Unbedankte Heldinnen

In den Lockdowns haben sie gehört: Sie sind systemrelevant. Sie konnten nicht ins Homeoffice wechseln und sorgten dafür, dass die Grundversorgung gewährleistet war. Und dennoch: Trotz anstrengender Arbeitsbedingungen werden gerade ihre Tätigkeiten finanziell nicht entsprechend gewürdigt. News sprach mit fünf Frauen, die etwa als Reinigungskraft, Supermarktkassierin oder Bäckereiverkäuferin arbeiten, und hörte sich bei Arbeitnehmervertretern um, wie die Rahmenbedingungen in den jeweiligen Branchen aussehen

von Politik - Unbedankte Heldinnen © Bild: Matt Observe/News

Vorbemerkung eins: Es gibt viele Menschen, die viel aus ihrem Arbeitsalltag zu erzählen haben. Nicht alle wollen das allerdings unter ihrem Namen tun und kaum jemand möchte seinen Arbeitgeber nennen. Der Arbeitsalltag läuft oft nicht ideal ab und die Bezahlung könnte immer besser sein. Aber jeder ist froh, diesen Job zu haben, und möchte ihn behalten. Dies gilt umso mehr für Branchen, in denen eine hohe Fluktuation herrscht und jeder rasch ersetzbar ist. Oft geht es auch nicht um Missstände in einem konkreten Betrieb, wie in Gesprächen mit Gewerkschaftsvertretern klar wird. Vielmehr ziehen sich die Missstände meist durch die ganze Branche. Oft werde dann von Arbeitgeberseite mit Kosten- und Wettbewerbsdruck argumentiert. Und die Arbeitenden? Nun, sie sind eben froh, gerade in Krisenzeiten wie derzeit überhaupt einen Arbeitsplatz zu haben.

Vorbemerkung zwei: Es ist kein Zufall, dass wir bei der Suche nach Gesprächspartnern vor allem auf Frauen stießen. Der Handel, die Reinigung, die Pflege, aber auch die Kinderbetreuung sind weibliche Branchen. Sieht man die Arbeitswelt als Familie, sind die Frauen, die andere pflegen, die dafür sorgen, dass wir etwas zu essen haben, oder sich um unsere Kleinkinder kümmern, so etwas wie die guten Seelen. Man schätzt sie, sagt aber selten Danke und noch weniger drückt man seine Wertschätzung monetär aus. Vielleicht kommt hier zum Tragen, dass sie selbst nur selten die sind, die laut schreien und auf sich aufmerksam machen. Sie funktionieren - manchmal, muss man sagen, schon fast zu klaglos. Vielen ist es ein Anliegen, zu vermitteln, wie gerne sie ihre Arbeit machen und was sie an ihr schätzen. Umso wichtiger ist es, hier einmal genau hinzuschauen.

Petra Z.

  • Alter: 43 Jahre
  • Tätigkeit: Reinigungskraft
  • In diesem Beruf: seit 2015
  • Beim aktuellen Arbeitgeber beschäftigt: seit 2018
  • Wochenarbeitszeit: 20 Stunden
  • Aktueller monatlicher Nettobezug (ohne Sonderzahlungen): rund 750 Euro
© Matt Observe/News Petra Z. ist Reinigungskraft in einem Pflegeheim. Den Corona-Bonus hat sie nicht bekommen

Petra Z. beginnt ihren Dienst um sechs Uhr früh. Sie arbeitet als Reinigungskraft in einem Pflegeheim in Niederösterreich. Die 43-Jährige ist gelernte Köchin und hat auch viele Jahre gekellnert. In der Küche sei es ihr rasch zu fad geworden, "da redet keiner mit mir", erzählt sie. Das Kellnern wiederum sei sehr stressig, dazu kommen die ungeregelten Arbeitszeiten. Das sei schwer mit der Betreuung eines Kindes zu vereinbaren. Seit 2015 arbeitet sie daher in der Reinigung, seit 2018 ist sie für ihren derzeitigen Arbeitgeber tätig. Dabei handelt es sich um eine Reinigungsfirma. Petra Z. ist also in einer Pflegeeinrichtung beschäftigt, gehört aber nicht zu deren Belegschaft.

