Gift-Affäre: Droht Europa
nun ein "neuer Kalter Krieg"?

Nach Ausweisung von Diplomaten wartet der Westen gespannt auf Putins Reaktion

Der Nervengift-Anschlag auf einen russischen Doppelagenten in Großbritannien führt zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen dem Westen und Moskau. Rund 25 Staaten wiesen Anfang der Woche russischen Vertreter aus. Die Beziehungen sind so schlecht wie seit vielen Jahren nicht mehr, alte Gegensätze brechen wieder auf.

von
Spannungen - Gift-Affäre: Droht Europa
nun ein "neuer Kalter Krieg"?

Nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal im englischen Salisbury eskaliert der Streit zwischen dem Westen und Russland zusehends. Die USA und 17 EU-Staaten wiesen am Montag in einer offenkundig abgestimmten Aktion zahlreiche russische Diplomaten und angebliche Agenten aus. Die USA verwiesen 60 Russen des Landes und schlossen das Generalkonsulat in Seattle, Deutschland schickte vier Diplomaten nach Hause. Darüber hinaus kündigten auch Kanada, die Ukraine und weitere Staaten Ausweisungen von russischen Diplomaten an. Österreich schloss als eines von wenigen europäischen Ländern diesen Schritt aus – und wurde dafür von EU-Partnern massiv kritisiert.

Beziehungen auf neuem Tiefpunkt angekommen

Der Anschlag auf Skripal und seine Tochter wurde Großbritannien zufolge mit einem Nervengift ausgeführt, das aus der Sowjetunion stammt. Unklar ist, wo das verwendete Gift hergestellt wurde. Zurzeit sollen Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen die Proben vom Tatort untersuchen. Der frühere Oberst des russischen Militärgeheimdienstes war in Russland als britischer Spion verurteilt und bei einem Austausch 2010 freigelassen worden. Die britische Regierung und andere EU-Staaten erklärten, es sei "höchst wahrscheinlich", dass Russland hinter dem Anschlag in einer Pizzeria stecke, bei dem dutzende Menschen verletzt wurden. Sergej und Julia Skripals Zustand ist nach wie vor kritisch.

Russland bestreitet vehement jede Verwicklung in den Fall und wirft dem Westen eine Vorverurteilung ohne abgeschlossene Untersuchung vor. Außerdem würden russische Experten keinen Zugang zum sichergestellten Nervengift erhalten. Westliche Staaten warten jedenfalls gespannt auf Wladimir Putins Reaktion auf die Massen-Ausweisungen. "Scharfe Gegenmaßnahmen" wurden angekündigt, bisher aber noch nicht konkretisiert. Die bereits seit Beginn des Ukraine-Konflikts schwer angespannten Beziehungen zwischen dem Westen und Russland sind nun an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Moskaus Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, sagte, die USA hätten mit der Ausweisung "das Wenige zerstört, das von den russisch-amerikanischen Beziehungen übrig ist".

Überhaupt scheint sich das Klima zwischen den Machtblöcken seit Jahren nur noch zu verschlechtern, an Schauplätzen wie Syrien oder der Ostukraine finden wieder offene Stellvertreterkriege statt. Vieles erinnert an den Kalten Krieg. Mit der Entspannung der 90er und 2000er Jahre ist es jedenfalls endgültig vorbei. Die außenpolitische Position der USA hat sich dabei auch unter Donald Trump, dem eine gewisse Russland-Nähe nachgesagt wird, nicht groß geändert. Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson sagte auf die Frage, ob es zu einem "neuen Kalten Krieg" kommen könnte: "Seien wir ehrlich, die Beziehungen sind nicht gerade gut, nicht wahr?"

Militärische Provokationen auf beiden Seiten

Auch militärisch setzen beide Seiten auf Aufrüstung und Provokation. Wiederholt verlegten die USA in den vergangenen Jahre Truppen nach Osteuropa, etwa aufs Baltikum und in die Ukraine, und führten Manöver im Schwarzen Meer durch. Russland wiederum stockte Truppenteile an seiner Westgrenze auf und demonstrierte Stärke in gemeinsamen Übungen mit Weißrussland. Am Mittwoch wurde außerdem bekannt, dass die EU eine Art "militärischen Schengenraum" plant. Ähnlich wie beim Waren- und Personenverkehr sollen künftig Panzer, Truppen und Munition einfacher und schneller innerhalb Europas zirkulieren. Der Aktionsplan geht nicht explizit auf eine potenzielle russische Bedrohung ein - hinsichtlich der Spannungen sei das Ziel jedoch klar, sagte ein europäischer Diplomat.

Nur wenige Stunden später wurde vermeldet, dass die Regierung in Moskau erstmals seit Sowjetzeiten eine Militärmaschine auf einen Trainingsflug via Nordpol nach Nordamerika geschickt hatte. Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte am Mittwoch laut der Nachrichtenagentur RIA, ein auf U-Boot-Abwehr spezialisiertes Flugzeug habe den Auftrag ausgeführt. Auch hier ist, obwohl nicht offen ausgesprochen, der Bezug zur aktuellen Krise klar. In Zeiten des "echten" Kalten Krieges haben solche Manöver aber auch schon zu schweren Krisen geführt.