„Das ist der Tod der kleinen Märkte!“

Die Stadt Wien will das Gastro-Angebot auf Märken massiv einschränken

Ein kleines „Merkblatt“ mit großer Wirkung: Es informiert über eine neue Regelung in der Marktordnung. Seit dem ersten Juli werden keine Nebenrechte mehr vergeben. Betreiber, die einen Stand neu übernehmen, dürfen damit ab sofort weder Speisen noch Getränke ausgeben. Das stößt auf breiten Widerstand. Bei Oppositions-Politikern, bei Standlern, aber auch bei Besuchern.

von Stadtleben - „Das ist der Tod der kleinen Märkte!“ © Bild: Tamara Sill

Laut Marktordnung darf derzeit höchstens ein Drittel der Stände als reine Gastronomiestände betrieben werden. Zu diesen kommen noch Lebensmittel-Stände mit dem nun verbotenen „Nebenrecht“. Kleinen Gemüse- oder Delikatessenläden war es bisher erlaubt, an bis zu acht Sitzplätzen zu servieren. Das hat nun ein Ende.

»Märkte müssen wieder Nahversorger werden. Und nicht Fressmeile!«

Absenderin des Merkblatts ist die Stadträtin der SPÖ, Ulli Sima. In den vergangenen Jahren sei es laut Sima zu einem „Wildwuchs“ an Gastro-Ständen gekommen. Die Wiener Märkte sollen wieder zu ihrer ursprünglichen Funktion zurückkommen. „Nämlich Nahversorger sein. Und keine reine Fressmeile“, meint Sima. Die Stadt wolle aber keinesfalls die Gastronomie auf den Märkten verbieten, sondern lediglich eine „Hintertüre schließen“. Denn nur so könne die Vielfalt auf den Märkten erhalten bleiben.

Keine „mittelalterliche Stadtpolitik“

Der ÖVP Stadtrat Gernot Blümel kann die Neureglung nicht nachvollziehen: „Die Wiener Märkte sind Zentrum der Lebensqualität und gleichzeitig Raum für modernes, urbanes Lebensgefühl geworden. Hier sorgen Tradition und Moderne gleichermaßen für Geborgenheit im Grätzel und Großstadtgefühl.“ Die Beschränkungspolitik von Rot-Grün bedrohe die Märkte und damit dieses Lebensgefühl. „Wir wollen“, so Blümel weiter „keine mittelalterliche Stadtpolitik!“ Die ÖVP plädiert stattdessen für flexiblere Regelungen und mehr Marktstandorte. Sie fordern, dass Marktgebiete in Stadtentwicklungsareale mitbedacht werden.

»Die Stadt will die Wiener Märkte offenbar umbringen«

„Diese schwachsinnige Neuregelung ist absoluter Wahnsinn. Die Stadt will die Wiener Märkte offenbar umbringen. Denn anstatt die Sitzplatzbeschränkungen für Handelsstände zu lockern, werden den Marktständen nun die Verabreichungsplätze komplett gestrichen“, kommentierte der NEOS-Wirtschaftssprecher Markus Orning die Verordnung. Die Mischformen, also Stände, wo man sowohl Lebensmittel kaufen als auch essen und auch trinken kann, seien nicht das Problem, meint die FPÖ. Vielmehr liege die Schuld an den „unkontrolliert vergebenen Gastro-Lizenzen“.

Vom totgesagten Lebensmittelmarkt zum belebten Grätzlzentrum

Gerade kleine Märkte sind auf die Hybridkonzepte angewiesen. Dadurch konnten sich viele von einem wenig frequentierten Lebensmittelmarkt zu einem belebten Grätzlzentrum wandeln. Das beste Beispiel ist der Schwendermarkt im 15. Bezirk. Hier findet man auch die Geschwister Nina und Benedikt Strasser. Sie betreiben seit acht Monaten das „Landkind“, ein kleines Café mit integriertem Bauernladen.

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Reine Lebensmittelstände bei kleinen Märkten nicht möglich

Sima argumentiert die Streichung des Nebenrechts mit dem Erhalt der Vielfalt auf den Märkten. „Ich sehe das eher umgekehrt“, meint Nina Strasser. „Die vielfältigen Produkte, die man bei uns im Laden kaufen kann, würde es nicht geben, wenn wir die Verabreichungsplätze nicht hätten. Nur der Lebensmittelladen alleine, das würde sich finanziell nicht ausgehen. Hier gibt es eben nicht die Frequenz, die vielleicht andere große Märkte haben“, so Strasser. Die Frequenz spielt aber auch für reine Lebensmittelstände eine wichtige Rolle. So erzählt das Geschwisterpaar Cornalia und Andreas Diesenreiter vom benachbarten Stand „Unverschwendet“: „Wir würden eingehen, wenn wir nur von dem Verkauf unserer Produkte hier leben müssten. Dann hätten wir nach zwei Monaten wieder zusperren können.“

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Leerstand statt Belebung

Auch, wenn in bestehende Verträge nicht eingegriffen wird und sich laut Sima „die Marktsubstanz, die die Wienerinnen so schätzen erhalten bleibt“, wird sich in Zukunft doch einiges ändern. Bein Schwendermarkt beispielsweise hätte es bereits einen Interessenten für einen Marktstand gegeben. Ob dieser den Stand nach der Neuregelung noch übernehmen wird, bleibt fraglich. Statt einem neuen Stand gäbe es dann einen Leerstand. Fraglich bleibt ebenso, ob jetzige Betreiber überhaupt einen Abnehmer finden, wenn sie den Stand weitergeben wollen. Denn wer einen Stand neu übernehmen will, muss Küche und Sitznischen vorher zurückbauen.

