Was sollen wir tun,
Herr Wiederkehr?

Christoph Wiederkehr ist bei den bevorstehenden Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen der Spitzenkandidat der NEOS. Die NEOS belegten bei den letzten Wiener Wahlen im Jahr 2015 mit 6,16% den 5. Platz. Sie sind damit in den Wiener Landtag eingezogen. Doch wie transportiert Wiederkehr die Inhalte der NEOS? Welche Sprachmuster verwendet er, und wie lassen sich daraus seine Denkmuster ableiten? Was können wir von seiner Körpersprache ablesen? Ein Gastbeitrag von Thomas W. Albrecht.

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Analyse - Was sollen wir tun,
Herr Wiederkehr?
Thomas Wilhelm Albrecht ist international renommierter Redner und Life-Coach für Rhetorik & Kommunikation. Er entwickelte einen speziellen Blick auf die Kunst der Rede als Ausdruck von Kultur und Wertehaltungen. In seinem Buch "Die Rhetorik des Sebastian Kurz | Was steckt dahinter?" beschreibt er die Wirkkraft von Sprache, Körperbewegung und Emotion. Er wird gerne gebucht, Menschen und Organisationen bei der Lösung kommunikativer Herausforderungen in Veränderungsprozessen zu begleiten. Mehr Infos unter twa.life/hello

Wiederkehr’s Körperhaltung ist aufrecht, er wirkt tendenziell sehr steif. Der Kopf sitzt fast unbeweglich auf seinem Hals und Oberkörper. Diese aufrechte Haltung, die zunächst der Satir-Kategorie des Levelers ähnlich wäre, wird jedoch jäh von Auf- und Abwärtsbewegungen des gesamten Körpers unterbrochen. So wie wenn er mit den Füßen zornig aufstampfen würde. Während der Leveler an sich Offenheit und Wahrheit signalisiert, so ist das „Aufstampfen“ der Satir-Kategorie des Blamers, des Anklägers, zuzuordnen. Tatsächlich sind Wiederkehrs Formulierungen von Anklagen, Vorwürfen und Anschuldigungen dominiert. Dazu passen die schroffen, von oben nach unten gerichteten Armbewegungen. Gleichzeitig wirkt er, bedingt durch die gleichzeitig nach oben gerichteten Handflächen, um Anerkennung bittend. Ein „Bitte hört mir zu, bitte glaubt mir!“, schwingt mit.

Stimme und Wortwahl

Seine Stimme klingt angespannt, die Tonlage tendenziell hoch. Wiederkehr versucht, seinen Aussagen eine gewisse Tragik zu verleihen. Dies gelingt ihm jedoch nur bedingt, da er dabei vollkommen emotionslos bleibt, als würden seine vorgebrachten Inhalte zu 100% einstudiert sein, frei von jeder persönlichen Note.

Wiederkehrs Wortwahl bezeichnen wir als auditiv-digital. Er spricht in Abläufen und Prozessen, er spricht über Zahlen, Daten und Fakten. Er verwendet Wörter und Sätze, wie zum Bespiel: „Wir haben genug Ressourcen. Wir brauchen den politischen Willen und die Priorität. Es ist wichtig, schnell zu testen. ...“. Alle diese Sprachmuster haben eine gemeinsame Eigenschaft: Die verwendeten Worte drücken etwas aus, dass wir weder sehen, hören, fühlen, riechen noch schmecken können. Somit kann das Publikum wenig bis keine Emotionalität verspüren, da Aussagen dieser Art als nicht-emotional wahrgenommen werden. Auch er als Sprecher verspürt offensichtlich keine Emotionalität. Besser wäre es darüber zu berichten, was er und wir sehen, hören und fühlen können, oder, aus Sicht der NEOS, sollten.

Auch Wiederkehr, so wie die meisten Spitzenkandidat:innen der wahlwerbenden Parteien, beginnen ihre Reden und Auftritte, ohne sie in einen Zusammenhang zu stellen. Er gibt uns keinen Grund, ihm zuzuhören. Auf was will er hinaus? Warum spricht er zu uns. Story-Telling, Erzählungen über wahre Begebenheiten und emotionale Beispiele vermissen wir in Wiederkehrs Ausführungen komplett.

Vorwürfe, Angriffe und Forderungen

Alle seine Vorwürfe, Angriffe und Forderungen, so scheint es, wirken aus der Luft gegriffen. Wir erfahren nicht, in welchem Kontext er seine Aussagen sieht. Diese breite und große Verallgemeinerung macht seine Statements tendenziell unglaubwürdig. Es können sehr leicht Gegenbeispiele gefunden, und die Aussagen in Frage gestellt werden. Hilfreich wäre es, wenn Wiederkehr uns sagen würde, aus welchen Quellen er seine Informationen hat, in welchem Zusammenhang diese stehen und was sie für die Bevölkerung bedeuten.

Wiederkehr denkt hauptsächlich in Forderungen, ohne zu sagen, an wen er diese stellt. Eine Vielzahl seiner Äußerungen beginnen mit: „Wir brauchen ... .“. Aussagen dieser Art sind aus mehreren Gründen problematisch. Zunächst wird nicht gesagt, wer mit „wir“ gemeint ist. Meint er die Partei der NEOS, meint er die Bevölkerung insgesamt, oder meint er bestimmte Gruppen der Bevölkerung, wie z.B. Familien. Diese Unklarheit stiftet bei einem Teil der Zuhörerschaft Verwirrung, der andere Teil fühlt sich nicht angesprochen. Wiederkehr erläutert auch nicht, wer diese Forderungen umsetzen soll. Richtet er sich an die Bundesregierung, an den Wiener Landtag, oder spricht er davon, dass die NEOS diese Forderungen, sollten sie in die Landesregierung kommen, umsetzen werden.

Was sollen wir tun, Herr Wiederkehr?

Wir bekommen wenig Anhaltspunkte, wie diese Forderungen umgesetzt werden sollten. Wiederkehr spricht weder davon, was sie kosten, noch welchen Vorteil sie bringen. Er begibt sich, ohne es zu bemerken, in eine Abhängigkeit der regierenden Parteien. Denn durch das Aufstellen von Forderungen gesteht man ein, es selbst nicht in der Hand zu haben, oder es nicht zu können. Man gibt zu, jemanden Dritten zu benötigen. Das erklärt auch die eingangs erwähnte bitt-stellerische Haltung, nun doch endlich gehört zu werden.

Wiederkehr gibt uns in seinen Auftritten keinen Call-to-Action. Er versäumt es zu erklären, was seine Zuhörerschaft nun machen soll: Soll sie die Forderungen unterstützen, soll sie die NEOS wählen, oder was soll sie tun? Reden und Auftritte ohne Call-to-Action sind meist vergebens und geraten sehr schnell in Vergessenheit.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Christoph Wiederkehrs Auftritte jenen von Beate Meinl-Reisinger ähnlich sind. Er stellt Anschuldigungen und Forderungen auf, ohne uns zu sagen, warum ihm diese wichtig seien und was sie für die Bevölkerung bedeuten würden. Seine Körperhaltung unterstützt die anklägerische Ausdrucksweise, die gleichzeitig um Unterstützung bittet. Wiederkehrs Rhetorik zeigt uns, ein umfassendes Konzept der NEOS zu vermissen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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