Filmdoku "Elternschule" wird
Fall für die Staatsanwaltschaft

Tobsuchtsanfälle, Trotzreaktionen und Tränen: Im aktuellen Kinofilm "Elternschule" zeigen die Mitarbeiter einer Kinder- und Jugendklinik in Gelsenkirchen, wie sie versuchen, auffällige Kinder auf einen guten Weg zu bringen. Doch die Methoden sind umstritten.

von Kindererziehung - Filmdoku "Elternschule" wird
Fall für die Staatsanwaltschaft © Bild: shutterstock

Sie spucken, schreien, beißen und werfen mit Stiften um sich, ein Kind streckt den Mittelfinger in die Kamera: Der Kinofilm "Elternschule" von Jörg Adolph und Ralf Bücheler dokumentiert die Behandlung verhaltensauffälliger Kinder in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen.

Wenn Kinder die Macht ergreifen

Dort führt der Psychologe Dietmar Langer durch sein selbst entwickeltes Therapieprogramm, bei dem ratlose und überforderte Eltern in mindestens drei Wochen lernen sollen, wie "gute Erziehung" geht – um ihre Kinder dauerhaft in den Griff zu bekommen.

Die Eltern der Kinder, die sich vom Filmteam begleiten ließen, stehen rund um die Uhr unter Druck, denn ihre Kinder schlafen nicht, essen nicht und bleiben nie allein. "Der ist ja der Boss", bringt es der Therapeut im Trailer auf den Punkt, denn die Kinder haben teilweise die Macht über ihre Eltern ergriffen.

Erschöpfte Eltern vertrauen auf Klinik

Der Film spielt in der Kinder- und Jugendklinik der westdeutschen Stadt Gelsenkirchen, Abteilung Pädiatrische Psychosomatik, wohin die erschöpften Eltern mit ihren Kindern kommen. Das Prozedere: Mindestens drei Wochen lang bleiben Eltern und Kinder in der Klinik und durchlaufen Schlaf-, Ess- und Verhaltenstrainings sowie Psychotherapie und Erziehungscoaching.

So wirkt der Film auf die Eltern

Im Film wirken die angewendeten Maßnahmen auf den Zuschauer teilweise aber verstörend: Man sieht, wie Kinder, die schreiend und protestierend auf dem Boden liegen, von ihren Eltern in einem Spielzimmer zurückgelassen werden. Andere Bilder zeigen Kinder in Gitterbettchen, die in große Räume geschoben werden, wo sie lernen sollen durchzuschlafen, indem sie die Nacht ohne die Eltern verbringen. Oder wie Kinder, die nicht essen, von Therapeuten mit hohem Kraftaufwand festgehalten und zum Essen gedrängt werden.

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Kindesmissbrauch und Misshandlung?

Viele Eltern und Experten zeigen sich besorgt. Auf Facebook brach schon vor Kinostart am 11. Oktober ein regelrechter "Shitstorm" aus: Nutzer forderten die Schließung der Klinik. Sie warfen dem Therapie-Team "pure Gewalt", "Kindesmissbrauch und Misshandlung" vor. Die Facebook-Seite des Films wurde mittlerweile geschlossen.

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft

Mit seinem Erscheinen im Oktober nehmen kontroverse Debatten über die in Gelsenkirchen angewandten Therapiemethoden Fahrt auf. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Essen gegen die gezeigte Kinder- und Jugendklinik. Es gehe um den Verdacht der Misshandlung Schutzbefohlener, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Essen am Dienstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Anlass sei die Anzeige eines Arztes gewesen.

Das sagen die Kritiker

Kritiker wie etwa der Kinderarzt und Buchautor Herbert Renz-Polster bemängeln, dass in der Einrichtung Kindern gewaltsam ein bestimmtes Verhalten aufgezwungen werde, sie etwa zum Essen gezwungen würden. Die Anzeige gegen die Klinik bezeichnete er als "mutig und richtig".

