"Soldaten an der Brenner-Grenze sind inakzeptabel"

Migration an sich kein Kontrollgrund

Das Verteidigungsministerium bereitet derzeit einen Assistenzeinsatz des Bundesheeres am Brenner vor. Von Seiten der EU wird das kritisch beäugt.

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Illegale Migration - "Soldaten an der Brenner-Grenze sind inakzeptabel"

Österreich hat erneut die Schließung der Brenner-Grenze in den Raum gestellt - ein Vorhaben, das angesichts des Schengener Grenzkodex nicht so einfach ist. Denn unter den 26 Mitgliedern des Schengen-Raums, zu dem Österreich und Italien gehören, gilt Reisefreiheit. Eine Aussetzung der Regelung braucht die Billigung der EU-Kommission und der Partnerstaaten. Migration an sich gilt offiziell nicht als Kontrollgrund.

»Die Entsendung von Soldaten an die Brenner-Grenze ist inakzeptabel«

Ein "Ausnahmezustand" rund um die Flüchtlingskrise besteht bereits aber seit Herbst 2015. Im Zuge der starken Flüchtlingsbewegung über den Balkan Richtung West-Mittel- und Nordeuropa führten fünf Länder - neben Österreich auch Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen - Grenzkontrollen ein. Für Österreich gilt die Sonderregelung allerdings ausschließlich für die Grenze zu Ungarn und Slowenien. Mitte Mai war sie noch einmal um weitere sechs Monate verlängert worden. Laut Schengen-Kodex war es aber die letzte mögliche Verlängerung, und die anderen EU-Staaten wollen die Kontrollen nun auch auslaufen lassen.

Kritik an Österreichs Vorbereitungen für etwaige Grenzkontrollen am Brenner in Tirol kommt auch von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. "Das ist nicht der Weg, um die Flüchtlingsproblematik in Angriff zu nehmen. Die Entsendung von Soldaten an die Brenner-Grenze ist inakzeptabel", sagte Tajani im Interview mit der Tageszeitung "Quotidiano Nazionale" am Mittwoch.

Laut Tajani muss die EU die afrikanischen Herkunftsländer der Migranten stark unterstützen. "Wir haben vorgeschlagen, dass 6,4 Milliarden Euro, die in diesem Jahr nicht ausgegeben wurden, zu diesem Zweck verwendet werden", so Tajani.

Kritisch gegenüber Österreich zeigte sich auch der Staatssekretär im italienischen Verteidigungsministerium, Domenico Rossi. "Das Heer am Brenner ist keine konkrete Lösung für das Migrationsphänomen, das nicht nur Italien, sondern ganz Europa betrifft. Österreichs Verhalten widerspricht der zunehmenden Integration zwischen Italien und Österreich im europäischen Rahmen", so Rossi.

Ein Schengen-Staat entscheidet souverän und ist nach Artikel 24 nur dazu verpflichtet, die anderen Länder und die EU-Kommission zu informieren und die Gründe zu erläutern. Hinsichtlich der Kontrollpläne für die Brenner-Grenze zu Italien vor dem Hintergrund der Flüchtlingsankünfte per Boot über das Mittelmeer hat Österreich bis zum gestrigen Dienstag Brüssel nicht in Kenntnis gesetzt. Laut Schengen-Kodex müsste dies "spätestens vier Wochen vor der geplanten Wiedereinführung" der Grenzkontrollen "im Hinblick auf mögliche Konsultationen" geschehen - außer ein Bedarf an Kontrollen kristallisiert sich in kürzerer Frist heraus.

Wie im Fall Ungarn/Slowenien würde beim Brenner gemeinsam darüber beraten, ob die "Maßnahmen im Verhältnis zu den Ereignissen, die der Anlass für die Wiedereinführung der Grenzkontrollen sind, sowie zur Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit stehen". Dabei werden vorübergehende Grenzkontrollen als "letzter Ausweg" betrachtet. Bedingung für die Wiedereinführung der Kontrollen an Binnengrenzen ist eine "Empfehlung" des Rates der Mitgliedstaaten. Diese stützen sich bei der Entscheidung, ob Kontrollen wirklich nötig sind, auf eigene Analysen und Expertisen der EU-Kommission. Über Verlängerungen sind bis maximal zwei Jahre erlaubt, wenn die EU-Außengrenze durch ein anderes Schengen-Land dauerhaft und ernsthaft nicht gesichert werden kann.

