Wilfried Haslauer: "Es gibt eine individuelle Freiheit"

Wenn Leute im Stau stehen wollen, sollen sie im Stau stehen, meint Wilfried Haslauer, der Landeshauptmann von Salzburg, zum Thema Verkehrswende. Verbote seien der falsche Weg. Und zur Lage der ÖVP: "Ich habe bisher nichts gefunden, was rechtlich relevant wäre."

von Sommertour - Wilfried Haslauer: "Es gibt eine individuelle Freiheit" © Bild: Ricardo Herrgott/News

News: Spreche ich mit dem nächsten Festspielpräsidenten?
Wilfried Haslauer: Nein.

Helga Rabl-Stadler hat Sie zuletzt als würdigen Nachfolger bezeichnet. Sie wiederum haben bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gesagt, die scheidende Präsidentin behaupte "entgegen aller Zugkräfte", es sei ihre letzte Saison. Versuchen Sie, Rabl-Stadler zur Verlängerung zu überreden?
Viele tun das, und würde sie bleiben wollen, hätte sie alle Möglichkeiten dazu. Aber ich habe den Eindruck, dass sie sagt, dieses Kapitel in ihrem Leben ist abgeschlossen. Vielleicht ändert sie noch ihre Meinung, aber ich glaube eigentlich nicht.

Gibt es schon Überlegungen zu ihrer Nachfolge?
Wir werden genau gar nichts machen, solange die Saison läuft, das wäre respektlos gegenüber der Präsidentin. Sie hat einen Vertrag bis Jahresende. Mit Anfang September werden wir ausschreiben. Ein Monat Ausschreibung, dann Auswertung der Angebote, Hearing Anfang November und dann Entscheidung.

»Wieso wollen Sie mich immer loshaben als Landeshauptmann?«

Ein anderer Job, für den Sie zuletzt gehandelt wurden, ist der des ÖVP-Chefs.
Wieso wollen Sie mich immer loshaben als Landeshauptmann?

Standen Sie bereit, Sebastian Kurz nachzufolgen?
Nein. Sebastian Kurz macht das hervorragend. Wirklich, das ist nicht bloß dahingesagt. Er macht das ausgezeichnet. Ich sehe überhaupt keine Notwendigkeit, darüber nachzudenken. Mein Platz ist Salzburg, und ich bleibe in Salzburg.

Können Sie mit dem Bild, das die türkise ÖVP zuletzt abgegeben hat, wirklich einverstanden sein?
Es ist sehr viel Gutes passiert. Die Regierung hat Österreich unter Führung von der ÖVP und Sebastian Kurz hervorragend durch diese Krise gebracht. Das war eine große Leistung. Es sind auch viele andere sozialpolitische Maßnahmen geschehen. Die restlichen Auseinandersetzungen, alles, was sich rund um den U-Ausschuss abspielt, kommentiere ich jetzt schlicht und einfach nicht. Denn es ist eine derartig aufgeheizte Stimmung in Wien, die ich für völlig unangemessen erachte und die wir auch in Salzburg nicht haben.

© Ricardo Herrgott/News Haslauer: "Dieses Auseinanderdividieren zwischen schwarz und türkis ist eine Erfindung der Medien."

Selbst als die ärgsten Chats öffentlich wurden, als die türkisen Angriffe auf die Justiz vehementer wurden, hat man kaum Kritik aus der Partei gehört. Was wurde aus der schwarzen ÖVP?
Dieses Auseinanderdividieren zwischen schwarz und türkis ist eine Erfindung der Medien.

Ich erinnere mich, dass Sie und andere Landeshauptleute zu Beginn der türkisen Ära selbst betont haben, weiterhin schwarz bleiben zu wollen.
Mag sein. Ich bin ein Bürgerlicher, wo immer Sie das farblich dann einsortieren wollen, ich bin ein Bürgerlicher mit einem christlich-sozialen Wertegerüst. Dazu bekenne ich mich. Das ist meine Partei. Die Chats sind natürlich zum Teil in einer Tonalität abgefasst, die nicht akzeptabel ist, das ist überhaupt keine Frage. Aber nicht von Seiten von Regierungsmitgliedern, sondern eben aus dem Umfeld, und das kann man nicht undifferenziert als Generalversagen darstellen, das alles andere überschattet. Wenn Sie eine Bewertung durchführen wollen, überragen die Leistungen in Zusammenhang mit der Pandemie diese anderen Thematiken bei Weitem. Und zur Kritik an der Justiz: Wir leben in einem Staat, in dem es Meinungsfreiheit gibt. Davon ist keine Institution ausgenommen. Wenn man mit etwas nicht zufrieden ist, auch an Maßnahmen der Justiz, dann darf man das sagen.

