Die Schwarzen
jenseits von Kurz

Mit einem geharnischten Brief hat sich der frühere Salzburger Spitzenpolitiker Arno Gasteiger aus der ÖVP verabschiedet. Ist er ein Einzelfall – oder gibt es tatsächlich ein Unbehagen über den Kurs der Partei?

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Politik - Die Schwarzen
jenseits von Kurz

Die Zustimmung war groß. Die Ablehnung auch. Vergangene Woche wurde ein Brief an die Öffentlichkeit gespielt, in dem der ehemalige Salzburger Vizelandeshauptmann Arno Gasteiger seinen Austritt aus dem Wirtschaftsbund – und damit aus der ÖVP – argumentierte. Das knapp gehaltene Schreiben ist eine geschmalzene Breitseite gegen die Kurz-ÖVP. Der enttäuschte Aufschrei einer Genera­tion, die sich von den türkisen Jungspunden im Kanzleramt nicht mehr repräsentiert fühlt.

Die ÖVP, schreibt Gasteiger, sei unter Kurz von einer „demokratischen Partei der politischen Mitte“ zu einer rechtspopulistischen Bewegung geworden. Flüchtlinge betrachte Kurz quasi als verdorbene Ware, die umgehend an den Absender zurückzuschicken sei. Der Kanzler habe den gesamten Sicherheitsapparat der äußeren Rechten ausgeliefert, und halte „die Armen kurz“. Die ÖVP, die in der Vergangenheit zu viele Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit ausgetragen habe, sei nun, meint Gasteiger, zu einem Kurz-Anbetungsverein geworden. ­Seine ganz persönliche Conclusio, die er auch öffentlich nicht mehr kommentieren möchte: ­Parteiaustritt. Nach 47 Jahren.

Während sich manche von der Kritik des ehemaligen Journalisten unmittelbar angesprochen fühlten – Chris Lohner etwa gratulierte prompt auf Facebook: „Das nenne ich Haltung!“ –, sahen andere den aktuellen Erfolgskurs der Türkisen verraten. Ein News-Rundruf unter ehemaligen ÖVP-Politikern gab ein ähnliches Bild. Viele wollten sich zur Causa nicht äußern. Andere, wie Ex-Staatssekretär Günter Stummvoll, sehen in Gasteigers Austritt eine Einzelmeinung: „Es gibt überhaupt kein Unbehagen der älteren Generation. Ich bin happy, und mit mir viele andere, dass die Jüngeren jetzt das Sagen haben. Was soll man kritisieren an einem Parteiobmann, der die Partei mit 19 Prozent übernommen hat, und jetzt liegt sie bei 34 Prozent?“

Von einer Einzelmeinung spricht auch Ex-ÖVP-Frauenchefin Dorothea Schittenhelm. Allerdings von einer, die man ernst nehmen müsse: „Ich würde das nicht nur so abtun. Ich will mich nicht einmischen, aber wir sind gut beraten, wenn wir diese verschiedensten Anzeichen nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ Sie selbst, sagt Schittenhelm, schaue sich die Performance der Regierung „sehr, sehr genau an. Ich kenne die einzelnen Personen sehr gut und bin manchmal schockiert, dass es solche Entwicklungen gibt.“ Nachsatz: „Der Koalitionspartner ist schon eine Herausforderung.“

Kernwähler-Minderheit

Tatsache ist, es gärt in Teilen der ÖVP-Sympa­thisantenschaft. Das forsche Auftreten der Jung-ÖVPler, die autoritative Vorgehensweise, die mangelnde Abgrenzung von blauen Eskapaden sorgen in gemäßigt konservativen Kreisen für Unbehagen. Noch decken die beeindruckenden Umfragewerte der Kurz-ÖVP manchen Konflikt zu. Aber die unverhältnismäßig starken Reaktionen auf den Parteiaustritt eines seit 20 Jahren nicht mehr politisch aktiven Lokalpolitikers zeigen, es gibt Spannungen. Nicht nur zwischen den politischen Lagern, auch innerhalb des schwarz-türkisen Blocks.

Schon im vergangenen Herbst bestätigte der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer in einem Interview mit News, dass es einzelne Parteiaustritte gibt. „Das haben wir in allen Phasen. Wir sind Gott sei Dank eine sehr breite Partei, da gibt es auch unterschiedliche Sichtweisen und starke Persönlichkeiten, die bei manchen sachpolitischen Entscheidungen sagen, das kann ich nicht mittragen. Es gibt nicht den allein seligmachenden Weg.“

Allerdings stellen diese Unzufriedenen lediglich eine sehr kleine Strömung innerhalb der ÖVP dar, erklärt der Politikwissenschaftler Fritz Plasser. „Im christlich-sozialen Kernwähler­segment der ÖVP tun sich manche schwer mit dem aktuellen Kurs der Partei“, erklärt er. Dieses wird vor allem von älteren Wählerinnen und Wählern gebildet. Doch in dieser Altersgruppe gebe es gleichzeitig „eine unglaubliche Zustimmung und Identifikation mit Kurz. Bei älteren Menschen hat er eindeutig die höchsten Zustimmungsraten.“

Dass sich Kurz und sein Team über diese „­latente Untergrundströmung“ eher keine großen Sorgen machen müssen, liegt zudem an der geänderten Zusammensetzung der ÖVP-Wählerschaft. „Der Anteil der christlich-sozialen Klientel an der Gesamtwählerschaft ist mittlerweile überschaubar“, sagt Plasser. Das liege an der generellen Säkularisierung der Gesellschaft: „In den 60er-Jahren sind noch zwei Drittel der ÖVP-Wähler in die Kirche gegangen. Jetzt sind es noch 40 Prozent.“ Und von diesen Christlich-Sozialen seien bei Weitem nicht alle so ­unzufrieden mit dem aktuellen ÖVP-Kurs wie Gasteiger.

Und dazu kommt: Die Zahl der Christlich-Sozialen in der ÖVP werde mittlerweile deutlich durch andere Gruppierungen überlagert, sagt Plasser, „etwa durch jene rund 170.000 Wähler, die bei der Nationalratswahl 2017 die ÖVP gewählt haben und von der FPÖ oder anderen zurückgekommen sind. Die sind ein wirklich nennenswerter Teil der jetzigen ÖVP-Wählerschaft.“

Arno Gasteiger sei mit seiner Meinung aber sicher kein Einzelfall. Christian Konrad, Ferry Maier, Heinrich Neisser lassen ebenfalls Distanz erkennen. Reinhold Mitterlehner, der von Kurz aus dem Sattel beförderte frühere ÖVP-Chef, sowieso. Und sogar der frühere niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll lässt punktuell Widerspruch aufblitzen. Etwa wenn er das Nichtraucher-Volksbegehren oder die Initiative gegen das Abschieben gut integrierter Lehrlinge unterstützt.

Solange Kurz in allen Umfragen im Aufwind ist, wird kaum jemand laut irgendwelchen Unmut kundtun. Dass die ÖVP in Schwächephasen zu internen Debatten neigt, weiß man aus der Vergangenheit. Doch derzeit zeichne sich noch keine solche Schwächephase ab, meint Plasser. Heikel werde es, wenn die Eintracht zwischen ÖVP und FPÖ bröckelt und sich manche Parteigänger unangenehm an frühere Koalitionsregierungen erinnert fühlen. „Dann wäre der Scheitel­punkt überschritten. Aber Kurz und Strache tun alles, damit das nicht passiert.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 8/2019