Dieses Phänomen ist in der Reinigungsbranche weit verbreitet, sagt Monika Rosensteiner. Sie ist Vorsitzende des Bereichs Gebäudemanagement in der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida und schätzt, dass über 80 Prozent der rund 45.000 in der Reinigung Beschäftigten nicht mehr direkt im Betrieb, sondern eben in einer Reinigungsfirma angestellt sind. Einen Betriebsrat gibt es dabei nur in den großen, das seien etwa ein Dutzend. Österreichweit gebe es allerdings Hunderte solcher Firmen, das Gros von ihnen seien Betriebe, in denen gerade einmal eine Handvoll Leute beschäftigt seien.

Ständig unter Zeitdruck

Die Reinigungsfirmen seien ihrerseits massiv unter Druck. Firmen würden Reinigungsaufträge oft nur mehr auf Zeit vergeben, daraufhin werde neu ausgeschrieben. Dann gelte: "Den Zuschlag bekommt immer der Billigstbieter." Für den Alltag von Reinigungskräften bedeutet das: Sie werden oft von Objekt zu Objekt geschickt, müssen zwei Stunden hier und drei Stunden dort wischen, saugen, Toiletten putzen. Die Zeit, die der Auftraggeber für die Reinigung seines Objekts vorgibt, ist häufig knapp bemessen. Das bedeutet massive Arbeitsverdichtung und permanenten Stress. Petra Z. hat das Glück, nur an einem Arbeitsort zum Einsatz zu kommen. Ihren Arbeitstag beginnt sie damit, im Speisesaal und in der Cafeteria den Boden sowie die Toiletten zu reinigen. Danach beginnt sie den Dienst auf "ihrer Station". Dort reinigt sie die Zimmer der Menschen, die hier betreut werden, manchmal sind es Einbettzimmer, manchmal Doppelzimmer, alle haben ein Bad und eine Toilette. Jede Einheit muss sie in zehn bis zwölf Minuten geputzt haben. "Das ist ein großer Zeitdruck." 20 Zimmer sind ihr tägliches Pensum. Ist in einem mehr zu tun, muss sie die Zeit in einem anderen wieder hereinbringen.

Pitschnasse Masken

Die Coronapandemie hat den Arbeitsdruck nochmals erhöht. "Man muss eigentlich alles doppelt und dreifach desinfizieren." Die Arbeitszeit wurde aber nicht verlängert. "Man muss also schneller arbeiten." War das Zimmer von jemandem zu reinigen, der an Covid-19 erkrankt war, kam das An-und Ausziehen der Schutzkleidung dazu. Stichwort Schutz: Die Masken sind bis heute ständiger Begleiter. "Nach zwei Stunden Arbeit ist die Maske pitschnass."

Und trotz allem: Petra Z. mag ihren Job. Ja, der Stress sei manchmal schon groß. Aber sie liebt es, ein bisschen mit den Bewohnern zu plaudern. Und sie ist froh, hier fixe Arbeitszeiten und eine 20-Stunden-Stelle zu haben: So kann sie sich gut um ihr schulpflichtiges Kind kümmern. Wie viel sie verdiene? Die Reinigungskraft nennt einen Stundensatz von 9,48 Euro brutto. Im Schnitt landen im Monat rund 750 Euro netto auf ihrem Konto.

Dass die Reinigungsbranche auch im Kollektivvertrag nur Stundensätze und kein Monatsgehalt vorsieht, stört Rosensteiner. Auch das trage zum schlechten Image dieses Berufsstandes bei. Als weitere Problemstelle nennt sie den hohen Teilzeitanteil - der nicht immer von allen gewollt ist. Er ergibt sich vielmehr oft durch die geteilten Dienste. Da Reinigungskräfte vor allem in Büros außerhalb der üblichen Arbeitszeiten für Sauberkeit sorgen sollen, sind Dienste zwischen sechs und acht Uhr sowie zwischen 17 und 20 Uhr die Regel. Reinigungspersonal soll oft nicht sichtbar sein. Doch wen man nicht sieht, dessen Arbeit wird auch nicht wertgeschätzt, ist Rosensteiner überzeugt.

Einen Corona-Bonus in Höhe von 500 Euro haben übrigens nur jene Beschäftigten erhalten, die direkt in einem Unternehmen angestellt sind, nicht aber die vielen, die für Reinigungsfirmen arbeiten. Auch Petra Z. hat keinen solchen Bonus bekommen. Und nein, fair findet sie das nicht.

