Sozialversicherung:
Gut versicherte Klientel

Für die Regierung ist der Umbau der Sozialversicherung ein Jahrhundertprojekt, für Kritiker ein Reförmchen, das weiter nur einige wenige bevorzugt.

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Politik - Sozialversicherung:
Gut versicherte Klientel

Ein Beamtenjob hat sicher auch Nachteile. Hat man sich dennoch für diesen Berufsweg entschieden, gibt es aber einiges an Pluspunkten. So kann sich ein Pragmatisierter auf eine umfassende Job- und Arbeitsplatzsicherheit sowie einen vergleichsweise hohen Nettobezug (immerhin fällt der Arbeitslosenversicherungsbeitrag weg) und eine höhere Pension (als Bemessungsgrundlage werden 80 Prozent des Letztgehalts herangezogen) verlassen. Und als Tüpfelchen auf dem i gibt es eine Sozialversicherung mit ganz besonderen Vorzügen. Und das bleibt auch so.

Denn wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) stolz den geplanten Umbau der Sozialversicherungen – „ein Jahrhundertprojekt, eines der größten Reformprojekte in der Geschichte Österreichs“ – präsentieren, ist damit nicht die Beamtenversicherungsanstalt gemeint – auch wenn sie theoretisch ein Teil davon ist. Diese bekommt bloß einen neuen Namen – sowie die Eisenbahner und Bergbau-Versicherte als Kunden dazu – und wird künftig Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst genannt. Die Zahlungen für die Versicherten wie hohe Zuschüsse bei Zahnbehandlungen, Brillenkauf und speziellen Untersuchungen bleiben. Manche Landesstellen bringen ihre Leute zudem bei einem Spitalsaufenthalt ausschließlich in der Sonderklasse unter. Alles Leistungen, die sich selbst bei einem vor zwei Jahren von 20 auf zehn Prozent gesenkten Selbstbehalt allemal auszahlen. „Es wurde bei dieser Reform auf die 15 Krankenfürsorgeanstalten der Beamten vergessen“, kritisiert daher Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker im „Report“.

Drei in einem

Wenig Neuigkeiten dürfte es auch für die Pensionsversicherung und für Selbstständige geben. Letztere werden mit den Bauern und den Notaren in einer „Sozialversicherung für Selbstständige“ zusammengefasst und zahlen weiterhin Selbstbehalte für die gleichen Leistungen wie bisher. „Der groß angekündigte Umbau wird damit zum Reförmchen“, sagt ein Funktionär eines großen Sozialversicherungsträgers, „denn bei diesen Kassen ändert sich schon einmal gar nichts.“

Wer sich freilich auf Neues einstellen muss, sind die unselbstständig Tätigen. Ihre neun Gebietskrankenkassen und die fünf Betriebskrankenkassen sollen in einer „Österreichischen Gesundheitskasse“ zusammengefasst werden. Diese soll dem Vernehmen nach in Linz angesiedelt sein und die Budget- und Personalhoheit über alle Landesstellen haben. Bis 2023 soll so vor allem über Anpassungen im Einkauf, bei der IT und im Backoffice kumuliert eine Milliarde Euro hereinkommen, ­rechnet Wirtschaftsministerin Margarete ­Schramböck vor. Auch diese Zahl sieht Rechnungshof-Chefin Kraker skeptisch: „Solche Kostenschätzungen sind oft Wunschdenken.“ Sie hält 500 Millionen Euro Sparpotenzial für realistisch.

Einer gegen vier

Ebenfalls zum Handkuss dürfte die Mehrzahl der 2.000 Funktionäre kommen. Ihre Anzahl soll um 80 Prozent reduziert werden, sagt Strache. Dies betrifft vor allem die Arbeitnehmerseite. Sie ist aufgrund der hohen Summe an Unselbstständigen (die neue Großversicherung wird sieben Millionen Menschen inklusive mitversicherter Kinder und Partner sowie Pensionisten vertreten) in der Selbstverwaltung stark repräsentiert. In Zukunft schwebt der Regierung statt dem aktuellen Eins-zu-vier-Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aber Eins-zu-eins vor. „Je größer der Einfluss der Arbeitgeber ist, desto eher ist mit Leistungskürzungen zu rechnen“, sagt der leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz. Tatsächlich dürfte diese Maßnahme keine großen Einsparungen bringen, kolportiert werden 3,6 Millionen Euro pro Jahr. Die Summe erklärt sich auch durch die teilweise geringen Funktionsabgeltungen, wie die GPA-djp-Bundesgeschäftsführerin und künftige Chefin der Teilgewerkschaft, Barbara Teiber, twittert: „Ich bin Funktionärin (Vorstandsmitglied der WGKK) – 36 Euro im Monat!“

Zumindest die Mitarbeiter der Krankenkassen können sich aber darauf ver­lassen, dass ihre Jobs sicher sind, versucht ÖVP-Klubobmann August Wöginger die aufgeregten Gemüter zu beruhigen. Allerdings gehe in den kommenden zehn Jahren „ein Drittel davon in Pension“. Diese Stellen werden nicht nachbesetzt – was zweifellos zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung der Übriggebliebenen führen wird.

