Die Neue statt der Chefsache

Die Jüngste in der Regierung erbt einen der ältesten Zankäpfel. Falls Karl Nehammer nicht bloß Kulissenschieber zulässt und die Medienagenden wirklich an Susanne Raab abgibt, wirkt das wie: „Du hast keine Chance, nutze sie!“

von Die Neue statt der Chefsache © Bild: Gleissfoto

Ein unterbelichteter Aspekt der neuen Bundesregierung ist ihre Altersstruktur. Durch den Abgang von Heinz Faßmann wurde Werner Kogler mit 60 zum Senior. Die 37-jährige Susanne Raab bleibt die Jüngste – denn Staatssekretärinnen wie Claudia Plakolm (27) zählen formal nicht zur Regierung. Die viel strapazierte Diversität zwischen Ländern und Bünden sowie nach Geschlecht hat also schon bei den Generationen enge Grenzen. Sie bildet lediglich die erwerbstätige Bevölkerung hinlänglich ab.

Dass die Ansprüche des über 60-jährigen Bevölkerungsviertels dennoch gewahrt bleiben, ist seinem starken Lobbying und Wahlverhalten zuzuschreiben. Für die 40 Prozent unter 37 gilt das weniger. Obwohl sie zukunftsbestimmender sind und trotz des enormen Machtgewinns der Jungen ÖVP.

Eine der wichtigsten Lebensperspektiven für diese Altersgruppen ist die Medienentwicklung. Sie wird für sie noch beherrschender als für die derart schon stark geprägten Generationen davor. Aus diesem Blickwinkel ist es folgerichtig, dass Karl Nehammer die Medienagenden an Raab abtritt – die wiederum das Jugendressort an Plakolm weitergibt. Neben diesem sachlichen Aspekt ortet der Kommunikationswissenschaftler Josef Trappel sogar einen „medienpolitischen Befreiungsschlag“ im „Standard“. Er begründet das vor allem mit dem Ende der Chefsache, einem größeren Abstand zur Regierungsspitze und schließt den Gastkommentar mit der Beschwörung: „Ministerinnen wachsen mit ihren Aufgaben!“

Trappels Wunsch nach Wohlwollen ist berechtigt, sein Appell aber entlarvend. Denn der umstrittene Weg im Integrationssektor, die vom Feminismus distanzierte Leitung des Frauenressorts und ihre von Antwortschablonen dominierten Fernsehauftritte prägten Raab eher zur Ablösekandidatin als für höhere Aufgaben. Wenn sie nun als Jüngste in der Regierung einen der ältesten Zankäpfel erhält, ist das zwar eine neue Chance, wirkt aber nach „Mission Impossible“ und könnte insgeheim bedeuten, dass aufgrund ihrer Loyalität das Medienressort hinter den Kulissen de facto Chefsache bleibt. Ihre Vorgänger waren übrigens die Staatssekretäre, Minister und Kanzler Franz Morak, Alfred Gusenbauer, Josef Ostermayer, Thomas Drozda, Gernot Blümel, Sebastian Kurz und Alexander Schallenberg.

Raabs Vorteil ist der unverbrauchte Blick auf eine seit jeher durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Zeitungsverleger dicht verminte Materie. Die Wirkung ihrer gegenseitigen Blockaden wird durch die Abhängigkeit der Politik von Medienpräsenz erhöht. Das Ergebnis sind Stillstand und Wildwuchs. Das reicht von massiven Onlineeinschränkungen bis zur wuchernden Boulevardsubvention. Die Novellierung der Medienförderung und des Rundfunkgesetzes ist seit Jahrzehnten überfällig, weitere Hilfen gegen digitale Kolonialherren sind dringend notwendig. Schnelle Signale wären dabei 2022 durch die Neubesetzung von ORF-Stiftungs- und -Publikumsrat möglich, wirkliche Punkte mit dem zuletzt für Herbst nächsten Jahres erwarteten ORF-Gesetz. In ihm liegt entweder der Keim für eine wettbewerbsfähige nationale Medienlandschaft oder das Virus ihres langsamen Untergangs.

Raabs Nachteil ist ihre bisher vollkommene Abwesenheit von diesem Thema. Eine Möglichkeit, dieses mangelnde Detailwissen auszugleichen, liegt im permanenten Kriterium des größeren Ganzen: Die Vielfalt freier Medien ist strukturell unverzichtbar für eine demokratische Gesellschaft. Wenn dieser Satz aus Sonntagsreden wirklich als Leitlinie für jede Gesetzeswerdung dient, dann sind Raab und die Regierung zumindest auf dem richtigen Pfad. Als Wegweiser braucht es dann noch fähige Berater. Raabs Pressesprecher ist Jochen Prüller. Der einstige Journalist, frühere Sprecher von Irmgard Griss und Ex-Kommunikationschef der ÖVP kennt sich aus – in der Branche und in der Partei, den beiden größten Hürden für Medienpolitik.