Sie stehen voll hinter dem ÖVP-Kurs in Sachen Justiz?
Ich finde es legitim, dass man Vorgehensweisen, die man negativ sieht, offen ausspricht. Gibt es Zensur? Warum darf man das nicht? Ist die Justiz ein Staat im Staat? Nein, ist sie nicht. Man wird sehen, ob diese Kritik gerechtfertigt ist oder nicht. Die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und zu sagen, oh Gott, oh Gott, was passiert da, halte ich für völlig unangemessen.

Kurz will auch bei Anklageerhebung im Amt bleiben. Ist das für Sie in Ordnung?
Das ist okay. Es gilt die Unschuldsvermutung. Über die Anklageerhebung entscheidet ein Staatsanwalt. Dann hätte es ein Staatsanwalt in der Hand - auch wenn die Anklageerhebung völlig substanzlos wäre -, ob ein Bundeskanzler oder ein Minister zurücktreten muss oder nicht. Wo sind wir denn? Das ist eine Verlagerung im Rahmen der Gewaltentrennung, die nicht mehr akzeptabel ist. Etwas anderes wäre es im Falle einer Verurteilung, aber darüber muss ich jetzt nicht spekulieren, weil wir alle davon ausgehen, dass im Verfahren sowieso nichts herauskommt.

Ein angeklagter Kanzler wäre etwas Neues.
In vielen anderen Staaten gab es das schon oft. Nehmen Sie Italien, Israel, Frankreich. Immer wieder hat es Verfahren gegeben, viele wurden eingestellt. Das ist auch ein Spiel der Opposition aus dem U-Ausschuss heraus, alles und jeden anzuzeigen. Das ist eine bewusste politische Methode, die ich nicht okay finde.

Ich subsumiere: Für Sie handelt es sich um ein Spiel der Opposition, und es gibt kein gröberes Problem mit dem Agieren der türkisen ÖVP.
Lassen Sie es mich so formulieren: Ich habe bisher nichts gefunden, was rechtlich relevant wäre. Viele Verfahren sind in Schwebe, es gibt Anzeigen, die schon mehrere Jahre nicht entschieden sind. Die große Empörung kam über die Chats, die rechtlich nicht relevant, aber in ihrer Tonalität durchaus problematisch sind und aus dem Umfeld der Bundesregierung stammen. Aus dem Umfeld.

»Wer ist hundert Prozent fehlerfrei? Das gibt es nicht.«

Kanzler Kurz war an den Chats auch selbst beteiligt. Stichwort "Vollgas" gegen die Kirche zum Beispiel. Kann Ihnen das als Bürgerlicher mit christlich-sozialem Wertegerüst recht sein?
Nein. Wer ist hundert Prozent fehlerfrei? Das gibt es nicht. Es sind relativ junge Leute, die hier extrem arbeiten und sich einsetzen, auch mit anderen Mitteln der Kommunikation. Mir persönlich ist es unbegreiflich, wie man Zehntausende Chats in relativ kurzer Zeit schreiben kann.

Sie machen das nicht?
Nicht in der Geschwindigkeit. Natürlich schreibe ich auch Chats. Aber das sind sachliche Geschichten.

Kurz tourt jetzt durch Österreich, er ist dem Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner sehr beigesprungen in Sachen Straßenbauprojekt S18 -mit einem umstrittenen Interview, über das wir nachher vielleicht noch kurz reden können. Mit welcher Zustimmungsrate darf der Parteiobmann beim Bundesparteitag Ende August rechnen?
Mit einer hohen. Ich sehe auch keine Alternative zu Sebastian Kurz. Er ist unser Parteiobmann, wir tragen ihn. Ich muss auch sagen, in dieser Pandemie haben wir die neue Qualitätserfahrung einer sehr, sehr intensiven Kommunikation mit der Bundesregierung gemacht, speziell auch mit Sebastian Kurz. Die Länder waren sehr gut einbezogen. Das hat es in dieser Form noch nie gegeben, und ich bin schon 17 Jahre in der Landesregierung. Wissen Sie, ein klassischer ÖVP-Anhänger ist mit 90 Prozent der Politik zufrieden, hat mit zehn Prozent Probleme und sagt dann, die ÖVP ist für mich unwählbar. Damit leben wir einfach. Du kannst nicht eine hundertprozentige Trefferquote haben. Es passieren immer Fehler. Das Entscheidende ist, dass man sich bemüht und gut durchdachte Ziele konsequent verfolgt. Und das passiert im Großen und Ganzen bei der Bundes-ÖVP.

