Markus Söder,
der böse Deutsche

Der Skistreit hat aus österreichischer Sicht einen klaren Schuldigen: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Einst noch Kanzler Kurz' Best Buddy, sind sie jetzt nicht mehr so eng.

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Politik - Markus Söder,
der böse Deutsche

Der endgültige Todesstoß für die österreichischen Skitourismushoffnungen kam sachlich, ja beinahe sanft. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte bei seiner Pressekonferenz in München bereits 20 Minuten über die Notwendigkeit der "Vertiefung und Verschärfung" der Corona-Maßnahmen in seinem Land gesprochen, als er auch auf das Thema Reisen kam. Er unterstütze den internationalen Vorstoß, alle europäischen Skigebiete bis Jänner geschlossen zu halten, sagte er. Und: "Wer nach Österreich auf Urlaub fahren würde, muss zehn Tage danach in Quarantäne gehen und bekommt keinen Verdienstausfall. Das gilt nicht nur für längere Reisen, sondern auch für Tagesausflügler." Er bitte um Verständnis, ergänzte Söder am nächsten Tag in einer Rede vor dem bayerischen Landtag.

Doch dieser -in seiner Freundlichkeit auch provokante -Nachsatz war schon nicht mehr zu hören in dem wütenden Protestgeschrei, das in der Zwischenzeit in Österreich aufgebrandet war: "Wir lassen uns von Deutschland das Skifahren nicht verbieten", tobte Tirols Landeshauptmann Günther Platter auf Facebook, aufgrund zäher Transitauseinandersetzungen ohnehin kein großer Bayern-Freund.

Skikaiser Peter Schröcksnadel warnte vor einer "internationalen Kampagne gegen den Wintersport, die von führenden politischen Entscheidungsträgern in unseren Nachbarländern geführt wird". Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel schrieb für die "Süddeutsche Zeitun"g einen raren Gastbeitrag, eine Apologie der österreichischen Verhältnisse mit dem Schlusssatz: "Der Winterurlaub in Österreich wird schön und sicher sein." Die Wiener Minister Elisabeth Köstinger und Gernot Blümel hatten bereits davor, in Hinblick auf den Macron-Conte-Merkel-Vorstoß, alle europäischen Skigebiete bis Mitte Jänner geschlossen zu halten, Dampf gemacht: Sie können den Vorstößen nach der Schließung von Skigebieten nichts abgewinnen, sagte die Tourismusministerin, und der Finanzminister forderte von der EU eine Rückerstattung der Kosten.

Jedoch: Der -heiße -Dampf verpuffte wie die Atemluft an kalten Wintertagen schnell. Inzwischen ist klar, auch Österreich schließt die Grenzen. Skifahren wird nur für einheimische Tagesausflügler möglich sein. Der Traum von einem zumindest annähernd normalen Saisonstart ist ausgeträumt.

Der Buhmann der Stunde, das steht fest, ist dieser Söder. 1,94-Meter-Kraftlackel aus dem Norden, Besserwisser, Obergscheiter, Inbegriff des bösen Deutschen, der Österreich kühl lächelnd und fast nebenbei den Skitourismus abdreht.

Aber wer ist dieser Kerl eigentlich? Waren "wir" nicht eigentlich Freunde, zumindest er und Sebastian Kurz? Welcher der beiden Mitte-rechts-Populisten ist bisher besser durch die Corona-Krise gekommen? Und wie konnte es überhaupt zu dieser Ski-Demütigung kommen?

Zwei Stars

Ein Blick zurück in bessere Zeit, in eine gefühlt ewig zurückliegende Vergangenheit. Dabei ist es erst zweieinhalb Jahre her, dass die österreichische Bundesregierung an einem schönen Junitag nach Linz reiste, um mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und seinem Kabinett zusammenzutreffen. Die Begegnung ist äußerst gut dokumentiert. Zig Journalisten begleiteten das Gipfeltreffen der beiden Stars der (mittel-)europäischen Konservativen, wobei Kurz, der junge Überflieger, wahrscheinlich noch ein bisschen heller strahlte.

Eine Kraft-und Machtinszenierung, die nicht zuletzt nach Berlin wirken sollte: Kurz' und Söders gemeinsame Forderung nach einem härteren Flüchtlingskurs fiel mitten in einen heißen Machtkampf zwischen CSU und CDU. Die Bayern forderten, dass bereits anderswo registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen, Merkel hielt dagegen. Am Ende stand ein Kompromiss. Aber die Botschaft, die wenige Wochen davor von Linz ausgegangen war, war unmissverständlich. Zwei Macher gegen das Zaudern der wegen ihrer abwägenden Flüchtlingspolitik ungeliebten Kanzlerin von Deutschland.

