Peter Hanke: "Man kann Wien nicht langfristig auf null halten"

Der Wiener Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke warnt vor den Konsequenzen des Shutdown. Betriebe könnten diesen nur wenige Wochen überleben. Und er plädiert dafür, Kinder bald wieder in die Schule zu lassen

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Interview - Peter Hanke: "Man kann Wien nicht langfristig auf null halten" © Bild: Ricardo Herrgott News

News: Herr Stadtrat, die Stadt steht weitgehend still. Für welche Wirtschaftsbereiche ist die Situation besonders ernst?
Peter Hanke:
Ich möchte einen Schritt zurück machen: Es ist für uns Wienerinnen und Wiener schwierig, weil Grundrechte, die wir über Jahrzehnte gelebt haben, derzeit eingeschränkt sind. Das darf man nicht unterschätzen. Dazu kommt die wirtschaftliche Situation. In Wien haben wir über 95 Prozent Einpersonenunternehmen sowie Kleinund Mittelbetriebe. Es sind die Kleinen, die große Schwierigkeiten haben, egal ob im Handel oder in anderen Sektoren - vom neuen Selbstständigen über die Kreativen bis zu den Start-ups. Sie haben bei Schönwetterlage Geld investiert, in einem hervorragenden Jahr 2019, um nun eine abrupte Wende feststellen zu müssen. Diesen gilt nun seitens der Stadt die größte Aufmerksamkeit, dort wollen wir unsere Unterstützungsmaßnahmen positionieren.

Ab wann haben Sie selbst das Coronavirus am Radar gehabt? Als die Pandemie in China begonnen hat, war das Interesse ja nicht eben groß.
Meine erste Betroffenheit war Mitte Februar, nach den Semesterferien unserer Kinder, als in Italien erste Fälle aufgetaucht sind, das ja für viele von uns ein Urlaubsziel ist. Ende Februar war endgültig spürbar, dass es für das Virus keine Grenze gibt. Wir haben also kein österreichisches, sondern ein europäisches Thema und müssen gemeinsam Lösungen finden. Wir müssen Europa in und nach der Corona-Krise ein Stück weit neu denken. Wir müssen enger zusammenrücken, und auf Wirtschafts-und Gesundheitsfragen als Kontinent neue Antworten finden.

Etwa, in andere Kontinente ausgelagerte "Werkbänke" wieder zurückzuholen?
Wir sehen diese unglaubliche Abhängigkeit im Pharmabereich, wo in den letzten Jahrzehnten das Geld, die Deckungsbeiträge und der wirtschaftliche Erfolg im Mittelpunkt standen. Jetzt sehen wir, dass wir zwar vieles im Forschungsbereich richtig machen, wir haben in Wien im Life-Science-Bereich über 600 Unternehmen und zigtausend Forscher, aber wir haben die Produktion ein Stück weit vernachlässigt, sie ist zu weit weg gegangen. Wir schulden dem Wirtschaftsstandort, dass wir sie wieder zurückholen.

Man war regelrecht stolz darauf: die "Headquarters" in Europa und billigere Arbeitskräfte woanders.
Weil wir uns die Notsituation, die jetzt besteht, gar nicht vorstellen konnten. Daraus muss man klare Schlussfolgerungen ziehen. Wir sind als Gesundheitsmetropole anerkannt, aber da müssen wir nachbessern, da haben wir ein Investitionsprogramm zu liefern.

»Eine Metropole wie Wien kann man nicht langfristig auf null halten«

Waren die Maßnahmen, die die Bundesregierung gesetzt hat, mit den Ländern abgesprochen? Wie sieht Wien diese?
Die Landeshauptleute haben mit der Bundesregierung entschieden, dass dieser Schritt richtig ist. Daher ist es unsere Aufgabe, dass wir uns alle in den Dienst der Sache stellen. Wir tragen die Vorgaben und diesen Shutdown zu hundert Prozent mit. Ich glaube aber auch, dass es in Krisenzeiten notwendig ist, permanent eine Evaluierung vorzunehmen und nicht an Beschlossenem automatisch über Monate festzuhalten. Mit neuem Wissen muss man neue Entscheidungen treffen und dabei durchaus auch bestehende überdenken. Diese Offenheit muss man vom Krisenmanagement einfordern. Wir verlangen ja auch von jedem Bürger, dass er mit Hausverstand agiert.