Stefanie F.

  • Alter: 27 Jahre
  • Tätigkeit: Elementarpädagogin
  • In diesem Beruf: seit 2014
  • Beim aktuellen Arbeitgeber beschäftigt: seit 2014
  • Wochenarbeitszeit: 40 Stunden
  • Aktueller monatlicher Nettobezug (ohne Sonderzahlungen): rund 1.700 Euro
© Matt Observe/News Stefanie F. ist Elementarpädagogin und betreut meist alleine 25 Kinder in ihrer Gruppe

Fair findet auch Stefanie F. nicht, wie viel Verantwortung Elementarpädagoginnen aufgebürdet wird. Seit 2014 arbeitet sie in dem Beruf - und damit länger als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Das Gros der Absolventen dieser Ausbildung geht nach der Matura erst gar nicht in den Beruf, weiß Eva Scherz, die in der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) für diesen Bereich verantwortlich zeichnet. "Und viele andere bleiben nicht lange, da die Versprechen der Ausbildung nicht gelebt werden können: Es gibt zu große Gruppen und zu wenig Unterstützungspersonal, eine hohe Erwartungshaltung der Eltern und wenig gesellschaftliche Anerkennung nach dem Motto: Auf Kinder aufpassen kann jeder."

All das kann Stefanie F. nur bestätigen. Wenn sie Frühdienst hat, ist sie mit den Kindern der Sammelgruppe alleine. Aber auch wenn sie während der Kernzeit des Kindergartens ihre eigentliche Gruppe betreut, ist sie meistens alleine mit bis zu 25 Mädchen und Buben zwischen drei und sechs Jahren. Eine Assistentin unterstützt nur, wenn Frühstück, Mittagessen oder Jause auf dem Programm stehen. Sonst ist es F.s Alltag, dass sie gleichzeitig die Gruppe im Blick behalten und ein Kind, das etwa gerade dabei ist, sauber zu werden, auf die Toilette begleiten muss. "Wir springen da zwischen Toilette und Gruppe hin und her, damit die Kinder nicht ganz alleine sind. Da sind unsere Ohren wichtig, das ist ein ganz schöner Spagat, den man da machen muss."

Stefanie F. sagt, "es ist schwierig, wenn man alleine ist und weiß, dass man sich um ein Kind besonders kümmern sollte, aber nicht wirklich kann, weil ja auch noch andere Kinder da sind. Dann fühlt man sich schlecht, weil man nicht allen Kindern bieten kann, was nötig wäre." Sie und viele ihrer Kolleginnen seien mit dem Herzen bei ihrer Tätigkeit. "Aber oft kann man nicht allen Kindern geben, was sie brauchen, man muss quasi sondieren: Wem gebe ich die Aufmerksamkeit, wem gebe ich das, was ich jetzt zur Verfügung habe?" Auch deshalb würden viele Elementarpädagoginnen den Beruf nicht lange ausüben. Man trage schließlich auch die Verantwortung dafür, dass sich kein Kind verletze - aber springe teils zwischen Garderobe, Gruppenraum und Waschraum hin und her. Und trotz dieser hohen Belastung - die auch durch die Coronapandemie noch verstärkt wurde - sei der Verdienst bescheiden. F. erhält an ihrer Vollzeitstelle nach sieben Dienstjahren monatlich rund 1.700 Euro netto. Das Einstiegsgehalt liegt in der Branche derzeit bei 2.396 Euro brutto, so Scherz.

