Wer wird der Flirt-Kanzler?

Wahlkampf bedeutet, für die Wählerinnen und Wählern attraktiv zu sein

Macht macht sexy. Und Wähler, die von den Schmutzkübelkampagnen die Nase voll haben, haben gar keine andere Chance, als sich auf das äußere Erscheinungsbild der Politiker zu verlassen. Zum Glück bieten die sechs Spitzenkandidaten hier ein buntes Spektrum an Möglichkeiten an.

von Macht macht sexy - Wer wird der Flirt-Kanzler? © Bild: News Marcus Deak

Wen würden Sie wählen: den Sportler, den Schwiegersohn, den Playboy, die Karrierefrau, den Cowboy oder doch den Revoluzzer? Bei einer Wahl kommt es schon lange nicht mehr darauf an, wer die besten Slogans, das beste Programm und das beste Team anbieten kann. Es zählt nur noch, welcher Spitzenkandidat bei einer möglichst großen Wählergruppe am besten ankommt. Natürlich werden Wahlkämpfe schon seit Jahren schmutzig geführt - auch wenn die Schlammschlacht, der sich vor allem die zwei großen Parteien zur Zeit sehr intensiv widmen, diesmal eine ganz neue Dimension zu erreichen scheint.

Sexy Bundestag

Was sich ebenfalls kontinuierlich zu steigern scheint, ist jedoch das Interesse der Wahlberechtigten an den Äußerlichkeiten der Kandidaten. Schon 2011 hat eine deutsche Homepage unter dem Stichwort "Sexy Bundestag" für Aufregung gesorgt, in dem sie über die Attraktivität von Politikern abstimmen ließ. Das wenig überraschende Ergebnis: Junge und weitgehend unbekannte Politikerinnen führen damals das Ranking an. Zwei Jahre darauf kürte eine andere deutsche Seite mit einer weiteren Umfrage einer Singlebörse den grünen Jürgen Trittin und die Linke Sahra Wagenknecht zu den bestaussehendsten Mandataren. Heuer wurde von einer anderen Partnervermittlungsagentur unseres Nachbarlandes eine neuerliche Befragung durchgeführt: Diesmal lagen der bereits zurückgetretene CSU-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg und die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vorne.

Politik ist Macht

Auch in Österreich waren die Slim-fit-Anzüge der Spitzenkandidaten Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) ein weit größeres öffentliches Thema als die Wahlprogramme der beiden. "Wahlkampf heißt, mit seinen Wählerinnen und Wählern zu flirten, sie von der eigenen Person überzeugen, sich selbst inszenieren und trotzdem glaubwürdig zu bleiben", sagt Beziehungs- und Leadership-Coach Dominik Borde: "Politik ist Macht. Und Macht macht sexy."

»Politik ist Macht. Und Macht macht sexy«

Das wissen natürlich auch die Wahlkampfstrategen der Parteien. "Natürlich kann niemand aus einer Maus einen Löwen machen", sagt ein Politikkenner, "aber bereits vorhandene Eigenschaften und äußerliche Besonderheiten zu betonen, ist Teil unseres Geschäfts."

© News Michael Mazohl Beziehungscoach Dominik Borde: "Wahlkampf bedeutet auch, mit seinen Wählerinnen und Wählern zu flirten"

Der Sportler

Genau das passiert auch. So wird der amtierende Bundeskanzler und SPÖ-Spitzenkandidat Christian Kern bewusst als der "aktive Sportler" dargestellt, sagt Coach Dominik Borde. Das zeige sich auch in seiner Optik: "Athletisch, schlank, fit." Das Bild funktioniere auch deshalb, weil Kern so ziemlich jede Massensportart auch tatsächlich aktiv ausübe. Gleichzeitig gilt er als familienorientiert, hat viel von seinem Privatleben preisgegeben und zeigt sich auch in der laufenden Kampagne häufig mit Kindern. Borde: "Kern ist der Partner auf Augenhöhe und hat das klassische Verhalten der Beta-Männer: tough, aber mit einer weichen Seite."

Zudem ist er ist "das Paradebeispiel eines Aufsteigers, der ein Leben lang kämpfen und Ausdauer und Ehrgeiz beweisen muss", so der Experte: "Trotzdem wird ihm die Rolle des Mannes aus Volke nicht ganz abgenommen, auch weil die klassischen SPÖ-Stammwähler mit diesem Weltbild nicht so viel anfangen können." Dazu kommen die Ereignisse der vergangenen Wochen: "Schwierig an der Inszenierung von Kern ist, dass er und sein Team diese – bewusst oder unbewusst – selbst sabotieren." Auch wenn Politiker und Berater längst zugeben, dass "Dirty Campaigning" mittlerweile ein Fixpunkt jedes Wahlkampfes ist, seien Zeitpunkt und der Umgang der SPÖ mit der Affäre nicht sehr förderlich für einen Politiker, der sich Fairness auf die Fahnen geheftet habe.

Der Schwiegersohn

Die Inszenierung von ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz hatte andere Absichten. Laut Coach Borde verkörpert er den "idealen Schwiegersohn": Das macht er, indem er sich volksnah gibt, immer mit offenem Hemdknopf, häufig mit hochgekrempelten Ärmeln: "Er ist keine Schönheit, steht aber für jugendlichen Tatendrang und Unbekümmertheit." Zudem ist Kurz "der typische Macher", sagt Borde, was sich auch in seiner Rhetorik widerspiegele: "Er ist das klassische Alpha-Tier, hat viel Rückendeckung und muss seine Macht daher nicht ausspielen." Dazu passt, dass über Kurz' Privatleben wenig bekannt ist. Kurz repräsentiert dennoch den typischen jungen ÖVP-ler: Aus bürgerlichem Haus, gute Manieren und selbstbewusst: "Er ist der Kandidat, der am offensivsten mit seinen Wählern flirtet, denn er will gefallen."