© Ricardo Herrgott/News " Ich sehe auch keine Alternative zu Sebastian Kurz."

Diese viel zitierten bürgerlichen Kreise, die sich jetzt angeblich von der ÖVP abwenden, fallen also nicht ins Gewicht?
Es gibt immer Kreise, die sich abwenden, und es gibt Kreise, die sich zuwenden. Du hast keine Behaltequote von 100 Prozent. Das sind kommunizierende Gefäße.

Was sagen Sie zu Kurz' Vorwurf, die Grünen wollten mit ihrer Klimapolitik zurück in die Steinzeit?
Ich glaube, wir brauchen überhaupt einen anderen Zugang bei der Klimapolitik. Ich habe hie und da den Eindruck, dass ein Teil - vor allem aus der grünen Ecke -Klimapolitik nur dann als wertvoll erachtet, wenn sie schmerzt und einen gewissen flagellantischen Zugang hat. Und dass unter dem Mantel der Klimadiskussion massiv ideologische Gesellschaftspolitik gemacht wird. Du darfst nicht mit dem Auto fahren, selbst dann, wenn es ein E-Auto ist. Das ist sicher nicht unser Zugang. Wir müssen mit einem gewissen Optimismus und freudvoll in diese Thematik einsteigen, durch technische Innovation, aber durchaus auch durch eine Änderung unserer Lebensbedingungen. Man sieht ja, wie schnell die Dinge sich entwickeln, wenn die Autoindustrie erklärt, in zehn Jahren keine Verbrennungsmotoren mehr auf den Markt zu bringen.

»Diejenigen, die große Veränderungen im Klimaverhalten einfordern, sind dann auch die diejenigen, die diese Projekte behindern. «

Klimaforscher sagen, dass wir es uns nicht leisten können, zu warten, bis irgendwelche technischen Wunderdinge zu unserer Rettung entwickelt werden. Wie schnell muss es jetzt gehen?
Wir haben sicher Handlungsbedarf, und es passiert auch sehr viel. Aber es wird sicher nicht funktionieren, dass man auf der einen Seite grüne Energie fordert und auf der anderen Seite gleichzeitig alles behindert. Sie wissen überhaupt nicht, was wir für Probleme haben, zum Beispiel Windkraft aufzustellen. Oder Wasserkraft zu organisieren. Diejenigen, die große Veränderungen im Klimaverhalten einfordern, sind dann auch die diejenigen, die diese Projekte behindern. So wird's nichts werden.

Es gab kürzlich ein dramatisches Hochwasser in Hallein. Sie waren tags darauf dort und haben dabei erwähnt, dass sie in ihrer Amtszeit schon oft "die Gummistiefel angehabt" hätten. Ist so ein Ereignis Routine?
So ein Unglück ist nie Routine, aber es ist Erfahrung. Unsere Einsatzkräfte sind unglaublich erfahren. Und es ist auch extrem viel passiert, was Schutzbauten betrifft, vor allem im Oberpinzgau. Die Trefferquote der Schutzmaßnahmen war im Großen und Ganzen bei 90 Prozent, würde ich sagen. Die Gleise der Pinzgaubahn wurden zum Teil unterspült, da wird man die Frage stellen müssen, ob diese Trasse ideal ist. Aber es herrscht bei uns in der Regierung Einvernehmen, dass sie wieder in Betrieb genommen wird.

Ordnen Sie dieses Hochwasser in den Zusammenhang des menschengemachten Klimawandels ein?
Es ist sicher so, dass die Ereignisse häufiger und heftiger werden. Es kommen punktuell mehr Wassermassen, in Kombination mit einer gewissen Erwärmung. Da ist im Oberpinzgau der Juli besonders gefährlich.

Ihr zuständiger Landesrat hat gesagt, in Sachen Ausbau des Hochwasserschutzes lässt sich nicht mehr viel machen. Muss man jetzt beim Klimaschutz ansetzen?
Das ist überhaupt keine Frage. Wir haben eine Strategie Klima und Energie 2030 mit einem Bündel von Maßnahmen. Wir investieren extrem in den Bahnausbau, wir haben die Bahn aktiviert mit dem 365-Euro-Ticket, wir machen sehr viel im Bereich der Photovoltaik, wollen auch im Bereich der Wasserkraft Projekte umsetzen. Bei der Windkraft gibt es ein Projekt, das realisierbar erscheint, andere haben sich bisher aus verschiedenen Gründen nicht realisieren lassen.

