Kern stellt Kurz
die Rute ins Fenster

Bundeskanzler kritisiert ÖVP-Chef und erklärt freies Spiel der Kräfte im Parlament

Bundeskanzler Christian Kern im Nationalrat überraschend eine Erklärung abgegeben – und seine Drohung mit dem freien Spiel der Kräfte im Parlament in die Realität umgesetzt. Grund: Der neue Parteichef der ÖVP, Sebastian Kurz, will nicht selbst Vizekanzler werden. "Jetzt beginnt die Phase des gelebten Parlamentarismus", sagte Kern.

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Die Position des Vizekanzlers sei jetzt nachrangig, es gehe darum politische Entscheidungen ins Parlament zu verlagern und auf Grundlage der Regierungsvorlage eine „Reihe von Punkten“ abzuarbeiten. Gleichwohl akzeptierte der Bundeskanzler Justizminister Brandstetter in der Rolle des Vizekanzlers.

»Wenn man sich der Verantwortung entzieht, ist es eine klare Ansage«

Die politische Gestaltung bis zur Neuwahl im Herbst wird mittels freiem Spiel der Kräfte im Parlament passieren. Der Bundesobmann der ÖVP müsse auch als Vizekanzler die Verantwortung übernehmen, forderte Kanzler Christian Kern . "Wenn man sich der Verantwortung entzieht, ist es eine klare Ansage." Es sei dann "irrelevant", wer Vizekanzler werde, denn "dann wird sich der politische Entscheidungsfindungsprozess ins Parlament verlagern", und zwar "unter Einbeziehung der Opposition".

Wenn nicht beide Parteichefs die Verantwortung für die Umsetzung des Regierungsprogrammes übernehmen wollten, bitte er um Verständnis, dass sich die SPÖ schwer tue, das Angebot der ÖVP als belastbar anzusehen. Stattdessen vertraue er lieber auf die parlamentarische Arbeit.

Aktive Mehrheitssuche der SPÖ

Die SPÖ werde dabei Punkt für Punkt bereits vereinbarte Regierungsvorlagen einbringen und Mehrheiten suchen. Bei seinem Gespräch mit den Oppositionschefs will Kern freilich heute auch erfragen, welche Initiativen die Opposition selbst noch umsetzen wolle. Dabei dürfe es aber keine übermäßigen Belastungen des Staatshaushalts geben.

Zusätzlich soll abgeklärt werden, wann genau der Wahltermin sein soll. Zudem pocht Kern auf die Fortsetzung des Eurofighter-U-Ausschusses.

Vom Kanzler genannt wurden jene drei Themenfelder, die der SPÖ nun besonders wichtig seien. Das ist zunächst die Beschäftigungsinitiative 20.000, der Kampf gegen die Steuervermeidung von Großkonzernen und ein einheitliches Wirtschaftsrecht.

"Wilde" Abgeordnete entscheidend

Bei einem freien Spiel der Kräfte - also ohne koordiniertem Stimmverhalten von SPÖ und ÖVP - käme den vier "wilden" Abgeordneten im Nationalrat eine große Rolle zu. Bei mehreren möglichen Alternativ-Mehrheiten sind diese vier Mandatare ohne Klubzugehörigkeit das Zünglein an der Waage. Außer den Noch-Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP schafft nämlich keine Zweier-Konstellation alleine eine Mehrheit.

Die FPÖ ist mit 38 Abgeordneten - nach SPÖ mit 52 und ÖVP mit 51 - die drittstärkste Fraktion. Aber selbst SPÖ und FPÖ bzw. ÖVP und FPÖ schaffen nur 90 bzw. 89 Stimmen. Beide Konstellationen bräuchten für eine einfache Mehrheit (92 Stimmen) noch zwei bzw. drei "Wilde" - oder eine dritte Fraktion.

Als dritte Fraktion käme das Team Stronach (sechs Mandatare) oder die NEOS (acht Mandatare) infrage - oder aber auch die Grünen (24 Mandatare). Dass Grüne und FPÖ gemeinsam mit einer der Regierungsparteien stimmen, ist politisch eher unwahrscheinlich, halten sich doch die inhaltlichen Überschneidungen in Grenzen.

Nicht genug Stimmen für eine Mehrheit haben SPÖ, Grüne und NEOS sowie ÖVP, Grüne und NEOS. Selbst wenn sich das Team Stronach einer dieser beiden Konstellation anschließt, bräuchte es noch "wilde" Abgeordnete, was diese Varianten eher unrealistisch macht.

Nationalrat: Kurz will SPÖ weiter nicht überstimmen

Der künftige ÖVP-Chef Sebastian Kurz hält offensichtlich nichts vom "freien Spiel der Kräfte" im Parlament, wie es nun Kanzler Christian Kern (SPÖ) anpeilt. In einem Statement im Nationalrat wiederholte der Außenminister, die SPÖ weiter nicht überstimmen und lieber das Regierungsabkommen abarbeiten zu wollen.

Ich hoffe, dass es uns gelingt, möglichst viele Punkte bis zum Wahltermin umzusetzen", erklärte Kurz. Er bitte darum, dem designierten Vizekanzler Wolfgang Brandstetter und der ÖVP eine Chance zu geben.

Kurz betonte, es sei sinnvoll, einen lebendigen Parlamentarismus zu haben. Die Monate bis zur Wahl sollten trotzdem geordnet ablaufen. Er halte nichts davon, Porzellan zu zerschlagen - und vielleicht werde es dann auch noch teuer, so Kurz mit Blick auf die Situation vor der Wahl 2008, wo beim freien Spiel der Kräfte zahlreiche kostenintensive Maßnahmen beschlossen wurden.

Freundlich äußerte sich der VP-Chef in Richtung Opposition. Dass sich diese so rasch auf einen Termin für die Wahl geeinigt habe, sei ein "Stärkezeichen". Jetzt müsse man es nur noch zusammenbringen, dass der Wahlkampf kurz, intensiv und fair verlaufe.