Dennoch, so der Experte, komme der ÖVP-Chef "oft zu glatt" daher: "An ihm perlen Emotionen ab, er ist ein durch und durch kontrollierter Mensch, es menschelt selten bei ihm". Doch auch auf den ÖVP-Wahlkampf haben die Enthüllungen der vergangenen Wochen um Berater und Homepages laut dem Coach einen nachhaltigen Einfluss, vor allem, weil es bis zum Wahltag kaum möglich sein wird, die Wahrheit aufzudecken: "Für Kurz, der immer betont hat, dass er und sein Team niemals Schmutzwäsche waschen würden und sich als souveräner, nicht untergriffiger, Staatsmann präsentiert hat, sind die neuen Erkenntnisse die Apokalypse pur. Sie beschädigen sein Bild des jungen, ehrlichen Politikers nachhaltig."

Der Playboy

In dieser Hinsicht hat FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache weit weniger zu befürchten. Den vom verkörperten Typ bezeichnet Borde nämlich bereits jetzt als "alternden Playboy". Der Politiker präsentiere sich wie in den vergangenen Wahlkämpfen als "jung, dynamisch und betont männlich, eben als ein Lebemann". Diesmal sei allerdings neu, dass er sich sehr bemühe, "aus dem Oppositions-Image des Kritikers" herauszutreten. Borde weiter: "Er ist aber nicht mehr ganz so jung und mittlerweile auch wieder verheiratet." Dennoch gibt er sich auch auf Plakaten weiterhin als Herausforderer, "ist aber längst nicht mehr so angriffslustig wie in früheren Jahren." Der Trainer sagt: "Strache wirkt angeschlagen, als hätte er seine Rolle noch nicht ganz gefunden." Dazu komme, dass das Wahlvolk ihn und seine Themen kenne: "Überraschen kann er nicht mehr."

Die Karrierefrau

Die einzige Frau in der Spitzenkandidaten-Riege, die grüne Politikerin Ulrike Lunacek, sieht Borde als den Typus "toughe Karrierefrau". Sie sei "die starke Frau, die sich durchsetzt und mit Männern nicht nur mithalten kann, sondern auch punktet." Zudem lebe sie eine perfekte Symbiose von Politik und Privatleben und stehe auch dadurch "zu 120 Prozent für das Weltbild der Grünen". Ihr Manko sei, dass die Inszenierung ihrer Person weit besser bei Frauen als bei Männern wirke. Borde: "Sie ist Männern zu herb, aber mit zu wenig Power, doch dafür ist ihre Persönlichkeit zu leise."

Der Cowboy

Matthias Strolz, Nummer eins der Neos, ist der Politiker-Typ "der breitbeinige Cowboy". Borde: "Er sieht sich selbst als Retter der heimischen Wirtschaftstreibenden und repräsentiert auch selbst eine klassische Unternehmerkarriere – geprägt von Rückschlägen und Erfolgen." Strolz tritt dabei immer ohne Krawatte auf, manchmal auch ohne Sakko. "Er steht breitbeinig auf Bühnen, nimmt betont viel Platz ein."

Ziel des Kandidaten ist es, "der lange Stachel im Fleisch der alteingesessenen Parteien zu sein. Dazu präsentiert er sich betont männlich in Cowboy-Manier als Alpha-Tier." Im Unterschied zu Kurz benimmt er sich dabei aber angriffslustig, bewusst laut und auffällig. "Seine Stolpersteine können sein, dass seine Ideen sprunghaft und häufig nicht zu Ende gedacht sind." Strolz sei eigentlich "der verkappte Kreative, der als Don Quijote ausreitet"

Der Revoluzzer

Der Neo-Parteigründer und früheres Grünen-Urgestein Peter Pilz hingegen verkörpert den "junggebliebenen Revoluzzer". Er sei "der ewige Student unter den Kandidaten, auch wenn er schon längst sein Studium abgeschlossen hat", sagt Borde. Aber allein vom Wesen her bleibe er "der Aufdecker, der Wadlbeisser".

© News Marcus Deak Der Neo-Parteigründer ist vom Wesen her der junggebliebene Revoluzzer

Das spiegelt sich sowohl in seinem Äußeren – er trägt niemals Hemd oder Krawatte – wie auch in der Art seiner Präsentation: einem Understatement, das wiederum Aufmerksamkeit erregt. "Er ist das Paradebeispiel der 68er-Bewegung, ein künstlerischer Freigeist, der sehr konsequent das Establishment ablehnt." Dennoch, so der Experte: "So visionär er auch ist: Seine Trennung von den Grünen lässt ihn wie eine beleidigte Leberwurst wirken. Das ist kindisch und gibt Minuspunkte."

Welcher Kandidat, welche Kandidatin, am kommenden Sonntag am besten ankommt, muss schlussendlich jeder für sich selbst in der Wahlzelle entscheiden. Einer gewissen Attraktivität – nicht nur in Bezug auf das Wahl- und Parteiprogramm der Wunsch-Partei, sondern auch des jeweiligen Spitzenkandidaten – kann sich aber wohl kaum jemand entziehen. Dafür sorgt schon die Psychologie – und die von den Wahlkampfstrategen jahrelang geplante Inszenierung.