Notfall-Regelung

Bei einem Notfall ist es möglich, dass ein Schengen-Staat unverzüglich die Grenzen kontrolliert - aber nur für zehn Tage. Österreich brachte in den vergangen Jahren mehrmals die Einführung der Grenzkontrollen am Brenner ins Gespräch.

Die Reisefreiheit im Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften Europas. Zu den 26 Mitgliedern gehören die EU-Staaten Österreich, Italien, Deutschland, Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn sowie die Nicht-Mitgliedstaaten Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.

Frankreich kontrolliert seit Jänner 2017 und noch bis 15. Juli unter einem anderen Titel - "vorhersehbare Ereignisse" - seine Grenzen zu Belgien, Luxemburg, Deutschland, der Schweiz, Italien und Spanien sowie an den Luft- und Seegrenzen. Grund: "Anhaltende Terrorgefahr". Bis 15. Juli gilt in Frankreich auch der nach den Pariser Anschlägen vom 13. November 2015 mit 130 Toten verhängte Ausnahmezustand. Er wurde bisher fünf Mal verlängert und soll ein weiteres Mal, bis 1. November verlängert werden.

Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen

Über die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen in einem Ausnahmefall, wie ihn die Bundesregierung in Sachen Brenner sieht, heißt es laut EU-Regulierung wörtlich:

"Die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Wiedereinführung von Kontrollen an Binnengrenzen sollten abgewogen werden gegen die Bedrohung der öffentlichen oder internen Sicherheit, die einen Bedarf der Wiedereinführung nach sich zieht, sowie alternativen Maßnahmen, die auf nationaler oder Unions-Ebene oder beiden Ebenen ergriffen werden könnten sowie gegen die Auswirkungen, die solche Kontrollen auf den freien Personenverkehr im grenzkontrollfreien Raum haben.

(4) Die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen kann in Ausnahmefällen notwendig sein im Fall einer ernsten Bedrohung der öffentlichen und inneren Sicherheit (...) insbesondere nach Terrorereignissen oder -drohungen oder wegen Bedrohungen durch das Organisierte Verbrechen.

(...)

(5) Migration und die Überquerung von Außengrenzen durch eine große Zahl an Drittstaaten-Angehörigen sollten per se nicht als Bedrohung für die öffentliche oder interne Sicherheit betrachtet werden."

»Bundeskanzler Kern muss seinen Panzer-Minister Doskozil zurückpfeifen«

Kritik an den Plänen des Verteidigungsministers kommt auch von der Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek : „Die offene Brenner-Grenze ist die Erfolgsgeschichte des europäischen Friedensprozesses. Nordtirol und Südtirol nach vielen Jahrzehnten der Teilung unter der EU-Fahne wieder vereint ist das Symbol des europäischen Miteinanders schlechthin. Wer das, was zusammengehört, wieder in Frage stellt, wer Tirol mit Zäunen und Panzern wieder trennt, hat aus den vor allem für die Tirolerinnen und Tiroler bitteren Erfahrungen des vorigen Jahrhunderts nichts gelernt."

In einer Aussendung fordert Lunacek Bundeskanzler Christian Kern auf, Minister Doskozil "unmissverständlich in die Schranken zu weisen". "Es kann nicht sein, dass ein von der Kurz'schen Flüchtlings-Eskalationsspirale getriebener Panzer-Minister das Nachbarland Italien brüskiert, die europäischen Partner vor den Kopf stößt und den Brenner zu einem militärischen Aufmarschgebiet macht."

Kern: Keine Truppen und militärisches Gerät am Brenner

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat am Mittwoch klargestellt, dass Österreich derzeit keine Grenzkontrollen am Brenner durchführen wird und auch kein Einsatz des Bundesheeres unmittelbar bevorsteht. Derzeit gebe es keine Truppen und kein militärisches Gerät am Brenner. Österreich habe aber für einen möglichen Bedarfsfall einen Notfallplan beschlossen.

Kern versicherte, dass sich trotz der hohen Zahl an Flüchtlingen in Italien in den letzten Wochen die Zahl der Aufgriffe in Österreich kaum verändert habe. Dies zeige die exzellente Arbeit der italienischen Behörden und die gute Kooperation mit Italien. Es gebe derzeit keine Anzeichen, dass die italienischen Behörden die Situation nicht im Griff hätten. Italien brauche aber jetzt die europäische Solidarität. Daran werde Österreich sich auch beteiligen und sich an der Konferenz der Innenminister morgen konstruktiv einbringen.

