Kurz: Deal mit
Großbritannien "Notwendigkeit"

Nicht-Einigung würde auch Österreich treffen

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat zu Beginn des informellen Gipfeltreffens der 28 EU-Staats- und Regierungschefs in Salzburg erneut Kompromissbereitschaft seitens Londons bei den Brexit-Verhandlungen gefordert. "Wir müssen alles tun, um einen harten Brexit zu vermeiden", sagte Kurz am Mittwochabend vor der Felsenreitschule in Salzburg

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"Wir bemühen uns um einen Kompromiss", so Kurz. Gleichzeitig sei aber auch Kompromissbereitschaft der britischen Regierungschefin Theresa May gefordert. Von der Rede, die May am Abend zu Beginn des Treffens mit ihren Amtskollegen in der Felsenreitschule halten will, erwartet sich Kurz "einen Schritt vorwärts". Zuvor hatte er eindringlich vor einem "No Deal" gewarnt. "Ein No Deal und ein harter Brexit wäre schwierig für Europa, aber schrecklich für Großbritannien", sagte Kurz beim Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) im Vorfeld des Gipfels.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach sich für einen Brexit "in guter Atmosphäre und großem Respekt" aus. In bestimmten Bereichen sei auch eine gute Zusammenarbeit möglich, sagte sie zum Auftakt des Treffens.

Kurz: Frontex-Beschluss bis Dezember

Angesprochen auf das Thema Migration sagte Kurz erneut, dass er sich auf Gemeinsamkeiten fokussieren wolle. Diese seien vor allem in punkto Außengrenzschutz gegeben, auch wenn es bei der Frage um den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex "Bedenken" geben, die man "noch ausräumen" müsse. Im Vorfeld des Gipfels hatte Kurz gesagt, dies gelte vor allem für Spanien, Italien und Griechenland, kaum jedoch für Ungarn. Er hoffe, dass das Frontex-Mandat noch unter österreichischem Ratsvorsitz im Dezember beschlossen werden könne.

Die Bedenken seien auch bezüglich der dann erforderlichen Registrierung von Migranten, sagte Kurz. Er unterstütze den Vorschlag von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Frontex bis 2020 auf 10.000 Mann aufzustocken und das Mandat auszuweiten, "zu hundert Prozent". "Wir hoffen, ein Maximum dessen durchzusetzen", sagte Kurz in Hinblick auf den Gipfel. Er deutete die Möglichkeit für weitere Flexibilität und Anpassungen des Entwurfs an. Auch Merkel hob den Außengrenzschutz hervor, nannte aber auch die Kooperation mit afrikanischen Staaten als "Schlüssel" für die Flüchtlingspolitik.

Orban lehnt Pläne zu EU-Grenzschützern ab

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat EU-Pläne für sein Land abgelehnt, Beamten der europäischen Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex mehr Eingriffsbefugnisse in den Mitgliedstaaten zu geben. Es sei zwar gut, dass sich die EU in der Flüchtlingsfrage nun auf den Grenzschutz konzentriere, sagte Orban beim Treffen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) vor dem informellen EU-Gipfel. Ungarn sei aber in der Lage, seine Grenze selbst zu schützen. "Wir bestehen auf unser Recht, dass das unser Job ist".

Junker ruft EU-Staaten zur Solidarität auf

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief die EU-Staaten bei seinem Eintreffen einmal mehr dazu auf, sich in Migrationsfragen solidarisch zu zeigen. "Man braucht Solidarität, das ist kein leeres Wort. Die einen nehmen Flüchtlinge auf. Die die das nicht können, die das nicht wollen, obwohl sie das müssen, die müssen sich in Sachen Solidarität bewegen."

Tusk hatte sich zuvor ebenfalls kritisch in Richtung der Mitgliedsstaaten gezeigt. "Wir können nicht länger gespalten sein in diejenigen, die die Krise lösen wollen und die, die sie für politische Spiele benutzen wollen", sagte er. Die Neuankünfte seien von zwei Millionen im Jahr 2015 "auf weniger als 100.000 heuer" gesunken. "Das ist weniger als in den Jahren vor der Krise. Trotz der aggressiven Rhetorik bewegen sich die Dinge in die richtige Richtung", sagte er. Konkret schlug er auch einen Gipfel der EU mit der Arabischen Liga im Februar in Ägypten vor.

Juncker stellte sich auch hinter EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos, der wegen seiner Weigerung, einen Vorschlag zu EU-Asylcamps in Afrika zu machen, vom amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) scharf kritisiert worden war. "Er ist mein Kommissar", sagte Juncker.

Auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich zurückhaltend zu Asylcamps in Afrika. "Mein Eindruck ist, dass es derzeit kein nordafrikanisches Land gibt, das bereit ist, ein solches Zentrum zu beherbergen. Und das ist begründet", so Mogherini. Die EU sei aber weiterhin im Gespräch mit Ägypten, Tunesien, Marokko und anderen Ländern. Zur Militäroperation "Sophia" sagte Mogherini, dass es Übereinstimmung gebe, die Mission im Mittelmeer zur Schlepperbekämpfung weiterzuführen. Keine Einigung gebe es jedoch zur Frage, wohin die im Rahmen der Mission geretteten Flüchtlinge gebracht werden sollen.

Enttäuschung über österreichischen EU-Ratsvorsitz

"Enttäuscht" vom österreichischen EU-Ratsvorsitz zeigte sich der luxemburgische Premier Xavier Bettel. Beim Vorfall mit dem vom italienischen Innenminister Matteo Salvini heimlich gefilmten Video bei einem EU-Afrika-Treffen in Wien hätte er sich erwartet, dass die österreichische Präsidentschaft sagt, "dass das nicht geht", betonte Bettel. Salvini hatte ein Video veröffentlicht, auf dem Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nach einer Provokation durch den italienischen Minister in Rage geraten war.

Parallel zum Gipfel fanden Proteste in Salzburg statt. Das Bündnis "Solidarisches Salzburg" hat für den Abend zu einem "Marsch der Verantwortung" in der Mozartstadt aufgerufen, bei dem mit Namensschildern auf jene 30.000 Menschen aufmerksam gemacht werden sollte, die im Mittelmeer ums Leben gekommen sind. Einen gemeinsamen Appell in Richtung Salzburg formulierten auch die Bürgermeister von mehreren von Migration betroffenen Gemeinden in der EU, darunter Traiskirchen und Lampedusa. Sie forderten eine auf Solidarität und geteilter Verantwortung aufbauende Migrationspolitik und wandten sich konkret auch gegen die "unmenschliche Idee, Flüchtlingslager außerhalb der EU zu errichten".

"Marsch für Verantwortung"

Während sich in der Felsenreitschule in Salzburg am Mittwochabend die 28 Staats-und Regierungschefs der EU zum gemeinsamen Abendessen trafen, haben rund 400 Demonstranten die inhumane Grenz- und Abschottungspolitik der EU kritisiert. Beim "Marsch der Verantwortung" machten sie auf jene 30.000 Flüchtlinge aufmerksam, die in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht nach Europa gestorben sind.

Es sei zynisch, dass die Regierungschefs ihren Gipfel mit "Sicherheit" betiteln, dem Sterben im Mittelmeer aber zusehen würden, sagte Alina Kugler vom Bündnis Solidarisches Salzburg. Auf Transparenten und Plakaten wurde zudem gegen die Kriminalisierung der Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer durch NGOs protestiert. "Mr. Kurz, how many people have you ever saved", stand etwa auf einer Tafel zu lesen.

An der Spitze des Protestzugs - es waren mehr als doppel so viele Teilnehmer gekommen wie von den Veranstaltern erwartet - wurden Schilder mit Namen der 30.000 auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommenen Menschen getragen. Während des einstündigen Marsches vom Stadtteil Lehen in die Altstadt wurden zudem die dokumentierten Todesfälle von Flüchtlingen verlesen. "30. April 2018. Sechs Tote. Fünf Männer, ein Baby. Herkunft unbekannt. Ihre Leichen wurden in Libyen gefunden."

»Drinnen dinieren die Regierungschefs, draußen sterben die Menschen«

Die Aufzählung nimmt während des ganzen Protestzugs kein Ende. Männer, Frauen, Kinder, Babys. Ertrunken in Grenzflüssen oder im Mittelmeer. Verdurstet in der algerischen Wüste. Tot aufgefunden in überladenen Flüchtlingsbooten. Von Lkws überrollt. Ermordet. Vier Stunden lang wäre das Tonband der Veranstalter gewesen - ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit.

Zu einer unmittelbaren Konfrontation mit den Staatsgästen des EU-Gipfels kam es am Mittwochabend nicht. Der Zug endete zu weit von der Felsenreitschule entfernt. "Drinnen dinieren die Regierungschefs, draußen sterben die Menschen", hatte Kugler das am Vormittag noch knapp kommentiert.

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