Wir müssen kämpfen

#metoo ist weltweit zum Kampfbegriff gegen sexuelle Belästigung geworden. In sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter brechen Millionen Frauen ihr Schweigen. Der Hashtag macht Mut, sexuelle Übergriffe anzusprechen und sich so dagegen zu wehren. Ein erster Schritt zu langfristiger Veränderung?

von #metoo © Bild: Shutterstock.com/Mihai Surdu

Wo ist die Grenze? Ein Arbeitsrechtler und eine Psychologin geben hier Antwort.

Er schickte ihr per Facebook Penisbilder. Sie klickte die Dateien weg. Nur schnell vergessen, gar nicht daran denken. Das war die Strategie von Bianca Schwarzjirg. Über Jahre hinweg erhielt die Puls-4-Moderatorin derart abartige Fotos. Angezeigt hat sie den Absender nie. Jetzt will sie das Schweigen brechen und schreibt auf ihrem Instagram Account zwei Wörter: "Me too", ich auch. Und alle wissen, was es bedeutet: Auch Bianca Schwarzjirg hat sexuelle Belästigung erfahren.

Bianca Schwarzjirg
© Matt Observe/News Bianca Schwarzjirg

Millionen Frauen haben sich weltweit der Internetaktion gegen Sexismus angeschlossen. Seit bald zwei Wochen twittern und posten Frauen (und wenige Männer) in den sozialen Netzwerken unter dem Stichwort #metoo ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. Klar wird vor allem eins: Es passiert überall und jeden Tag. Künstlerinnen, Politikerinnen, Schauspielerinnen und Journalistinnen sind davon betroffen. Es passiert Müttern, Töchtern, Schwestern, Freundinnen. Sexuelle Belästigung ist überall. Und sie scheint in unserer sonst so aufgeklärten und sexualisierten Gesellschaft noch immer als Tabu zu gelten. Oder warum überrascht es uns, dass so viele Frauen davon betroffen sind? Warum wissen noch immer viele Frauen nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie sexuell belästigt werden? Warum muss Frau noch immer erklären, was sexuelle Belästigung überhaupt ist?

Der Hollywood-Skandal

Die Kampagne unter dem Stichwort #metoo wurde durch den Skandal um den unter Vergewaltigungs-und Missbrauchsverdacht stehenden US-Filmproduzenten Harvey Weinstein ins Rollen gebracht. Losgetreten hat das Ganze die 44 Jahre alte Schauspielerin Alyssa Milano, bekannt aus der Serie "Charmed - Zauberhafte Hexen". Sie schrieb vor zwei Wochen auf ihrem Twitter-Account: "Wenn alle Frauen, die bereits sexuell belästigt oder angegriffen worden sind, 'Me too' in ihren Status posten, schaffen wir es vielleicht, den Menschen ein Gefühl für das Ausmaß des Problems zu vermitteln." Binnen Stunden antworteten Zehntausende Frauen darauf. Einige wie die Sängerin Lily Allen schrieben einfach nur "Ich auch". Andere berichteten detailliert von ihren Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Mittlerweile brechen auch Politikerinnen ihr Schweigen. So hat die schwedische Gleichstellungsministerin Åsa Regnér im Rahmen der Kampagne von sexueller Belästigung auf EU-Ebene berichtet. Davor hatte bereits die schwedische Außenministerin Margot Wallström von sexueller Belästigung in Kreisen der Politik berichtet. In Deutschland beklagen Familienministerin Katarina Barley und SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles, im politischen Alltag begrapscht worden zu sein.

Die Verharmlosung

Unabhängig von der #metoo Kampagne ist am vergangenen Wochenende der Chefredakteur der "Wiener Zeitung" abberufen worden. Grund: Eine Journalistin behauptet, dass Reinhard Göweil ihr in einer schriftlichen Nachricht im vergangenen Jänner sexuelle Avancen gemacht und das damit verbunden habe, dass er möglicherweise einen festen Job zu vergeben habe. Die Journalistin wies sein Angebot schriftlich zurück und wandte sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die in dieser Nachricht den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt sah. Die Diskussionen in den sozialen Netzwerken reichten danach von verharmlosenden Kommentaren bis hin zu Solidaritätsbekundungen an den Beschuldigten.

Die Nationalratsabgeordnete der Grünen, Sigrid Maurer, hat selbst Erfahrungen mit übergriffigen Situationen gemacht. Sie kritisiert den Umgang in der Causa Göweil scharf: "Diese Voraussolidarität - vor allem von Männern - ist ein Grund dafür, dass Frauen oft lange warten, bevor sie Übergriffe anzeigen. Alles, was diesen Frauen passiert, wird sofort relativiert. Wenn man sich auf die Füße stellt, ist das ein unglaublicher Kraftakt, und meistens steigt man dabei schlechter aus."

Sigrid Maurer
© Matt Observe/News Sigrid Maurer

Das meint auch die Gender- und Antigewaltforscherin Birgit Wolf. Sie glaubt, bei vielen Frauen sei die Angst groß, den Job zu verlieren oder vom Umfeld als zimperlich und übersensibel bezeichnet zu werden. "Das Aus-und Ansprechen für Betroffene ist oft mit einem großen Risiko verbunden, wenn der Täter aus dem sozialen Umfeld stammt."