Angst vor der Verantwortung

Geht es nach Stefanie F., wäre es wichtig, dass künftig weniger Kinder pro Gruppe von mehr Pädagoginnen betreut würden. Im Idealfall sollte eine Pädagogin sich um vier Kinder im Krippenalter oder zehn Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren kümmern und dabei während des ganzen Tages von einer Assistentin unterstützt werden. Viele Berufseinsteigerinnen würden sich derzeit regelrecht vor der Verantwortung fürchten. F. wünscht sich zudem, dass "angemessen bezahlt wird". "Die Rahmenbedingungen passen einfach nicht", betont auch Scherz. Knapp 62.000 Pädagoginnen und Pädagogen (sowie Assistentinnen und Assistenten) arbeiten österreichweit in Kindergärten und Horten, wobei der Frauenanteil enorm hoch ist: nur knapp 1.900 Männer sind derzeit in dem Beruf tätig. Für Pädagoginnen fordert die GPA ein Mindestgehalt von 2.500 Euro brutto, einen besseren Pädagogin-Kind-Schlüssel, mehr Vor- und Nachbereitung in der Arbeitszeit und einen bundesweit einheitlichen Kollektivvertrag. Derzeit sind die Rahmenbedingungen für die Arbeit in Kindergärten in jedem Bundesland, aber auch bei jedem Träger anders. Das führte in der Coronapandemie auch dazu, dass es, anders als im Gesundheitsbereich, keine klaren Regeln für hier Beschäftigte gegeben habe. Anders als im Gesundheitsbereich hätten sich aber jene, die mit kleinen Kindern arbeiten, viel schlechter schützen können. Vor allem zu Beginn der Pandemie sei die Angst vor Ansteckung groß gewesen.

Sandra Nikolic

  • Alter: 30 Jahre
  • Tätigkeit: Heimhilfe
  • In diesem Beruf: seit 2014
  • Beim aktuellen Arbeitgeber beschäftigt: seit 2014
  • Wochenarbeitszeit: 25 Stunden
  • Aktueller monatlicher Nettobezug (ohne Sonderzahlungen): rund 1.200 Euro
© Matt Observe/News Sandra Nikolic ist Heimhilfe. Im ersten Lockdown hatte sie Angst, ihre Familie anzustecken

Das berichtet auch Sandra Nikolic. Die 30-Jährige arbeitet in Wien als Heimhilfe. "Den ersten Lockdown werde ich nie vergessen. Von einem Tag auf den anderen haben wir mit Masken und Handschuhen gearbeitet, die Klienten waren aufgewühlt und konnten ihre Angehörigen nicht sehen, einige waren desorientiert, andere sind in ein schwarzes Loch gefallen. Und wir hatten ständig Angst, dass wir das Virus nach Hause mitbringen. Ich war in meiner Familie die Einzige, die in den ersten Wochen draußen war, das war so schlimm für mich. Ich hatte in mir ständig dieses Angstgefühl, dass ich meine Familie anstecke."

Dabei ist die Arbeit in der Pflege schon in Normalzeiten mehr als herausfordernd. Nikolic arbeitet 25 Stunden in der Woche, pro Arbeitstag hat sie fünf bis sechs Klienten zu betreuen. Wie lange man bei einem Klienten im Einsatz sei, wird vorher festgelegt - manchmal eine halbe Stunde, manchmal fast zwei Stunden. Auch sie erzählt, dass sie ihren Job liebt, "jeder Tag ist anders und wir sind alles Mögliche, manchmal schneiden wir auch Haare, reparieren eine Brille oder eine Rollstuhllehne".

Oft zu Mehrstunden verpflichtet

Anstrengend sei es aber, ständig unter Zeitdruck zu arbeiten. "Da geht sich all das, was zu tun ist, einfach nicht in einer halben Stunde aus, selbst wenn wir rennen und dann schwitzen wie verrückt." Und dann gebe es auch noch die Klienten, die meinen, die Heimhilfe sei eine Putzkraft. "Sehr viele schätzen, was wir machen, aber viele sind auch nicht sehr dankbar. Manche glauben, wir sind Roboter, aber das sind wir nicht."

Österreichweit arbeiten rund 68.000 Personen im Bereich Pflege. An die 21.500 sind wie Nikolic in der mobilen Pflege und Betreuung tätig, rund 45.500 in der stationären Pflege und der Rest arbeitet für teilstationäre Dienste. Der Frauenanteil in dieser Branche beträgt 82 Prozent, sagt Eva Scherz von der GPA, etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten arbeitet Teilzeit. Oft werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber zu Mehrstunden verpflichtet, es besteht ein Mangel an Arbeitskräften in der Pflege. Dieser sei durch die Pandemie noch verschärft worden. "Es braucht bessere Arbeitsbedingungen, allen voran eine Arbeitszeit, die den psychischen und physischen Anforderungen gerecht wird, mehr Personal und eine höhere Bezahlung", fordert Scherz. Sandra Nikolic erhält für ihre 25-Stunden-Woche netto 1.200 Euro im Monat. Da sie nicht alleinverdienend ist, geht es sich mit dem Gehalt ihres Mannes gut aus, sagt sie - und nachmittags habe sie Zeit für die zwei Kinder. Das sei ihr wichtig.

