Möchte ich zum Thema Rassismus etwas sagen? Eigentlich nicht.

Möchte ich zum Thema Rassismus etwas sagen? Eigentlich nicht. Eigentlich wurde bereits alles gesagt, geschrieben, getanzt, gesungen, geschrien und in Bildern festgehalten. Und eigentlich sollte das genug sein. Ist es aber nicht. Ein Gastkommentar von Bibiane Zimba.

von Bibiane Zimba © Bild: Laura Fikentscher

Die #blacklivesmatter-Bewegung hat, ähnlich wie #metoo, einen Stein ins Rollen gebracht. Sie hat aufgezeigt, welche Probleme wir als Gesellschaft über Jahrzehnte unter den Teppich gekehrt haben.
Aber was hat sich seit Beginn der Bewegung getan? Was hat sie konkret für mich verändert?

Ich habe mich gefragt, wann mir das erste Mal bewusst geworden ist, dass ich aufgrund meiner Hautfarbe anders behandelt werde und wann ich angefangen habe, unterschwellige Bemerkung zu ignorieren; das Problem also vor mir selber zu leugnen?

Bereits als Dreijährige hat man mich als N**** bezeichnet. Auch wenn der Begriff in den 90er-Jahren in Österreich nicht nur negativ behaftet war, wurde mir damit aber doch sehr früh klar gemacht, dass ich anders bin. Dass ich fremd bin. Dass Österreich nicht wirklich meine richtige Heimat sein könnte. Ich musste erklären, warum meine Mutter nicht dieselbe Hautfarbe hat und dass ich nicht adoptiert sei. Auch hörte ich immer wieder, dass ich sicher gut tanzen und singen könne („Ihr habt ja alle Rhythmus im Blut“). Das ist per se recht harmlos, aber mir wurde bewusst, wie sehr ich dadurch in Stereotype gedrängt wurde und mir meine Leistung als Musikerin damit abgesprochen wird.
Schließlich impliziert es, ich sei nicht durch harte Arbeit, Übung und Training zu einer guten Künstlerin geworden, sondern bloß durch meine Herkunft „beglückt“.

Rassismus auszublenden (soweit möglich) und unterschwellige Bemerkungen zu ignorieren war lange eine gute Überlebensstrategie. Man wollte nicht unangenehm auffallen. ICH wollte nicht unangenehm auffallen, ICH wollte nicht kompliziert sein, ICH wollte mir nicht ständig bewusst machen müssen, dass Diskriminierung allgegenwärtig ist und ich zu einem gewissen Grad nichts dagegen tun kann.
Mittlerweile verstehe ich aber, dass der einfache Weg nicht mehr funktioniert. Ich will, dass die nächsten Generationen nicht vor den selben Problemen stehen, nur weil zu wenig Menschen sich gewehrt haben.

Wir sehen in unseren Breitengraden medial sehr wenige BPoC („Black and People of Color“) in Funktionen als ÄrztInnen, RichterInnen, PolitikerInnen (das ändert sich glücklicherweise langsam), WissenschaftleInnen und so weiter. Es geht also nicht nur darum, dass wir Menschen abwertend behandeln, sondern auch, dass wir Menschen ihrer Möglichkeiten berauben, weil man ihnen keine Alternativen zeigt. Weil es keine oder zu wenige Rollenbilder gibt. Weil wir ihnen, noch lange bevor sie das erste Wort sprechen, einen Stempel aufdrücken, wie die Welt sie sieht und wie sie sich selbst zu sehen haben.

In den Monaten nach den Demonstrationen stand meine Hautfarbe stark im Fokus. Es war natürlich überwältigend, wie viele Menschen, ob selbst betroffen oder nicht, ein Zeichen gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit gesetzt haben. Aber es war auch anstrengend und ernüchternd. Denn viele sahen es bloß als einen Trend, sich mit BPoC und/oder einem Hashtag zu „schmücken“. Auch ich erhielt Anfragen für Musikvideos und Shootings mit der Begründung „Wir brauchen noch eine Schwarze“ oder „Diversity ist mir sehr wichtig, aber ich kenne keine Schwarzen“. Vielleicht waren die Absichten gute, aber im Endeffekt wurde ich wieder auf meine Hautfarbe reduziert.