Tatsächlich ist die Dunkelziffer zu sexueller Belästigung groß. So gingen bei der Wiener Polizei im vergangenen Jahr von Jänner bis Juni 337 Strafanzeigen wegen Sexualdelikten ein. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2016 fanden über 10.000 anonyme Beratungen im 24-Stunden Frauennotruf in Wien statt. Wie viele Frauen in Summe von sexueller Belästigung betroffen sind, lässt sich schwer beziffern. 2011 veröffentlichte das Österreichische Institut für Familienforschung eine repräsentative Studie zur Gewalt an Frauen und Männern. Demnach gaben 74,2 Prozent der befragten Frauen an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Meistens in der Form, dass ihnen jemand zu nahe gekommen ist und dies als aufdringlich empfunden wurde (56 Prozent), durch Nachpfeifen und Anstarren (43 Prozent) oder ungewollte Berührungen, sowie Versuche, sie zu küssen (35 Prozent). Insgesamt gaben sogar 29,5 Prozent der Befragten an, dass sie schon einmal Opfer sexueller Gewalt wurden.

Mut zur Veränderung

Die Debatten über sexuelle Übergriffe sind nicht neu. Sie wurden bereits nach der Twitter-Kampagne #Aufschrei geführt. Mit diesem Hashtag wurden Anfang 2013 Nachrichten über sexistische Erfahrungen versehen. Damals hatte die deutsche "Stern"-Reporterin Laura Himmelreich von einer anzüglichen Dirndl-Bemerkung des FDP-Politikers Rainer Brüderle berichtet.

Die Debatte wurde nach der Kölner Silvesternacht von 2015 geführt, in der zahlreiche Frauen bestohlen und sexuell belästigt wurden. Was aber haben all diese Debatten gebracht? Bringt ein Hashtag wie #metoo wirklich etwas?

Die Journalistin Laura Himmelreich sagte kürzlich in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Spiegel": "#Aufschrei hat definitiv etwas gebracht. Damals, 2013, wurde immer wieder über die Grundsatzfrage diskutiert: Gibt es Sexismus in Deutschland? Das fragt jetzt niemand mehr. Nun geht es eher darum, wie weit Sexismus in der Gesellschaft verbreitet ist." Auch das Gesetz in Österreich hat sich mittlerweile verändert: Seit Mitte 2016 ist es strafrechtlich verboten, eine "Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde zu verletzten", heißt es jetzt im Strafgesetzbuch. Dieser sogenannte "Grapsch-Paragraf" sorgte in der Kriminalstatistik im Jahr 2016 für einen Anstieg der Sexualdelikte um 56 Prozent.

Und jetzt #metoo? Fest steht, dass eine solche Internetbewegung für Aufmerksamkeit sorgt und dass sich viele Frauen jetzt trauen, über Belästigungen und Übergriffe zu sprechen, von denen sie sich vorher nie zu berichten getraut hätten. #metoo macht Mut. Die Menge der Betroffenen ist erdrückend. Aber es sind die Einzelschicksale, die im Gedächtnis bleiben. Die etwas verändern können. So wie die Buchautorin Petra Hartlieb, die am 16. Oktober auf ihre Facebook Seite schrieb: "MeToo. In allen nur erdenklichen Formen. Kann mich noch gut an meinen ersten Exhibitionisten erinnern und an die schlaflosen Nächte danach." Petra Hartlieb will damit vor allem für ihre 16-jährige Tochter ein Vorbild sein. "Ich weiß nicht, ob sie schon einmal so etwas erlebt hat. Aber wenn sie jetzt sieht, dass ihre Mutter und die Freundinnen der Mutter auch so was erlebt haben, ist es vielleicht ein Anlass, es zu erzählen oder anders aufzutreten." Auch Puls-4-Moderatorin Bianca Schwarzjirg will mit der Aktion besonders jungen Frauen Mut machen. "Wir müssen endlich darüber reden, damit auch Männer kapieren, dass es nicht normal ist, was sie da machen."

Petra Hartlieb
© Matt Observe/News Petra Hartlieb

Die Diskussion muss dafür das Digitale verlassen und dort geführt werden, wo sexuelle Belästigungen und Übergriffe stattfinden: In Familien, am Arbeitsplatz, überall dort, wo Abhängigkeiten bestehen. Der Beziehungsexperte und Paarberater Dominik Borde wünscht sich einen Trend. "Es muss cool, lässig oder modern werden, dass jemand darauf hinweist, dass es nicht okay ist, Frauen schlecht zu machen, und nicht nur deshalb, weil es die Medien sagen oder es 'politically correct' ist, sondern weil es nicht mehr zeitgemäß ist."

In den USA hat #metoo zumindest so viel gebracht, dass Männer wie Harvey Weinstein nicht nur ihr Ansehen, sondern auch ihre Jobs verlieren. Der Regisseur wurde Anfang Oktober von seinem Unternehmen Weinstein Company (TWC) entlassen. Auch Starfotograf Terry Richardson hat nach Belästigungsvorwürfen gegen ihn seine Auftraggeber verloren: Die Condé-Nast-Gruppe, die Magazine wie "Vogue", "GQ" und "Vanity Fair" verlegt, kündigte ihm die Zusammenarbeit auf.

Eine 26-jährige Architektin, die in News ihre Geschichte erzählt und lieber anonym bleiben will, wurde vor drei Jahren von einem Arbeitskollegen mit K.-o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt. "Ich habe lange Zeit geschwiegen. Erst als ich es Freunden erzählte und diese schockiert reagierten, wurde mir bewusst, was ich da überhaupt erlebt habe und dass mich keine Schuld trifft. Das hat schon ein bisschen geholfen." Den Mut, eine Anzeige zu machen, hat sie bis heute nicht gefunden. Doch sie weiß jetzt, dass sie nicht mehr länger schweigen darf.