Fahren Sie selbst auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln?
Ich habe jetzt ein Hybridauto, das ich bisher kaum betanken musste, weil ich es über Nacht aufladen kann. Das ist ideal. Als Dienstwagen habe ich ein reines Elektroauto. Gelegentlich fahre ich auch mit dem Bus, aber ich gebe zu, nicht rasend oft.

»Wir werden keine Großhandelsflächen mehr an Ortsrändern genehmigen.«

Sie wollen den öffentlichen Verkehr stark ausbauen. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um den motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen, damit die Leute auch tatsächlich umsteigen auf Bus und Bahn?
Man wird eine Diskussion über Ortszentren führen müssen, die nicht befahrbar sind, wir werden auch keine Großhandelsflächen mehr an Ortsrändern genehmigen. Aber man muss natürlich eines ganz klar sagen. Es fährt nicht in jede Ortschaft eine Bahn. Zum Teil sind die Busverbindungen sehr gut, zum Teil sind die Leute aber einfach auf das Auto angewiesen. Ich habe oft den Eindruck, dass alles durch eine Gürtel-Wien-Sicht-Brille gesehen wird und man den Leuten in den ländlichen Regionen zumutet, so zu leben, wie das in der Großstadt ist. Nur sind da andere Lebensbedingungen. Man darf nicht Leute benachteiligen, die am Land wohnen. Die weitere Urbanisierung ist ja nichts, was wir wollen.

Sind Themen wie Citymaut oder Tempo 30 oder 40 in den Städten für Sie denkbar?
Derzeit nicht.

»Wir werden es sicher nicht verbieten, wenn jemand in die Stadt kommen möchte.«

An Schlechtwettertagen fahren alle Urlauber aus dem Umland in die Stadt Salzburg hinein, der Verkehr bricht regelmäßig zusammen. Wie kann man das verhindern?
In Wahrheit gar nicht. Man soll nicht immer sagen, dass man Patentrezepte hat, das ist einfach unehrlich. Es gibt Angebote mit der Bahn und dem Bus, und man muss auch klar kommunizieren, dass der Parkraum knapp ist. Aber wir werden es sicher nicht verbieten, wenn jemand in die Stadt kommen möchte.

Das Problem lässt sich also nicht lösen?
Solange in zwölf Auto nur einer drinnen sitzt, nicht. Wir haben alles möglich probiert, Beifahrerbörsen etc. Das wird alles nicht angenommen. Und irgendwann stellt sich auch die Frage: Gibt es individuelle Freiheit? Wenn ich mir aussuche, mit dem Auto zu fahren und das ist ja manchmal auch eine Bequemlichkeitsfrage - und dafür in Kauf nehme, im Stau zu stehen, bitte.

Man muss das Autofahren so unangenehm machen, bis die Leute umsteigen?
Das wäre die grüne Forderung. Ich finde, es gibt eine individuelle Freiheit, die man auch gelten lassen muss. Natürlich könnte man hergehen und sagen: Ich verbiete. Aber das ist meines Erachtens der falsche Weg. Anreize schaffen, das ist der richtige. Ich habe immer den Eindruck, man fordert von der Politik, allumfassend glückseligmachende Lösungen zu finden. Das gibt es nicht. Du löst zehn Probleme, und zehn neue tauchen auf, die wahrscheinlich in Widerspruch zu den gelösten Problemen sind. Es ist ein ständiges Vorwärtsbewegen und Bemühen, und das gelingt uns ganz gut. Wir haben hier eine Lebensqualität, die auf der Welt ihresgleichen sucht. Wir haben ein sicheres Land. Wir haben sauberes Wasser in Hülle und Fülle. Die Infrastruktur funktioniert, die Arbeitslosigkeit ist niedriger als vor der Krise. So schlecht machen wir es nicht.

Haslauer, Sohn des gleichnamigen Salzburger ÖVP-Landeshauptmanns von 1977 bis 1989, begann seine berufliche Laufbahn als Anwalt. 2004 wurde er stellvertretender Landeshauptmann von Salzburg und Landesobmann der Salzburger Volkspartei, 2013 Landeshauptmann. In der aktuellen Legislaturperiode (seit 2018) regiert er mit einer schwarz-grün-pinken Dirndlkoalition. Die nächste Wahl findet im Jahr 2023 statt.