Als im Spätwinter 2020 die Corona-Krise immer virulenter wird, haben sich die Zeiten geändert. Das Migrationsthema ist nicht mehr so wichtig. Beide, Kurz und Söder, surfen inzwischen zeitgeistig auf der grünen Welle: Söder gibt sich jetzt staatsmännisch, er hat Kampfbegriffen wie "Asyltourismus" öffentlich abgeschworen, will mit Umweltthemen punkten, trifft Fridays-for-Future-Aktivisten und lässt sich baumumarmend fotografieren. Kurz nützte den Ibiza-Skandal, um die ohnehin immer lästiger werdende Zusammenarbeit mit der FPÖ aufzulösen, und ging eine Koalition mit den Grünen ein. Ein Coup, der ihm wieder die internationale Neugier und Anerkennung bringt, die er braucht. Immer einen Schritt voraus sein. Und dann: Corona. Der Schulterschluss der Macher wird immer mehr zum Match. Wer reagiert schneller, härter, besser? Wer kann mit seinen Corona-Erfolgen mehr angeben? Am Anfang hat Kurz die Nase vorne, der bayerische Ministerpräsident orientiert sich offen am "Wiener Modell". Eine deutsche Zeitung formuliert spitz: "Söder fährt auf Sicht. Vorne sieht er die Rücklichter Österreichs." Doch die Konflikte nehmen zu.

Söder wird nicht müde, auf das Versagen Österreichs in der Causa Ischgl hinzuweisen. Ischgl, Ischgl, es kommt immer wieder, erst kürzlich wieder: "Halb Europa ist im Frühjahr von Ischgl aus mit infiziert worden." Kurz konterte im Frühling, indem er München als Virendrehscheibe ins Spiel brachte, sehr zum Missfallen des bayerischen Ministerpräsidenten.

Der steht dafür auf der Bremse, was den Tourismus betrifft. Im Mai werden die Maßnahmen gelockert, und Österreich braucht jetzt dringend deutsche Urlauber, um das Sommergeschäft in Schwung zu bringen. Söder sagt in einem ZDF-Interview: "Für all diejenigen, die sich Österreich als Urlaubsort vorstellen können, kann ich dann einfach nur sagen: Bayern ist genauso schön. Also wer Österreich genießen will, kann das auch in Bayern tun."

Das sitzt. Zudem die Drohung nicht ganz neu ist. Bereits im Vorjahr, während des Transitstreits mit Tirol und Salzburg, hatte Söder en passant darauf hingewiesen, dass man auch im Allgäu oder in Berchtesgaden ganz gut Skifahren könne.

Unstimmigkeiten gibt es im Frühling auch rund um die Grenzkontrollen, an denen CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer unbedingt festhalten will. Söder und Seehofer besuchten höchstpersönlich die Grenze bei Freilassing, um "sich selbst ein Bild von der Lage" zu machen.

Das letzte dokumentierte Treffen zwischen den einstigen Bündnispartnern Markus Söder und Sebastian Kurz findet im Oktober am Grenzübergang Walserberg statt. Es verläuft amikal, das schon, aber nicht so herzlich wie früher. Im gemeinsamen Pressestatement betonen beide, wie wichtig ihnen offene Grenzen sind.

Aber es zeichnet sich bereits ab, was kommen wird: Die Infektionszahlen in Österreich sind einfach zu hoch. Man solle sich, lässt Söder durchklingen, nicht zu viele Hoffnungen machen. Auch nicht auf eine partielle Aufhebung der Reisewarnung, auf die Kurz damals noch hofft (mittlerweile ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Skiregionen wie Tirol, Salzburg oder Kärnten so stark angestiegen, dass die Idee ohnehin obsolet ist).

Jüngster Tiefpunkt der im Zuge der Corona-Krise erkalteten Beziehungen zwischen den beiden Mitte-rechts-Populisten: Söders Auftritt in der Talkshow "Anne Will" wenige Wochen später, in der er offen Kurz' Corona Management kritisiert. Am Anfang habe man noch etwas von dem Nachbarland lernen können, sagt er, das sei aber jetzt vorbei. Österreich habe zu lange gezögert.

Jünger, härter, besser

Immer wurde auf die Ähnlichkeiten zwischen Sebastian Kurz und Markus Söder hingewiesen, und ja, sie sind verblüffend. Beide sind Politiker seit Jugendtagen und immer noch verhältnismäßig jung (auch Söder war durchschnittlich immer zehn Jahre früher dran als andere). Beide haben sich in ihren Parteien nach oben geboxt und zuletzt, wenn man so will, geputscht. Beide bezeichnen sich gerne als Mitte-rechts-Politiker. Beide haben eine Phase der mangelnden Abgrenzung von rechtsaußen hinter sich. Beiden haben sich streckenweise von dem politischen Rückenwind, den das Migrationsthema ab 2016 bot, antreiben lassen.

Kurz und Söder sind beide Populisten, im positiven Wortsinn: Sie haben ein exzellentes Gespür für die Trends der Zeit. Sie können sich verständlich ausdrücken, in klaren Sätzen und verständlichen Bildern. Sie haben die Fähigkeit zur Selbstinszenierung im kleinen Finger.

