Bablers Potenzial

Auch mit linken Positionen ist in Österreich sehr viel zu holen. Solange es um verteilungspolitische Fragen geht. Das macht den SPÖ-Chef auch für FPÖ und ÖVP gefährlich.

von Politische Analyse - Bablers Potenzial © Bild: Privat

Analyse

Man kann ja nur von Potenzialen reden und nicht davon, was kommt. Zu oft schon sind Politiker hoch gehandelt worden und dann früher oder später gescheitert. Die Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) beispielsweise. Insofern muss man auch bei SPÖ-Chef Andreas Babler vorsichtig sein.

Andererseits sollte man ihn nicht gleich abschreiben. Klar: Was will er schon als Linker in einem Land, in dem es eine stabile Mehrheit rechts der Mitte gibt? Da wirkt er verloren. Allein: Die Verhältnisse sind unberechenbar geworden.

Erstens: In Umfragen liegt zwar die FPÖ mit Herbert Kickl vorne, dessen Persönlichkeitswerte sind aber so schlecht, dass man vom Stärksten unter Schwachen reden kann. Da ist für einen Neuen einiges drin. Zweitens: Es gibt eine Anti-Establishment-Bewegung, die nicht nur Kickl nützt, sondern auch Phänomene wie Dominik Wlazny (Bierpartei) und Kay-Michael Dankl (KPÖ) erklärt. In den Augen eines Teils der Wählerschaft sind sie umgänglich und glaubwürdig, Gutes zu wollen. Drittens: Babler ist ebenfalls ein solches Phänomen. Bei ihm kommt dazu, dass er innerhalb der SPÖ eine Sehnsucht nach einer Rückbesinnung auf sozialdemokratische Akzente geweckt hat. Viertens: Das ist für seine Anhänger so wichtig, dass sie über seine wirren Aussagen zur EU etwa hinwegsehen.

Fünftens: Der 50-Jährige vertritt überwiegend mehrheitsfähige Positionen auch über die SPÖ hinaus. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup finden zwei Drittel der Österreicher "Sozialismus" als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung positiv. Bei "Kapitalismus" handelt es sich nur um ein Drittel. 73 Prozent sind für eine "Reichensteuer", fast so viele für eine höhere "Profitsteuer" für Unternehmen, 57 Prozent für eine massive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Sind das Wahlkampfthemen, kann Babler viel erreichen.

Die Mitbewerber wissen das. Aus guten Gründen sind die Neos gleich auf Konfrontationskurs zu ihm gegangen. Für sie ist er besonders gefährlich, leben sie doch nicht so sehr von wirtschaftsliberalen als von Stimmungswählern, die im vergangenen Herbst zum Beispiel Dominik Wlazny als Präsidentschaftskandidat unterstützt haben. Von den Grünen nicht zu reden. Blinkt die SPÖ links, müssen sie immer aufpassen, nicht verdrängt zu werden.

Für die FPÖ ist Babler mit seinen verteilungspolitischen Ansagen eine Herausforderung. Diese entsprechen offenbar einer Masse. Kickl hat nur dann eine Masse hinter sich, wenn es um Asyl und Migration geht. Da tut sich Babler schwer. "Sichere Fluchtwege nach Europa" wollen laut der Gallup-Erhebung lediglich 27 Prozent. Die ÖVP wiederum sitzt zwischen den Stühlen. Sie inszeniert sich als Kraft der Mitte, verfolgt jedoch populistische Ansätze. Da wird es eng für sie, falls Babler mit seinen Themen durchkommt.

Zahl

Migration ist vor allem europäisch

So viel Migration wie im vergangenen Jahr hat es in der jüngeren Geschichte Österreichs noch nie gegeben. Fast 250.000 ausländische Staatsangehörige sind zu-, rund 100.000 abgewandert. Das ist Daten der Statistik Austria zu entnehmen, die auf Wohnsitzan- und -abmeldungen beruhen. Schaut man genauer hin, entdeckt man Dinge, die man so vielleicht nicht erwartet hätte.

Staatsangehörige aus klassischen Herkunftsländern von Geflüchteten sind zahlreich, aber in der Minderheit. Am ehesten handelte es sich 2022 um Menschen aus Syrien, die noch immer sehr gute Aussichten haben, bleiben zu dürfen. In ihrem Fall werden nach wie vor zwei Drittel der Asylanträge angenommen. Insgesamt sind mehr als 15.000 zu- und knapp 1.000 abgewandert.

In der politischen Auseinandersetzung wird gerne auch ein Fokus auf Afrika gelegt. Zur Migration tragen Bürgerinnen und Bürger von dort freilich nur zu einem geringen Teil bei. Im vergangenen Jahr haben sich in Österreich insgesamt 5.666 niedergelassen. Fast halb so viele haben die Republik verlassen.

Was bei Rufen nach einer "Festung Österreich" sowie "Null-Zuwanderung" zu bedenken ist, ist im Übrigen dies: Gut ein Viertel aller zugewanderten Personen waren 2022 Geflüchtete aus der Ukraine. Meist handelte es sich dabei um Frauen mit Kindern. In Summe waren es knapp 80.000. Auffallend: Rund 11.000 sind bis Dezember wieder abgewandert.

Auch 2022 stark war vor allem aber das, was in der Europäischen Union als Binnenmobilität bezeichnet wird: Nach Österreich kamen 100.000 Angehörige anderer EU-Mitgliedsländer wie Deutschland, Rumänien und Ungarn. Ein erheblicher Teil von ihnen bleibt eine Zeit lang, um zu arbeiten oder zu studieren und dann weiterzuziehen. Es ist gelebte Freizügigkeit, von der auch Österreicher profitieren, die sich in einem der 26 übrigen Mitgliedsländer niederlassen wollen.

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Bericht

40 Prozent Umsatzsteuer

Der Finanzminister kann zufrieden sein: Bis Ende April hat die Umsatzsteuer heuer bereits 12,5 Milliarden Euro gebracht. Das war um ein Siebentel mehr als im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres. Natürlich: Es hängt auch damit zusammen, dass das Volumen damals infolge der Lockdowns in der Coronapandemie sehr bescheiden war. Vor allem aber hat es mit der nunmehrigen Teuerung zu tun: Wenn die Preise steigen, wird auch mehr Umsatzsteuer bezahlt.

Und zwar so viel, dass sie zurzeit 40 Prozent des gesamten Steueraufkommens ausmacht. Bis Dezember dürfte der Anteil zwar deutlich sinken, es wird sich aber längerfristig und mehr denn je um die mit Abstand wichtigste Steuer handeln.

Das ist nicht unproblematisch. Man sollte die Entwicklung jedenfalls im Auge behalten. Grund: Die Umsatzsteuer belastet eher Personen mit niedrigen Einkommen. Bei ihnen fällt sie am stärksten ins Gewicht, weil bei ihnen fast alles in den Konsum geht.

Umgekehrt ist das jene Gruppe, die weniger von der Abschaffung der kalten Progression bei der Lohnsteuer profitiert. Davon haben besser Verdienende mehr.

Das erhöht den Druck, eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, mit wie viel Geld der Staat künftig auskommen und wie sich die Finanzierung aufteilen soll. Realistischerweise wird es freilich erst nach der Nationalratswahl im Rahmen von Regierungsverhandlungen dazu kommen. Bis dahin wird es allenfalls einen Abtausch bekannter Überschriften geben wie "Sparen im System" und "Einführung einer Reichensteuer".

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at