "Wir oszillieren immer zwischen Triumphalismus und Abstiegsphobien. Mit der Realität hat das nichts zu tun." Dass China, Europa, Russland oder Indien die zentrale Stellung der USA bedrohten, sei sehr unwahrscheinlich, schreibt Nye. "Amerika hat gewiss viele Probleme. Aber es wird wahrscheinlich schon wegen seiner Verwobenheit und seiner zahllosen Allianzen über Jahrzehnte mächtiger bleiben als jeder einzelne andere Staat."

Es sei dahingestellt, ob das auch trotz der "Easternization" gilt, wie der Titel des viel beachteten Buches von Gideon Rachman lautet, des alles überlagernden Trends eines unaufhaltsamen Aufstiegs Asiens.

Für Nye ist das Hauptproblem drohender Stillstand der Weltpolitik. Eine so hohe Komplexität, dass niemand etwas alleine geregelt bekomme. Deshalb müsse sich Washington entscheiden, was es will. Nur - das könnte Teil des Problems sein. Trumps Botschaften sind wechsel- und oft rätselhaft, manchmal kriegerisch und nur in ihrer Widersprüchlichkeit konsistent. Der ehemalige New Yorker Reality-TV-Star glaubt nicht an so etwas wie eine "Weltgemeinschaft".

"Krisenmanagement per Twitter ist vollkommen unangemessen"

Die letzten, die in seiner Regierung dieser Idee anhängen, werden als Globalisten verspottet, aber es gibt sie. Im Kabinett, seinem Stab, Ministerien und rund um die Welt. Auch sie sind von Trumps Politik via Twitter erschüttert und fürchten, die Supermacht werde auch den nächsten Konflikt mit 160 Zeichen beginnen.

"Krisenmanagement per Twitter ist vollkommen unangemessen", urteilt der Think Tank "Soufan Group". Nordkorea, Russland, Europa, Nahost, Iran, Syrien, südchinesisches Meer: Die Vereinigten Staaten seien unter einer chaotischen und unbeständigen Regierung überfällig für eine ernsthafte Krise - und darauf gänzlich unvorbereitet. "Foreign Affairs" entwickelt beängstigende Szenarien, wie Trump in einen Krieg schlittern könnte, begünstigt durch Pech und Fehler.

Der Begriff "amerikanisches Jahrhundert" stammt aus dem Jahr 1941, "Time"-Gründer und -Verleger Henry Luce prägte ihn. Er wollte die US-Regierung vom Eintritt in den Zweiten Weltkrieg überzeugen, statt eines beinharten Isolationismus solle sie ihren moralischen Einfluss geltend machen. In der Folge stand der Begriff für eine von den USA geprägte Ära, aber nicht für einen exakten Zeitraum von 100 Jahren.

Image- und Identitätskrise

Luce definierte amerikanische Ideale wie die Wertschätzung der Freiheit, des Rechts und der Religionen, Chancengleichheit für alle, ein Bekenntnis zur Wahrheit und zur Zusammenarbeit. All dies sind Ideale, die heute kaum jemand mehr mit Trump verbindet. ""Das amerikanische Jahrhundert" war für viele ein stolzer Begriff. Er stand nicht nur für Amerikas Macht, sondern auch für seine Werte", schreibt der Diplomat Richard Stengel im "Atlantic". Von all dem aber hätten sich die USA unter Trump verabschiedet.

Im Juni attestierte eine Pew-Studie in 37 Ländern dem weltweiten Ansehen der USA unter Trump einen scharfen Einbruch. Hatten unter Barack Obama noch 64 Prozent Vertrauen in die US-Politik, sind es für Trump nurmehr 22 Prozent. Besonders steil sackten die Werte in Europa und Asien ab. Höhere Werte erhielt Trump in Russland und in Israel.

Gleichwohl bleiben die USA eine gigantische Macht, nicht nur politisch und ökonomisch. Gleiches gilt für die Popkultur, sie sind führend in vielen Wissenschaften. Amerikas Schriftsteller haben Weltruf, seine Sportler gehören zu den besten. Gesellschaftlich ist das Land kälter geworden. International ist es eine Art Platzhirsch in schwerer Image- und Identitätskrise. Aber: Nicht nur Historiker verweisen auf die langen Linien der Politik. Trump möge zwar viel kaputtmachen, sei aber nicht ewig Präsident. Die Welt habe schon anderes überstanden - auch wenn nicht nur Amerika etwas wie Trump noch nie erlebt habe, geschweige denn in "seinem" Jahrhundert.

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