Und ein biografisches Detail aus dem politischen Kindergarten, das beide eint: Markus Söder fuhr 2002, immerhin schon 35 Jahre alt, mit einem "Stoibertruck" nach Rimini und an den Gardasee, um arglose Touristen von seinem politischen Ziehvater Edmund Stoiber zu überzeugen. Kurz' Ausflüge mit dem "Geilomobil" dürfen als hinlänglich bekannt vorausgesetzt werden.

Der Neben-Kanzler

Ihr Umgang mit der Pandemie zeigt aber auch Unterschiede auf. Für Söder kam die Krise wie gerufen. Als - turnusmäßiger, also zufälliger - Vorsitzender der Ministerpräsidenten durfte er in den letzten Monaten an der Seite von Angela Merkel wichtige Beschlüsse verkünden und nützte die Chance, um sich zu einer Art Nebenkanzler aufzubauen. Seine Umfragewerte schossen deutschlandweit in die Höhe. Mit dem Ergebnis, dass er auf einmal als Merkel-Nachfolger gehandelt wird.

"Natürlich hat Söder die Pandemie nicht herbeigebetet", schreiben seine Biografen Roman Deininger und Uwe Ritzer. "Aber wenn das Virus sein Timing mit irgendwem genauer abgestimmt haben sollte, dann mit Markus Söder." Söder, der rastlose Vollblutpolitiker, der immer für Show und selten für Inhalt stand, hat auf einmal ein Thema. Und die Sympathien auf seiner Seite. Eine bemerkenswerte Entwicklung.

Deininger und Ritzer beschreiben in ihrem 2020 neu aufgelegten 400-Seiten-Porträt "Markus Söder -Der Schattenkanzler" einen ehrgeizigen Machtmenschen, der sich rücksichtslos nach oben gearbeitet hat. Beliebt war Söder nie, viele Anekdoten belegen das. Schon in ganz frühen Jahren wusste er Mitbewerber mit aggressiven Methoden zur Seite zu drängen. Schon in ganz frühen Jahren führte er Wahlkämpfe mit einem Hunger und einem Einsatz, die ihresgleichen suchten. "Markus Söder ist schamlos, und er ist clever, er ist schamlos clever", schreiben Deininger und Ritzer. Diese "furchterregende Kombination" habe ihn so weit gebracht.

Es gibt eine Anekdote in ihrem Buch, die das gut illustriert.

Ein Bierzeltauftritt. Söder, der kaum Alkohol trinkt, wird bei seiner Rede ein Glas Wasser gereicht. Er starrt den Kellner an, starrt das Wasser an, ruft in die Menge: "Habt ihr nicht was Anständiges zu trinken?" Das Publikum johlt begeistert. Söder bekommt eine Maß, benetzt sich damit, wenn überhaupt, die Lippen, stellt sie ab und rührt sie nicht wieder an.

Eine andere Beobachtung aus seinen frühen Jahren: Söder hört sich unter großer Anteilnahme die Sorgen von Bürgern an, schreibt alles auf. Am Schluss zerreißt er den Zettel in kleine Fetzen und lässt sie auf dem Tisch liegen. Was bleibt, ist nicht etwa ein Eindruck von Nachlässigkeit oder Arrroganz, sondern: Der merkt sich alles.

Schamlosigkeit und Cleverness, extremer Arbeitseinsatz und ein Gespür für Situationen. Mit diesen Eigenschaften ackert sich Söder auch durch die Corona-Krise. Der Bulldozer, im politischen Nahkampf erprobt, lässt sich von Gegenwind nicht einschüchtern. Die Corona-Maßnahmen in Bayern bleiben streng. Gelockert wird erst, wenn die Zahlen stimmen. Das Verhältnis zu Angela Merkel ist jetzt gut. Die politischen Karten sind für den ehrgeizigen Nürnberger, dessen Karriere schon mehr als einmal knapp vor dem Ende stand, wieder einmal neu gemischt.

Und Sebastian Kurz? Wirkt vergleichsweise orientierungslos. Von der strategischen Klarheit und der Weitsicht, mit der er im Frühling - weit über Österreichs Landesgrenzen hinaus - beeindrucken konnte, ist derzeit nicht viel zu merken. Wenn es nach ihm ginge, sagte Kurz zuletzt, hätte es schon früher einen harten Lockdown in Österreich gegeben. Eine bemerkenswerte Aussage für jemanden, den man die längste Zeit mit Führungsanspruch, ja sogar mit gewissen autoritären Zügen, assoziiert hat. Schielt Kurz zu sehr auf Umfragen, auf die Meinung der Menschen, will er zu sehr geliebt werden? Er wisse, die Corona-Maßnahmen seien nicht populär, sagte er bei der Regierungspressekonferenz am 2. Dezember. Es klang bedauernd.

Vielleicht muss man einfach noch ein paar Jahre abwarten. Im Rückblick auf Kraftmeierei-Kumpanenschaft und "Ski-Schlacht" (© "Bild") wird sich weisen, welcher Politiker an der Corona-Krise - wie und wohin -gewachsen ist.

Der komplette Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (49/2020) erschienen.