Unklar ist indes, was die Versicherten in Zukunft genau erwarten wird. Finanz­minister Hartwig Löger und seine Ministerkollegen hatten in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass die Reform nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden soll. Ganz im Gegenteil soll laut Kurz die eingesparte Milliarde Euro in die Leistungen für die Patienten investiert werden. Konkret schwebt der Koalition eine Harmonisierung der Auszahlungen vor. „Es wird österreichweit die gleichen Leistungen für die gleichen Beiträge geben“, sagt Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein. Derzeit gebe es große Unterschiede. So werde in einem Bundesland eine Herz-CT bezahlt, in einem anderen nicht. Auch Psychotherapiestunden seien der einen Krankenkasse 21 Euro, einer anderen jedoch 50 Euro wert.

Eines für alles

Offen bleibt freilich, wie die Harmonisierung vor sich gehen wird. „Es ist kaum davon auszugehen, dass die Krankenkassen in Zukunft großzügiger werden“, sagt ein Gesundheitsexperte. „Ich gehe sogar davon aus, dass die neue Krankenkasse künftig nur mehr auf einem sehr niedrigen Niveau zahlen wird.“

Einen Vorteil hat die Reform jedoch. Die seit Jahren kritisierte Mehrfachversicherung soll endlich fallen. Wer mehrere Jobs in verschiedenen Bundesländern ausübt, hat künftig nur noch eine Krankenkasse. Und Unselbstständige, die auch selbstständig arbeiten, sind ebenfalls nur mehr einmal versichert. „Diese Änderung bringt Selbstständigen im Nebenjob tatsächlich eine Ersparnis“, so ein Funktionär.

Was viele Beobachter derzeit allerdings verwundert, ist, dass die Reform der Sozialversicherung über die wenigen bekannten Punkte nicht hinausgeht. Plakativ werden die bereits am Dienstag präsentierten Zahlen und Fakten von allen Regierungspolitikern immer wieder wiederholt, darüber hinausgehende Informationen sind kaum zu bekommen. „Diese Punktation ist im Prinzip das Gleiche, was wir bereits ins Regierungsprogramm geschrieben haben“, sagt ein ÖVP-Politiker. Überhaupt dürfte sehr viel bereits im Vorjahr bei den Regierungsverhandlungen vereinbart worden sein. Aus dem FPÖ-Umfeld hört man etwa auch, dass die kolportierten harten Verhandlungen über Pfingsten bereits vor dem langen Wochenende so gut wie abgeschlossen gewesen seien.

Zumindest der weitere Zeitplan steht außer Frage, wenn es nach Hartinger-Klein geht. So soll das entsprechende Gesetz schon im Juli in Begutachtung gehen, bis Ende September will man alle Stellungnahmen eingearbeitet haben. Im ersten Quartal 2019 soll es dann bereits in Kraft treten, „natürlich mit Übergangsbestimmungen“, wie die Ministerin betont.

Einer bleibt übrig

Für die Unfallversicherung AUVA heißt es indes weiter zittern. Die Koalition macht ihren Weiterbestand von der „Erfüllung der Vorgaben“ abhängig und hat dem Sozialversicherungsträger bis zum 31. August Zeit gegeben, „um entsprechende Beschlüsse zu fassen“, so Hartinger-Klein. Die 500 Millionen Euro Einsparung seien wieder vom Tisch, erzählt ein Insider. Mittlerweile würde man sich auch mit 400 Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren zufriedengeben. Um das zu erreichen, sollen allerdings alle Landesstellen geschlossen und ein Drittel des Personals abgebaut werden. Schafft man es außerdem, die steirische Landesregierung davon zu überzeugen, das LKH Bruck/Mur und das UKH Kalwang zusammenzulegen, bleibt auch Vizekanzler Strache seinem Versprechen treu, dass keine Unfallkrankenhäuser geschlossen werden.

Eine solche Zusammenlegung ginge in die Richtung, die sich Rechnungshof-Präsidentin Kraker vorstellt: „Der Mut zur Reform ist anzuerkennen.“ Noch schöner wäre es freilich, wenn die Regierung auch eine Reform der Spitäler angehe, „denn dort haben wir eine überdurchschnittliche Bettendichte“. Und eine Reduktion dieser Betten bringt wirklich Millionen ein.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe (Nr. 21/2018) erschienen.