Große Lüge Klimawandel

Wie Politiker mit gefühlten Wahrheiten weltweit ihre Wähler manipulieren

70 Prozent von Donald Trumps Aussagen sind nachweislich falsch. Heute ist er Präsident der Vereinigten Staaten. Die AfD leugnet den menschengemachten Klimawandel und erhält 21,8 Prozent der Wählerstimmen. Der Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer setzt gezielt rhetorische Tricks ein, um Fragen nicht wahrheitsgemäß beantworten zu müssen. Willkommen im postfaktischen Zeitalter.

von Postfaktische Politik - Große Lüge Klimawandel © Bild: shutterstock

„Zwei mal drei macht vier und drei macht neune, ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt.“ Dieses Kinderlied würde sich ausgezeichnet als Hymne des sogenannten postfaktischen, also wahrheitsunabhängigen, Zeitalters eignen, fasst es doch in einer Zeile all das zusammen, was sich hinter dem Phänomen verbirgt: Es geht nicht mehr um Fakten, sondern – gerade in der Politik – um die gefühlte Wahrheit. Denn hier ist die Wirklichkeit immer von einer bestimmten Ideologie geprägt, die sich wie ein Filter auf die wahrgenommen und die so für wahr genommene Welt legt. Das ist an sich nicht neu. Dass die Wahrheit jedoch bewusst geleugnet, ignoriert oder von ihr abgelenkt wird ohne, dass sich dies negativ auf die Wählerstimmen auswirkt, schon.

Postfaktische Politik: Wenn Fakten Gefühlen weichen

So gibt es also nicht nur das postfaktische Zeitalter, sondern auch die postfaktische Politik. Seine Popularität hat der Begriff größtenteils dem US-Präsidentschaftswahlkampf und Donald Trump zu verdanken. So schamlos und demonstrativ wie er, hat in den letzten Monaten niemand Unwahrheiten von sich gegeben. Ganze 70 Prozent seiner Aussagen sind nachweislich faktisch falsch. Das Erstaunliche daran: Es ist egal. Heute ist er Präsident der Vereinigten Staaten. Warum? "Emotions Trump Facts" – Gefühle übertrumpfen Fakten. Die Wahrheit ist lediglich eine Option.

Die Wahrheit ist keine Meinung. Und auch kein Gefühl.

Der US-Senator Patrick Moynihan sagte einst „Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten“. Er kritisiert damit die Vermischung von Meinung und Tatsachen. Hierunter fällt beispielsweise auch die Leugnung des Klimawandels. Zu diesem Thema hielt Leonardo Di Capri im Oktober auch seine Rede im Weißen Haus. Seiner Meinung nach sollte niemand ein öffentliches Amt ausführen dürfen, der nicht an dem Klimawandel und somit nicht an Fakten, die Wissenschaft und empirische Wahrheit glaube – eine offensichtliche Anspielung auf Trump, der in der Vergangenheit mehrfach den Klimawandel als Erfindung abtat.

»Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten«

Auch Frauke Petry von der AfD leugnete den menschengemachten Klimawandel. Ebenso wenig von Fakten beeindrucken lässt sich ihr Parteikollege Georg Pazderski, Landesvorsitzender der AfD. Auf die Frage, warum seine Partei nie erwähne, dass 98 Prozent der Migranten friedlich in Deutschland leben, antwortete er: „Es geht nicht nur um die reine Statistik, sondern darum, wie das der Bürger empfindet.“ Und wieder hat die gefühlte Wahrheit Vorrang vor der Realität. Doch auch hierzulande zählt lediglich die gefühlte Kompetenz eines Politikers, wie das Faktencheck-Video von Blogger Hans Kirchmeier aufzeigt. „Eine souverän vorgetragene Unwahrheit ist wertvoller als fade Faktentreue“ erklärt er.