Claudia Brunner

  • (Name von der Redaktion geändert)
  • Alter: 40 Jahre
  • Tätigkeit: Bäckereiverkäuferin
  • In diesem Beruf: seit rund zehn Jahren
  • Beim aktuellen Arbeitgeber beschäftigt: seit sieben Jahren
  • Wochenarbeitszeit: 40 Stunden
  • Aktueller monatlicher Nettobezug (ohne Sonderzahlungen): 1.350 Euro

Sich gut um ihren Sohn kümmern zu können war auch Claudia Brunner ein Anliegen. Claudia Brunner ist Ladnerin, arbeitet also als Verkäuferin bei einer Bäckereikette. Diese Berufsgruppe ist in den vergangenen Wochen medial besonders im Fokus gestanden. Hier eine Arbeitskraft zu finden, die über ihren Arbeitsalltag erzählt, war daher alles andere als einfach. Ein bereits ausgemachter Interviewtermin platzte. Und so heißt Claudia Brunner auch nicht wirklich Claudia Brunner, nur anonym und ohne sie zu fotografieren war sie bereit, über ihren Arbeitsalltag zu erzählen.

Claudia Brunner ist gelernte Friseurin. Als sie in ihrem Beruf trotz zig Bewerbungen keinen Job finden konnte, begann sie, in einer Konditorei Torten zu backen. Später arbeitete sie im Backshop einer Supermarktkette, dann als Kassierin bei einem anderen Nahversorger. Doch ständig habe sie dort Nachmittagsdienste machen müssen, und das zu einer Zeit, als ihr Sohn noch klein gewesen sei. Sie habe sich daher nach einer anderen Tätigkeit umgesehen.

Aufstehen um 4.30 Uhr

Seit sieben Jahren arbeitet sie als Ladnerin in einer Bäckereikette in Wien. Als Filialleiterin trägt sie die Verantwortung für den Standort. Sie mag ihre Arbeit, liebt es, mit Kunden zu plaudern, vor allem aber, Kunden zufrieden zu sehen. Dass es da vor allem in der Früh stressig werden kann, macht ihr grundsätzlich nichts aus. "Ich mag den Stress." Dennoch bemühe sie sich immer, freundlich zu sein. Das spiegle sich dann in netten Bemerkungen von Kunden wider, die ihr für ihre immer gute Laune danken, erzählt Brunner.

Allerdings sagt auch sie, dass die Aufgaben vielfältig und die Bezahlung dafür sehr niedrig sei. Das werde ihr immer wieder gesagt, wenn sie als Filialleiterin neue Mitarbeiterinnen suche. "Wir müssen ja sogar selbst reinigen. Es gibt keine Extrareinigungskraft mehr."

Claudia Brunner beginnt ihren Arbeitstag an jedem Wochentag gegen halb sechs Uhr in der Früh. Um halb fünf Uhr steht sie auf, der Weg zur Arbeit dauert mit dem Auto eine Viertelstunde. Das Auto muss sie nehmen, da die U-Bahn zu dieser Zeit noch nicht fährt. Der Arbeitgeber schießt hier finanziell nichts zu. Dann beginnt sie, Tiefkühlware aufzubacken da wird es in der Küche der Filiale rasch sehr warm: Bis zu 45 Grad hat es dann.

Kurzarbeit unter der Armutsgrenze

Das frisch aufgebackene Gebäck und die angelieferten Süßspeisen schlichtet sie dann in die Regale. Und schließlich steht noch das Zubereiten frisch belegter Weckerl auf ihrem Arbeitsplan. Um sechs Uhr öffnet die Filiale dann nehmen Kunden ihr Frühstück mit oder essen es an einem der Tische. Endlich kommt dann auch eine weitere Mitarbeiterin, die ihr hilft. Drei Schichten gibt es in dieser Filiale. Auch die Kollegin, die schließlich die Filiale schließt, steht in den letzten Stunden alleine hinter der Theke.