Notfallplan für etwaigen Bedarfsfall

Kern betonte aber, dass sich eine Situation wie 2015, als tausende Flüchtlinge unkontrolliert die Grenzen passierten, nicht wiederholen dürfe. Deshalb müsse sich Österreich vorbereiten und habe nun diesen Notfallplan beschlossen. Für den Fall, dass dann tatsächlich Grenzkontrollen notwendig werden sollten, würde sich Österreich sowohl mit Europa als auch mit Italien abstimmen, versicherte der Bundeskanzler. Derzeit gebe es dafür aber keine Anzeichen.

Der Bundeskanzler versicherte weiters, dass er in einem Gespräch mit seinem italienischen Amtskollegen Paolo Gentiloni Missverständnisse ausgeräumt habe. Er habe ausführlich erklärt, was ein Assistenzeinsatz des Bundesheeres bedeute und dass dieser nur zur Unterstützung der Polizei diene. Kern geht davon aus, dass dies sowohl in Italien als auch in Brüssel nun so verstanden werde und die Aufregung vom Dienstag keine Fortsetzung findet.

Wann dieser Notfallplan tatsächlich umgesetzt werden könnte, darüber wollte Kern nicht spekulieren. Er erwartet aber vom Innenminister und vom Verteidigungsminister, dass für den Ernstfall Vorbereitungen getroffen werden. Derzeit funktioniere die Zusammenarbeit mit Italien sehr gut, betonte der Bundeskanzler auch an dieser Stelle und unterstrich: Es würden keine Panzer am Brenner auffahren.

Vorbereitung für möglichen Assistenzeinsatz

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) begründete die Notwendigkeit für den Notfallplan damit, dass der Zustrom an Flüchtlingen über das Mittelmeer in Italien gegenüber dem Vorjahr um 20 bis 25 Prozent zugenommen habe. Derzeit würden 700.000 Menschen in Libyen auf eine Überfahrt nach Europa warten. Und die Kapazitäten in Italien seien begrenzt. Auch Doskozil drängte in diesem Zusammenhang neuerlich auf europäische Lösungen im Sinne eines Gesamtkonzeptes.

Der Verteidigungsminister verwies darauf, dass es bereits ein Grenzmanagement gebe und der Notfallsplan jetzt nur der nächste Schritt sei. Es gehe jetzt nur um die Vorbereitung für den Bedarfsfall, man habe derzeit noch kein Personal an die Grenze verlegt. Wenn der Innenminister Grenzkontrollen verordnen sollte, könne das Bundesheer aber rasch mit seinem Assistenzeinsatz beginnen.

FPÖ wirft Regierung Chaos vor

FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache hat sich für sofortige Grenzkontrollen ausgesprochen und der Bundesregierung "Chaos" vorgeworfen, das "nur mehr peinlich und beschämend" sei. Zuerst werde Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) vorgeschickt, um den starken Mann zu markieren, aber kaum übe Italien Kritik, knicke der Bundeskanzler ein und pfeife seinen Minister zurück.

"Wir brauchen jetzt Schutz und Sicherung unserer österreichischen Grenzen", forderte Strache Kontrollen. Mit der Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher spiele man nicht, meinte der FPÖ-Obmann und stellte die Frage: "Wie lange will die Bundesregierung denn noch zuwarten? Soll es wieder wie 2015 werden, wo man mit dem Handeln gezögert hat, bis die illegalen Migrantenströme vor der Grenze standen?".

Italiens Bischofskonferenz rügt Österreich

Die Absicht seitens Österreichs, im Fall einer Verschärfung der Flüchtlingskrise 750 Soldaten zur Verstärkung der Grenzkontrollen an die Brenner-Grenze zu entsenden, stößt auch bei den italienischen Bischöfen auf Kritik. "Österreich hat Angst vor den armen Migranten", lautete am Mittwoch die Schlagzeile der Tageszeitung "L ́Avvenire", Sprachrohr der italienischen Bischofskonferenz CEI.

Österreichs Drohungen seien mit dem Wahlkampfklima zu erklären. "Eigentlich nichts Neues, aber alles ist sehr bedrückend und sehr kurzsichtig", hieß es in einem Kommentar des Blatts. Im Kommentar wurde auf die Worte des Papstes hingewiesen, der Europa mit einer alten "Oma" verglichen hatte. Europa brauche frische Energien.