Die Bundesregierung sagt, dass die Einschränkungen noch länger dauern können. Aus Ihren Worten höre ich heraus, dass Sie die Wirtschaft und Teile des öffentlichen Lebens schon früher hochfahren würden.
Eine Metropole wie Wien kann man nicht langfristig auf null halten. Aus sozialer Verantwortung, wenn ich an Familien in kleinen Wohnungen und den Bewegungsdrang unserer Kinder denke. Parkanlagen etwa sind öffentliche Räume, die eine Stadt unbedingt braucht. Wir sind nicht am weiten Land, wir haben engere Verhältnisse. Auch ein strukturiertes Auffahren der Wirtschaft brauchen die Menschen und das brauchen die Unternehmen. Ich komme aus der Wirtschaft und weiß, dass ein Shutdown über längere Zeit nicht überlebt werden kann. In der zweiten Aprilhälfte sollte intensiv nachgedacht werden, wie man schrittweise Richtung Normalität kommt, ohne dabei den nötigen Abstand zu unseren Mitmenschen zu reduzieren.

Zur aktuellen Corona-Situation in Österreich

Wie lange halten Betriebe einen Shutdown aus?
Nur wenige Wochen. Ich würde sagen, an den Fingern einer Hand abzuzählen. Auch wenn Personalkosten über Kurzarbeit abdeckbar sind, gibt es Fixkosten und Kostentreiber. Wenn ein Unternehmen auch noch fremdkapitalfinanziert ist, drückt der Schuh sehr.

Wien hat ein eigenes Hilfspaket geschnürt. Mit welcher Zielgruppe?
Der Bund hat ein 38-Milliarden-Paket geschnürt und ist der erste Ansprechpartner. Wir als Kommune können auf regionale urbane Verhältnisse aufmerksam machen und additiv helfen. Wir haben eine Förderung für Homeoffice-Ausstattung für EPU und kleine Unternehmen bis zehn Personen gesetzt und dafür zwei Millionen Euro vorgesehen. Wir sind gestürmt worden und hatten in wenigen Tagen mehrere hundert Anfragen. Der Run war so groß, dass wir die Mittel zunächst auf sechs Millionen Euro und dann noch einmal auf zehn Millionen erhöht haben. Von zu Hause zu arbeiten, wird auch nach der Krise ein Thema bleiben und passt in unsere Strategie, Digitalisierungshauptstadt zu werden.

»Es ist für uns alle schwierig, den Kindern zu erklären, warum es so schwer ist, mit anderen sozialen Kontakt zu halten«

Einen großen Anteil an der Krisenbewältigung haben Frauen in Beruf und Familie. Was gibt es für diese?
Sie haben eine Riesenlast zu tragen. Einerseits durch die klassischen Berufsfelder, in denen Frauen arbeiten, andererseits in der Kinderbetreuung, da sind sie in Wirklichkeit Ersatzlehrerinnen. Wir haben im Waff, dem Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds, Programme für Frauen in Weiterbildung. Da investieren wir alleine heuer acht Millionen Euro, und setzen dieses Jahr sehr passend einen Schwerpunkt auf digitale Kompetenzen.

Den Vater gefragt - wie lange halten Kinder den Shutdown der Schulen aus?
Auch hier gilt es, nur mehr in Wochen zu denken. Es ist für uns alle schwierig, den Kindern zu erklären, warum es so schwer ist, mit anderen sozialen Kontakt zu halten. Wir spüren, dass das auch die Kinder als Krise wahrnehmen und dass man sehr ehrlich mit ihnen kommunizieren muss, um Verständnis zu finden.

Es gibt Diskussionen, ob das Schuljahr "aufgegeben" wird.
Da würde ich unbedingt bitten, sich diesem Thema mit sehr ruhiger Hand zu nähern. Das soziale Leben ist für unsere Jungen unendlich wichtig. Je älter die Kinder sind, desto leichter ist Homelearning machbar. Aber die jüngeren bis hin zur Unterstufe, da glaube ich nicht, dass es möglich sein wird, das über das gesamte Schuljahr zu ziehen. Auch wenn wir uns bemühen, über ein Wiener Schulfernsehen mit Werner Gruber die Kinder spielerisch zu überzeugen, dass es gut ist zu lernen und dass es spannende Fragen gibt.