Inklusive Filialleiterin-Zulage landen monatlich netto 1.350 Euro auf Brunners Konto, und das trotz einer 40 Stunden Woche. Viele Monate lang waren es zuletzt sogar nur rund 1.000 Euro, erzählt die Ladnerin. Sie und ihre Kolleginnen seien pandemiebedingt in Kurzarbeit geschickt worden. Insgesamt sei diese Zeit nicht leicht gewesen. Mit den Masken sei es angesichts der Hitze sehr anstrengend, zu arbeiten, und jene wenigen Masken, die sie zu Beginn vom Arbeitgeber bekommen hätten, hätten im Gesicht eingeschnitten. Inzwischen müssen sie sich die Masken für die Arbeit selbst besorgen.

Besonders ärgert sich Brunner, dass nicht einmal ein Danke oder eine kleine Aufmerksamkeit wie etwa eine Bonbonniere von der Geschäftsführung kam, und auch Bonus habe es keinen gegeben. Vor allem ein Danke hätte gutgetan. Schließlich seien ihre Kolleginnen und sie anfangs in großer Sorge gewesen, sich mit dem Virus anzustecken, dennoch hätten sie den Betrieb weiterhin aufrechterhalten. Durch das permanente Desinfizieren und Tragen von Handschuhen seien die Hände rau und trocken gewesen, sie habe noch nie so viel Handcreme benutzt wie in dieser Zeit.

Die Fluktuation ist hoch

Erwin Kinslechner ist Branchensekretär für den Bereich Nahrung in der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge. Er weiß um die schwierigen Arbeitsbedingungen in den Bäckereifilialen und auch, dass der Kollektivvertrag der Ladnerinnen und Ladner besonders niedrig dotiert ist. Der Stundenlohn betrage 9,41 Euro. Da viele Beschäftigte nur für 20 oder 30 Stunden eingestellt würden, verdienen sie nur 700 bis 800 Euro. "Damit kann man nicht über die Runden kommen." Der Frauenanteil betrage 90 Prozent, die Fluktuation sei hoch. "Leute arbeiten oft nur für ein paar Monate in einer Bäckereifiliale, bis sie einen anderen Job gefunden haben."

Kinslechner sagt: "Wenn man nicht gerecht und fair bezahlt, werden die Leute nicht bleiben." Er fordert einen Mindestlohn von 1.700 Euro brutto und sagt mit Verweis auf die Lockdowns: "Das ist ein systemrelevanter Beruf." Dazu komme die nötige Bereitschaft, sehr früh und an Wochenenden zu arbeiten, konfliktfähig zu sein und Small Talk führen zu können, aber auch physische Ausdauer zu haben. Zu der Hitze durch die Backautomaten kommt die durchgehend stehende Tätigkeit. "Und auch Arbeitsverdichtung ist ein großes Thema." In kleineren Filialen sei oft eine Mitarbeiterin alleine im Dienst, da sei es schon ein Problem, wenn sie einmal auf die Toilette gehen müsse. "Das ist Stress pur." Kinslechner berichtet auch von immer wiederkehrenden Schwierigkeiten mit Mehr und Überstundenabrechnungen in manchen Betrieben.

Sandra Huber

  • Alter: 35 Jahre
  • Tätigkeit: Supermarktkassierin
  • In diesem Beruf: seit 17 Jahren
  • Beim aktuellen Arbeitgeber beschäftigt: seit acht Jahren
  • Wochenarbeitszeit: 27 Stunden
  • Aktueller monatlicher Nettobezug (ohne Sonderzahlungen): rund 1.350 Euro
© Matt Observe/News Sandra Huber arbeitet bei einer Supermarktkette. Sie ist zufrieden, aber es gibt auch Stress

Sandra Huber arbeitet seit 17 Jahren im Einzelhandel, seit acht Jahren ist sie als Kassenkraft in einer Wiener Filiale einer Supermarktkette tätig. Da sie zuvor für ein Konkurrenzunternehmen gearbeitet hat, hat sie den direkten Vergleich: Gut gehe es ihr bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber. Hier würden geleistete Stunden korrekt abgerechnet und man könne in Pause gehen.

Einen typischen Arbeitstag beginnt Huber damit, die Qualität von Obst und Gemüse zu kontrollieren. "Alles, was man um den Preis nicht kaufen würde, muss heraus." Dann wechselt sie zwischen Kassa und etwa dem Fleisch hin und her. Das kann in Stress ausarten, da das Fleisch nicht ungekühlt herumstehen darf. Ist sie beim Fleisch einräumen, muss sie darauf achten, dass die Kühlkette nicht unterbrochen wird, falls sie an der Kasse gebraucht wird.