Gleichzeitig habe ich in dieser Zeit aber gelernt, Vorurteile schneller anzusprechen und ihnen dadurch keinen Raum mehr zu geben. Meine Geschwister und ich haben uns deutlich intensiver zu dem Thema ausgetauscht und unterstützt. Sehr oft haben sich auch andere, nicht betroffene Menschen, für mich eingesetzt. Die Solidarität ist eindeutig gestiegen.

Aber natürlich hat auch die Gegenseite nicht geschlafen: Sowohl in sozialen Netzwerken als auch auf der Straße bin ich dieses Jahr wieder deutlich öfter verbal attackiert worden, was wohl auch mit einer Politik einhergeht, die es zulässt, auf Wahlplakaten ganze Bevölkerungsgruppen zu diffamieren...

Ein großes Thema ist auch die Sprache: Nachdem ich mich im Fernsehen zum Thema Rassismus geäußert hatte, wollten einige Menschen von mir eine Bestätigung, dass man doch dies und jenes noch sagen dürfe und deshalb doch kein/e RassistIn sei. (Das wird übrigens nie gegendert, mir ist es allerdings ein Anliegen.) Sehr oft hörte ich Sätze wie: „Man weiß ja gar nicht mehr, was man sagen darf“ und „Man darf ja über gar nichts mehr Witze machen“.
Und genau das ist ein ausschlaggebender Punkt! Wenn für jemanden das einzige Problem an der Debatte ist, nicht mehr zu wissen, was man sagen darf und was nicht, dann lebt man ein unglaubliches Privileg! Es bedeutet nämlich, dass man selbst noch nie oder zumindest kaum von Diskriminierung betroffen war. Es heißt, dass man sich weder vorstellen kann, was es bedeutet, jeden Tag auf Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion reduziert zu werden, noch wie sehr unsere Sprache und unsere Gewohnheiten Vorurteile begünstigen - oder zumindest nicht dafür sorgen, dass diese weniger werden.

Oft wird rassistischer Sprach- und Bildgebrauch auch mit Tradition gerechtfertigt, etwa mit „Das war doch schon immer so“ oder „Als ich klein war, war das ganz normal“. Meine Frage dazu: Ist es wirklich so dramatisch, dass eine Paprikasauce umbenannt wird und eine Biermarke ein neues Logo bekommt? Ist es wirklich so schlimm, sich zu fragen, ob man eventuell selbst überholte und abwertende Begriffe benutzt, auch wenn man es nicht so meint? Ist es wirklich so schlimm, die eigene Sprache auf Diskriminierung zu analysieren? Wollen wir uns als Gesellschaft wirklich nicht weiter entwickeln und weiter eine Sprache nutzen, die andere Menschen abwertet?
Ich kenne die Antworten auf diese Fragen, habe aber trotzdem das Gefühl, sie stellen zu müssen.

Etwas, das in der Debatte leider oft untergeht, ist, dass es dabei nicht nur um Menschen mit afrikanische Wurzeln geht. Auch die Frage, wie Europa und Teile der österreichischen Politik mit (ehemaligen) Flüchtlingen umgeht oder mit Menschen türkischer Wurzeln, spielt hier hinein. Der existierende Rassismus in Schulen, bei der Wohnungsvergabe oder am Arbeitsmarkt wird ebenfalls kaum thematisiert. Und um diesen zu spüren, muss man nicht schwarz oder braun sein, es reicht ein ausländisch klingender Name, ein Kopftuch, die sexuelle Orientierung oder das Geschlecht.

Trotz all dieser Schwierigkeiten empfinde ich die #blacklivesmatter-Bewegung und die damit einhergehenden Entwicklung als positiv und sehe in den jüngsten Bewegungen eine Chance zur Veränderung und Verbesserung.
Allerdings befinden wir uns erst am Anfang und haben noch einen langen, unbequemen Weg vor uns. Wir sind nicht alle gleich, sollten aber gleichwertig sein.

Möchte ich zum Thema Rassismus etwas sagen? Eigentlich nicht. Solange es nötig ist, werde ich es aber tun.

Zur Person: Bibiane Zimba ist eine Wiener Musikerin (Gesang, Klavier, Komposition) und arbeitet auch als Model.

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