Auch nach Ansicht des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) enthält der Film zahlreiche Szenen, in denen Kinder psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind. "Die in den Film gezeigten Behandlungsmethoden können keinesfalls Vorbild für die Erziehung von Kindern in Deutschland sein", meinte Kindheits- und Familienforscherin sowie DKSB-Vizepräsidentin Sabine Andresen laut einer Mitteilung. "Diese Praktiken führen zu einer Verunsicherung von Eltern im Umgang mit ihren Kindern." Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers stellte fest: "Verhalten sich Eltern gegenüber ihren Kindern so wie das Klinikpersonal in dem Film, dann ist das rechtswidrig."

Wann die Haltetherapie zulässig ist

Die Klinische- und Gesundheitspsychologin Sabine Völkl-Kernstock von der medizinischen Universität Wien relativert: "Ich habe nur den Trailer gesehen und kenne den Film nicht. Die Haltetherapie ist nur dann zulässig, wenn jemand selbst oder fremdgefährdet ist." Grundsätzlich gehe es immer darum, Eltern andere Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit ihrem Kind zu vermitteln. "Alle Maßnahmen, die tatsächlich gewaltsam sind und nicht dazu dienen, das Kind zu schützen, sind abzulehnen", sagt sie. Aber wenn ein Kind schon abgemagert sei und kurz vor der künstlichen Ernährung stehe, mache es Sinn Eltern anzuleiten, damit sie neue Autorität bekommen. Es gehe immer um die Haltung.

»Unmündige Kindern in Extremsituationen zu zeigen ist bedenklich«

Das grundsätzliche Problem der Filmdoku liege ihrer Ansicht nach im Vorführen von Kindern und Fachleuten, das schlicht einen Markt bediene. "Unmündige Kindern zu zeigen, finde ich vom ethischen Gesichtspunkt her bedenklich", sagt Gesundheitspsychologin Sabine Völkl-Kernstock. Die Frage, ob es derartige Kliniken auch in Österreich gebe, verneint die Expertin. Die notwendige Elternarbeit finde aber auch hierzulande statt. So sei etwa die Kinderabteilung im Wiener Wilhelminenspital Anlaufstelle für Eltern mit Schreibabys.

Die Klinik steht zu ihren Methoden

Zurück nach Gelsenkirchen: Die Klinik hat die Vorwürfe zurückgewiesen. "Unsere Arbeit ist absolut gewaltfrei. Die klinischen Methoden entsprechen dem aktuellen Forschungsstand und den Standards der medizinischen Wissenschaft", schrieb Kurt-Andre Lion, ärztlicher Leiter der Abteilung, in einer vergangene Woche veröffentlichten Stellungnahme.

»Wir arbeiten wie auch andere psychosomatische Kliniken in Deutschland«

Das verhaltenstherapeutische Programm basiere auf den Empfehlungen und Vorgaben von anerkannten Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. "Wir arbeiten wie auch andere psychosomatische Kliniken in Deutschland." Eine Kliniksprecherin betonte, dass der Film auch sehr viel Zuspruch vom Publikum erfahren habe.

Film mit Vorbildwirkung?

Doch auch die Filmemacher rudern zurück. Dass sich Eltern die gezeigten Erziehungsmethoden zum Vorbild nehmen sollten, ohne sie kritisch zu betrachten, sei nicht ihre Absicht der gewesen. Das schreiben Sie zumindest in ihrem FAQ-Dokument auf Facebook: "Der Film ist kein 'Ratgeberfilm', sondern zeigt Menschen in einem therapeutischen Verfahren und mögliche Handlungsoptionen." Sie entkräften damit den Vorwurf, die Erziehungsmethode sei allgemeingültig – allerdings erst im Nachhinein.

Kommentare

Roland Mösl

Soll man herrschsüchtige Kinder vielleicht ohne Chance auf Besserung verkommen lassen? Die Zukunft als asozialer Sozialhilfeempfänger unabänderlich vorherbestimmt?

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