Außerdem fallen Besitzer um ihre Ablöse um. „Wir werden keine Ablöse verlangen können, haben aber selbst eine gezahlt. Das heißt dieses Geld, das keine unerhebliche Summe ist, ist für uns ganz einfach weg“, erklärt Nina Strasser. Für rechtlich für bedenklich hält die Neuordnung die Wiener Wirtschaftskammer. Denn das Nebenrecht sei explizit im Bundesgesetz festgehalten.

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Todesstoß für kleine Märkte

Auf dem Schwendermarkt gibt es acht fixe Marktstände. Für einen kleinen Markt wie diesen kommt die Gesetzesnovelle einem Todesstoß gleich. „Das ist alles sehr kurzfristig gedacht, als Lebensmittelladen kann man eben mit keinem Billa mithalten. Das ist der Tod der kleinen Märkte“, konstatiert Landkind-Miteigentümer Benedikt Strasser. Das sieht auch seine Schwester so: „Für den Markt ist es auf alle Fälle existenzbedrohend. Wir bemühen uns, am Markt Aktivitäten zu setzen. Wir ziehen alle gemeinsam an einem Strang, um ihn zu beleben. All diese Bemühungen werden mit der Neuverordnung sabotiert.“

»Das ist der Tod der kleinen Märkte«

Den Begriff der „Fressmeile“ können beide nicht mehr hören. Sie würden viel mehr kleine und eingeschlafene Märkte kennen als Fressmeilen. Denn nicht jeder Markt in Wien sei der Naschmarkt.

Dass die Wiener Märkte extrem unterschiedlich sind und mit dieser neuen Anweisung aber alle über einen Kamm gezogen werden, kritisieren auch die Standbetreiber des Meidlinger Marktes in einem offenen Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Vielmehr müsste auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Ausgangspositionen geachtet werden.

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Die Rolle der Märkte hat sich verändert

In Zeiten, in denen an jeder Ecke ein Supermarkt zu finden ist, gehen Leute nicht mehr auf den Markt, um sich mit Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen. Märkte haben heutzutage sehr stark eine soziale Funktion. „Die Menschen wollen ein Erlebnis haben, sie wollen bei unterschiedlichen Standlern Dinge einkaufen, zu denen sie vielleicht eine Geschichte erzählt bekommen. Zwischendurch wollen sie sich wohin setzen, einen Kaffee trinken und mit dem Nachbarn tratschen, den sie zufällig getroffen haben“, erklärt Nina Strasser. Die Zeiten würden sich eben ändern. Märkte würden sich ändern. Immer am Alten festhalten zu wollen sei, so Benedikt Strasser, „sehr rückständig“.

»Gerade jetzt, wo alles endlich in Schwung kommt, kommt irgendeiner daher mit einer so glorreichen Idee. Das ist wirklich traurig.«

Als eine Kundin am Nebentisch von der neuen Regelung erfährt, bietet diese sofort an Unterschriften sammeln zu gehen. Auch sie beschreibt den Markt als sozialen Treffpunkt: „Ich komm immer her, um was zu essen und mich nett zu unterhalten. Es herrscht ein reger Austausch zwischen Jung und Alt, das gibt es ja sonst nirgends.
So etwas hat schon lang hergehört. So viele Leute freuen sich, dass da was passiert.
Und gerade jetzt, wo alles endlich in Schwung kommt, kommt irgendeiner daher mit einer so glorreichen Idee. Das ist wirklich traurig. Wenn diese Regelung wirklich kommen sollt, funktioniert der Markt sicher nicht mehr.“

© Tamara Sill

Unterstützung statt „aktiver Sterbehilfe“

Statt neuer Verbote würden sich die Landkinder Förderungen wünschen. Gerade kleine Märkte bräuchten mehr Unterstützung. Im Herbst soll eine neue Marktordnung in Kraft treten, diese müsste man laut Nina Strasser, „entrümpeln, flexibler gestalten und dadurch bürokratische Hürden für kleine Unternehmen abbauen.“ Sie würden die Stadtregierung dringend ersuchen, die Gültigkeit des Merkblatts für jeden der Wiener Märkte zu überdenken. Außerdem habe sie die Stadträtin Sima bereits einladen, das "Landkind" am Markt zu besuchen und im Dialog eine Lösung zu finden. „Wenn Frau Sima herkommen und sehen würde, wie klein der Markt hier wirklich ist und dass es auf jeden einzelnen Standler ankommt, würde sie das Thema vielleicht anders sehen. Vielleicht kann dann noch verhindert werden, dass aktive Sterbehilfe für den Schwendermarkt geleistet wird.“