Die Demokratie der „Nichtwissenwollengesellschaft“

Durch Globalisierung und Migration wird die Welt zunehmend komplexer und die Gesellschaft vielfältiger. Es gibt immer mehr Weltanschauungen, Lebenskonzepte und Wertvorstellungen, die nebeneinander existieren. Viele fühlen sich davon jedoch überfordert und sehnen sich nach den „guten alten Zeiten“ und nach klar abgegrenzten Nationalstaaten mit einer in sich geschlossenen Kultur. Wenn Putin ein russisches Reich verspricht, Trump, dass er Amerika wieder groß macht und Brexit, dass durch einen EU-Austritt alles wieder gut wird, ist das verführerisch. Denn alle bieten sie einfache Erklärungsmodelle für eine komplexe Welt. Dass diese oft nicht der Realität entsprechen ist nebensächlich, so lange sie eine Nähe zur Gefühlswelt ihrer Wähler aufbauen. Gefühlen und Spekulationen mehr zu glauben als Tatsachen ist aber vor allem eines: Gefährlich.

»Wenn wir bei der Wahrheit bleiben, gewinnen wir.«

Eine postfaktische Politik gefährdet den wissenschaftlichen Fortschritt. Sie erschafft eine Welt, in der es keine Wahrheit mehr gibt, sondern nur Ideologie. Wahrheit ist allerdings die Grundvoraussetzung für das Überleben einer Demokratie, stellt sie doch die Basis für Entscheidungen und Handlungen. Auch die deutsche Bundeskanzlerin warnt davor: „Wenn wir anfangen, dabei mitzumachen, dass Fakten beiseite gewischt oder ignoriert werden können, dann sind verantwortbare und konstruktive Antworten nicht mehr möglich. Wenn wir anfangen uns an denen zu orientieren, die an Lösungen nicht interessiert sind, verlieren wir die Orientierung. Wenn wir bei der Wahrheit bleiben, gewinnen wir.“

Die Mitschuld der Sozialen Medien

Bei der Wahrheit zu bleiben ist aber nicht so einfach. Schon gar nicht, wenn man sich in den sozialen Medien bewegt. Denn hier vermag man den Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit oft nicht zu erkennen. Das liegt unter anderem an dem sogenannten Filter-Bubble-Phänomen. Google, Facebook und Co. entwickelten Algorithmen, die sich an unseren bisherigen Suchverläufen und Klicks orientieren. Dadurch werden nur die Informationen angezeigt, die für den User als relevant erscheinen und ihn in seiner Sicht der Dinge bestärken – unabhängig davon ob sie wahr oder falsch sind. Alle anderen Informationen, die nicht dem Suchprofil entsprechen werden einfach weggelassen. Da soziale Netzwerke für viele mittlerweile die wichtigste Nachrichtenquelle sind, lebt jeder von uns folglich in seiner eigenen, kleinen Nachrichten-Blase. Ein Projekt des Wallstreet Journals soll dies verdeutlichen indem es einen liberalen und konservativen Facebook-Stream nebeneinander zeigt. Die Erkenntnis: In ihrem Kern sind die Nachrichten oft die gleichen, lediglich die Interpretation davon unterscheidet sich maßgeblich voneinander. Während die liberalen Medien schockiert sind, dass Putin Trump sofort gratulierte, freuen sich die anderen.

© Screenshot / WSJ

Genau darin liegt auch das Problem: In der Vermischung von Meinung und Tatsachen. Soziale Medien sind Meinungsmedien und keine, die nach journalistischen Grundsätzen wie Wahrheit und Objektivität streben. Der langjährige Generalintendant des ORF, Gerd Bacher, sieht die Aufgabe des Journalismus in der Unterscheidung. In der Unterscheidung zwischen wahr und unwahr, wichtig und unwichtig, Sinn und Unsinn. Armin Wolf ruft deshalb dazu auf, Filterblasen aufzustechen, Social Media Plattformen zu hacken und Newsfeeds mit ordentlichem Journalismus infiltrieren, um so dem postfaktischen Zeitalter entgegenzuwirken. Und, damit Sie nicht mehr auf Nachrichtentitel wie „Erde vermutlich doch eine Scheibe?“ oder „Große Lüge Klimawandel!“ klicken müssen.

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