"Nudging": Ein kleiner
Schubs in die richtige Richtung

Die subtile Steuerung des Bürgerverhaltens ist zum weltweiten Politik-Trend geworden

Immer mehr Regierungen setzen anstelle von Vorschriften auch auf das Konzept "Nudging". Dabei sollen Bürger durch kleine Verhaltensanreize in die richtige Richtung "geschubst" werden, aber zugleich ihre Wahlfreiheit behalten. Ein weltweiter Vorreiter ist Singapur.

von Polizeikontrolle auf der Autobahn © Bild: APA/dpa/Armin Weigel

Auf den Marktständen in einer großen Markthalle in Singapur tauchen seit kurzem vermehrt rote Sticker auf. Sie tragen, wie die BBC berichtet, Aufschriften wie "Hier gibt es auch gesündere Varianten" oder "Wir benutzen gesunderes Öl". Was harmlos wirkt, ist Zeichen eines großen, weltweiten Trends zur politischen Verhaltenssteuerung, dem sich auch schon Barack Obama verschrieben hatte: Dem "Nudging". Dieses Konzept wurde 2008 durch die Wirtschaftswissenschafter Richard Thaler und Cass Sunstein entwickelt. Es basiert auf einer Erkenntnis der Verhaltensökonomie, wonach es für Verhaltensänderungen nicht unbedingt Verbote oder Gebote brauche. Es genügen schon sanfte Anreize ("Nudges"), um das Verhalten von Menschen vorhersagbar zu beeinflussen.

Fliegenbilder auf den Pissoirs

Das Wort "Nudging" (Anschubsen) geht auf Elefantenmütter zurück, die ihre Jungen mit ihrem Rüssel sanft in eine bestimmte Richtung, etwa zu einem Wasserloch, schubsen. Den Rest des Weges müssen die Elefantenjungen aber dennoch allein gehen. Auch die politischen Schubser sollen nicht mit Zwang verbunden sein, sondern man kann sich ihnen auch widersetzen ("Opt-Out-Modell"). Dennoch werden die meisten Menschen einem entsprechenden Anreiz folgen. Für die Politik ein attraktives Modell: Zwang ist teuer, Freiwilligkeit kommt dem Staat hingegen günstig. In den vergangenen Jahren entwickelten weltweit zahlreiche Regierung Nudging-Strategien. Eine Vorreiterrolle nahm die Regierung Obama ein, aber auch Großbritannien zog nach. Im Vorjahr erhielt Richard Thaler den Wirtschaftsnobelpreis.

In Guatemala schickte die Regierung jedem, der seine Steuererklärung noch nicht abgegeben hatte, einen Brief. In diesem wurde einfach nur darauf hingewiesen, dass die meisten Menschen ihre Steuern bezahlen und nicht hinterziehen würden. Das soll zu einem deutlichen Anstieg bei den Steuereinnahmen geführt haben. Ein etwas simplereres Beispiel aus dem Alltag: Auf dem Flughafen Amsterdam halfen Bilder von Fliegen auf den Pissoirs dabei, die Zielgenauigkeit der Benutzer zu erhöhen, und reduzierten so Verunreinigungen um 80 Prozent. Die eingangs erwähnten roten Sticker in Singapur sind Teil einer Kampagne der Gesundheitsförderungsbehörde des Staates. Lokale erhalten eine Förderung, wenn sie auch gesündere Optionen anbieten.

Nudging sogar in der Familienplanung

Singapur ist weltweit einer der Vorreiter bei der Anwendung von Nudging-Konzepten. Dort wurde diese Art der Verhaltenssteuerung schon praktiziert, lange bevor es einen Namen dafür gab. Das südostasiatische Stadtstaat ist für seine außergewöhnliche Ordentlichkeit und Effizienz bekannte. Erreicht werden konnte das aber nur mit zahlreichen öffentlichen Kampagnen, die teils stark in das Privatleben der Bürger eingriffen. Neben Slogans wie "Haltet Singapur rein" und "Pflanzt Bäume" wurde auch "Bei zwei ist Schluss", bezogen auf die Kinderzahl, propagiert. Im Unterschied zum großen Nachbarn China wurde dennoch auf staatlichen Zwang verzichtet. Pflichtbewusstsein und sozialer Druck führten dazu, dass die Singapurer sich den Nudges entsprechend verhielten.