Kassieren und putzen

Und dann ist da auch noch die Sauberkeit der Filiale. Fällt einem Kunden eine Kirsche auf den Boden, muss diese sofort beseitigt werden, damit niemand ausrutscht. Aber auch das WC zu putzen gehört zur täglichen Arbeit. Einen Reinigungsdienst gebe es an ihrem Standort nicht.

Wichtig ist Huber, zu vermitteln: "Wir sind nicht nur Leute, die hinter der Kassa sitzen." Viele Kundinnen und Kunden hätten Redebedarf, erzählen die halbe Lebensgeschichte oder fragen, was man mit einer Mango machen könne. "Wir sind eine Anlaufstelle für so ziemlich alles."

Die Lockdowns hat sie als besonders anstrengend erlebt, vor allem jeweils den Beginn. "Es wurde in den Zeitungen verbreitet, dass vielleicht ein Lockdown kommt, und dann ist die Hysterie losgegangen und wir wurden gestürmt. Das war auch beim zweiten und dritten Mal so." Zwölfstundentage seien für viele Mitarbeiter dann die Regel gewesen. Da sie in Elternteilzeit sei und der Kindergarten nicht bis in die Abendstunden geöffnet habe, sei sie davon verschont geblieben. Sie habe allerdings vor allem im ersten Lockdown mehr gearbeitet als ihre vertraglich vereinbarten 27 Stunden pro Woche. Für diese bekommt sie rund 1.350 Euro netto pro Monat und ist damit sehr zufrieden. Sie wisse, dass ihr Arbeitgeber besser zahle, als dies in anderen Supermarktketten der Fall sei.

Mehr als die Hälfte in Teilzeit

Das Einstiegsgehalt für Verkäuferinnen im Handel liegt bei einer 38,5-Stunden-Woche bei 1.740 Euro brutto, nach zehn Jahren gebe es bei einer Vollzeitstelle derzeit 2.034 Euro brutto, sagt Anita Palkovich, die in der GPA für den Bereich Handel zuständig ist. Etwas mehr als 421.000 Menschen arbeiten in Österreich in dieser Branche, 264.000 von ihnen sind Frauen und fast 40 Prozent der Angestellten sind im Lebensmittelhandel tätig. Dort beträgt die Teilzeitquote weit über 50 Prozent.

Das heißt aber nicht, dass die Beschäftigten tatsächlich nur Teilzeit arbeiten. "Die meisten müssen für Mehrarbeit zur Verfügung stehen, und viele wünschen sich hier mehr Verlässlichkeit bei der Arbeitszeitplanung", so Palkovich. Der Lebensmittelhandel nutze von allen Handelsbranchen die Möglichkeiten bei den Öffnungszeiten am meisten aus. 72 Stunden in der Woche seien möglich und gerade die Arbeitsstunden am Abend seien für viele belastend. Problematisch sei aber auch, dass in vielen Filialen die Arbeitszeit geteilt werde. Dadurch entstehen lange Pausen, die nicht genutzt werden könnten und vor allem Frauen vor große Probleme mit der Kinderbetreuung stellen.

Problem: Arbeitsverdichtung

Dann ist da auch in dieser Branche noch die Arbeitsverdichtung. "Die personellen Ressourcen werden meist von Computerprogrammen nach Kundenfrequenz und Lieferungen zum Verschlichten berechnet", sagt Palkovich. "Ausfälle durch Krankenstände, Arztbesuche oder Kündigungen werden meist nicht genügend berücksichtigt. Unterbesetzung steht in vielen Geschäften auf der Tagesordnung, und damit wächst der Druck auf die Beschäftigten, denn der Kunde ist König und verzeiht selten."

Um die Arbeitsbedingungen von Mitarbeitern im Lebensmittelhandel zu verbessern, fordert Palkovich eine Mindestbesetzung in den Filialen. Im Sommer sollten die Beschäftigten mindestens zwei Urlaubswochen in Anspruch nehmen können und Mehrarbeit müsse sofort bezahlt werden. Vollzeitbeschäftigte bekommen Überstunden nämlich am Ende eines Monats ausbezahlt, Teilzeitkräfte, die Mehrarbeit leisten, müssen dagegen drei Monate auf die Bezahlung warten.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 33/2021