In den letzten Wochen ist die Zahl der Arbeitslosen massiv gestiegen. Viele werden Neues lernen müssen, weil sich Berufsfelder ändern. Was sollen diese tun?
Wir investieren alleine heuer 77 Millionen Euro in Weiterbildung, Höherqualifizierung und neue Chancen im Berufsleben. Die Arbeitswelt hätte sich auch ohne Corona in den nächsten Jahren verändert. Manche Berufsgruppen werden sukzessive verschwinden, andere entstehen. Die Corona-Krise führt dazu, dass das beschleunigt stattfinden wird. Wir werden uns genau ansehen, welche Branchen betroffen sind, wie wir Menschen aller Altersgruppen mitnehmen können, um sie bestmöglich zu unterstützen. Wir haben im letzten Jahr die Joboffensive 50plus ins Leben gerufen, wo wir 1.000 Menschen über 50, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben, einen neuen Job ermöglichen. Wir werden uns auch um jene kümmern, die als Verlierer aus der Corona-Krise aussteigen sollten. Jeder kann sicher sein, dass er nicht zurückgelassen wird.

Auf welche Bereiche setzen Sie da?
Die Digitalisierung, die Veränderung unserer Arbeitswelt: Welche Skills brauchen wir, um dort erfolgreich zu sein? Wir wissen jetzt schon, dass wir im IT-Bereich in den nächsten Jahren 11.000 Fachkräfte brauchen werden. Das Thema Online- Vermarktung wird wichtig werden -mit dem Hinweis, nach der Krise besonders auf regionale Produkte zu schauen. Neue Vertriebskanäle, Webshops zu unterstützen, das ist ein Bereich, wo wir helfen können. Am Ende wird es in manchen Bereichen eher eine Verlangsamung geben, aber wir hoffen doch, dass vieles, das uns wichtig ist und in unserem Wirtschaftsleben als normal angesehen wird, in einem Zeitraum von ein, zwei Jahren wieder gesund wird. Ich glaube nicht, dass man alles neu denken muss.

»Seien wir unsere eigenen Gäste«

Wien lebt stark vom Tourismus - Fernreisen und Massentourismus stehen im Moment nicht hoch im Kurs.
Man darf zum Zeitpunkt der Krise nie polarisierend agieren. Etwas verdammen oder zurückfordern wird nicht funktionieren. Wir sehen eine dramatische Auswirkung im Hotel-und Touristikbereich und gehen für 2020 von einem Absacken im zweistelligen Bereich aus. Ich glaube, dass es länger dauern wird, bis der freie Personenverkehr wieder anspringt. Das wird einschneidend für die großen Hotels und für die kleinen sowieso. Wir helfen hier mit Haftungen, mit Zinsübernahmen für Überbrückungskredite, die Möglichkeit, die Liquidität kurzfristig zu stärken. Wir sehen aber auch, dass Reisen weltweit ein Grundbedürfnis ist, und dass Europa und Wien an der Spitze stehen, wenn es um dieses Bedürfnis geht. Wir sind früher von einem Rekord zum nächsten geeilt, damit ist es nun einmal vorbei. Aber ich gehe davon aus, dass es uns gelingen wird, Wien dort wieder hinzuheben. Jetzt lautet mein Appell: Wenn es uns im Sommer wieder besser geht, dass wir dann in Österreich konsumieren, reisen und, dass viele auch in Wien Urlaub machen. Seien wir unsere eigenen Gäste.

Viele sehen die Krise als Chance, die Wirtschaft neu zu denken und dabei auch noch das Klima zu schonen. Glauben Sie daran?
Die Verlangsamung unseres Lebens führt natürlich zu einem Nachdenkprozess und einem Hinterfragen der eigenen Vorgangsweise. Da kommt man manchmal zu spannenden Antworten, was wichtig ist und was nicht. Wenn man ehrlich zu sich ist, wird man den einen oder anderen Schritt in eine andere Richtung wagen. Ich glaube nicht, dass wir uns nachhaltig zu 70 Prozent verändern, aber auch zehn bis 20 Prozent können unglaublich viel sein. Wir sollten überlegen, welche Herausforderungen uns in Zukunft bedeutsam erscheinen und wo die Wirtschaft am Ende hingehen sollte. Dabei müssen wir uns aktiv einbringen, unser Momentum als Individuum nützen, um in der Gesellschaft den richtigen Platz zu finden. Und der kann ein Stück weit woanders sein als vor der Krise.

ZUR PERSON

Peter Hanke, 56 hat Betriebswirtschaft in Wien studiert. Von 1993 bis 2018 war er bei der Wien Holding tätig, ab 2002 als einer der beiden Geschäftsführer. 2018 wechselte Hanke ins Regierungsteam des neuen Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig. Er ist dort für Finanzen, Wirtschaft, Digitalisierung und Internationales zuständig.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr.14/20

Kommentare

Rudolf Zorn

Sehr vernünftige Ansichten und Betrachtungen. Wo ist der Schwachsinn dabei, @Rigi9 ?

Wieviel Schwachsinn kann man da erzählen! Keine Ahnung!

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