Die Lehrjahre
des Julian Schmid

Der grüne Nationalratsabgeordnete Julian Schmid ist jener Mann, der Peter Pilz geschlagen hat. Bei Jungwählern ist er beliebt. Von politischen Beobachtern wird er hingegen vielfach nicht ernst genommen. Was will er?

von Julian Schmid © Bild: Michael Mazohl

In dieser Geschichte geht es um Politik, um Kennzahlen, um Parlamentarismus. Bevor es aber um Politik, um Kennzahlen und Parlamentarismus gehen kann, geht es erst einmal um Semmeln. Julian Schmid, grüner Abgeordneter zum Nationalrat, steht hinter der Feinkosttheke eines Einkaufszentrums in Wien-Floridsdorf, verpackt Gebäck und schaut sehr konzentriert drein. Der 28-Jährige ist über den Sommer auf "Schnupperlehre“. Das bedeutet fünf Wochen Praktika in verschiedenen Betrieben und Bundesländern: eine Autowerkstatt und ein Supermarkt in Wien, ein Hotel in Kärnten, ein Bauunternehmen in Linz und ein Frisör in Salzburg. Eine kleine Sommeraktion irgendwo zwischen Politik und PR, die wohl nur bedingt Aufmerksamkeit erregt hätte. Wären da nicht die Ereignisse Ende Juni gewesen.

Julian Schmid
© Michael Mazohl Julian Schmid, 28, war der jüngste Abgeordnete im Parlament, ist Feindbild der Peter-Pilz-Fraktion und Schnupperlehrling

Drei Wochen bevor Julian Schmid im Supermarkt Semmeln verpackt, steht er am Bundeskongress der Grünen in Linz und hält eine Rede. Später gewinnt er die Stichwahl um Listenplatz vier gegen Peter Pilz, der daraufhin die Partei verlässt und seine eigene Liste gründet. In der politmedialen Blase gehen sofort zwei Zahlenpaare herum: In der aktuellen Gesetzgebungsperiode stehen auf Peter Pilz’ Konto 104 Anfragen und 13 Anträge, auf Schmids sieben beziehungsweise neun. Medial lässt sich die Geschichte gut verkaufen: Ein älterer, fleißiger Abgeordneter verliert gegen einen jungen, feschen, faulen. Und wie so oft bei guten Geschichten ist auch diese wohl ein bisschen zu einfach.

Julian Schmid ist seit 2013 Nationalrat und Jugendsprecher. In die Öffentlichkeit schaffte er es meist nicht durch parlamentarische Initiativen, sondern durch kontroverse Werbemaßnahmen. Er war auf dem Titel des "Eva“-Magazins. Er postete ein Oben-ohne-Foto aus seinem Mallorca-Urlaub. Er wurde 2015 im Wiener Wahlkampf mit Kussmündern übersät und mit dem Spruch "Ich bin Öffi für alles“ plakatiert, obwohl er nicht einmal zur Wahl stand. Das hat Schmid auf dem politischen Parkett eine Menge Kritik eingebracht, ihn allerdings auch bekannt gemacht.

»Zu uns kommt selten ein Politiker. Und wenn, dann nur für einen Fototermin«

Auch die Schnupperlehre-Aktion wird per Foto und Video dokumentiert und kontrovers diskutiert. Das sei Prekariatstourismus, eine Verhöhnung der Lehrlinge, konnte man immer wieder unter den Postings von Schmid lesen. "Wie abgehoben ist der Scheiß eigentlich?“ Er selbst kann das nicht nachvollziehen. "Es ist ein Unterschied, ob ich eine Woche dort bin oder nur eine Stunde. Und die Alternative wäre es, es nicht zu tun.“ Er habe einen bildungsbürgerlichen Hintergrund, nie eine Lehre gemacht. Als Politiker gehöre es doch dazu, sich ein Bild zu machen. "Die Reaktionen der Mitarbeiter sind durchweg positiv“, sagt Schmid. "Viele kennen mich nicht und sind überrascht, dass sich ein Politiker überhaupt für sie interessiert.“

Seltener Anblick

Tatsächlich sind zumindest die Mitarbeiter im Interspar Floridsdorf von der Aktion durchaus angetan. "Zu uns kommt selten ein Politiker, und wenn, dann nur für einen Fototermin“, sagt Rüstem Arifoski, der den Praktikanten Schmid hinter der Feinkosttheke herumscheuchen darf. Auch Helene Golser, die bei Interspar für die Betreuung der Lehrlinge zuständig ist, freut sich, "dass Schmid die Lehre in den öffentlichen Fokus rückt“. Schmid selbst sagt, dass er aus den fünf Wochen konkrete politische Handlungsanweisungen mitnehmen will. Und so gibt es wohl zwei legitime Lesarten, die gleichberechtigt nebeneinander existieren können: der Abgeordnete, der sich einen groben Überblick über die Probleme der Menschen verschafft, die er vertritt. Und der Mensch, der 8.755,76 Euro im Monat verdient und sich jetzt kurz mal anschaut, wie die so leben, die weniger verdienen.

Julian Schmid
© Michael Mazohl Ist das alles nur Show für die eigene Facebook-Seite? Als Politiker müsse man sich ein Bild machen, erklärt Julian Schmid

Aufstieg eines Kükens

Julian Schmid wuchs in behüteten Verhältnissen in Klagenfurt auf. Ein klassisches Lehrerkind, auch die beiden älteren Brüder arbeiten heute als Lehrer. Der damalige Landeshauptmann Jörg Haider trieb Schmid mit 13 Jahren zu den Grünen. Er wurde Landesschulsprecher, gründete die Grünalternative Jugend in Kärnten mit. "Julian war das Küken, aber extrem interessiert“, erinnert sich Janine Wulz, ebenfalls Gründungsmitglied. Man habe tagelang mit ihm über Gesellschaftspolitik reden können.

Schmid zog 2008 nach Wien und begann ein Politikwissenschaftsstudium. Er dockte bei den Grünen in Wieden an, rannte für die Partei, wurde Bezirksrat. "Ich kam aus Kärnten, einem für die Grünen harten Pflaster“, sagt Schmid. "Ich war verlässlich und engagiert. Da bekommt man schnell mehr Verantwortung.“ Kurz danach rückte er in den erweiterten Landesvorstand der Wiener Grünen auf.

Für die Grünen begann 2010 nicht nur die Arbeit in der Landesregierung, sondern auch eine Zeit größerer strategischer Überlegungen. "Die Frage, wie man die Jungwähler nicht der FPÖ überlassen könnte, war ein zentrales Thema für uns“, erinnert sich Georg Prack, damals wie heute Mitglied im erweiterten Landesvorstand. "Wir haben nächtelang diskutiert, Ideen gewälzt und Strategien entworfen.“ Das habe Julian Schmid geprägt. Vieles von dem, was er heute mache - die direkte Ansprache auf Social Media, die offensiv positive Grundhaltung - könne man nur aus diesen Überlegungen heraus verstehen.

Schmid setzt der Welt, in der Abstiegsängste die Menschen in die Hände von Rechtspopulisten treiben, einen geradezu nervigen Optimismus entgegen. "Zu oft herrschen nur Tristesse und Hoffnungslosigkeit“, sagt er. "In den Medien wirkt es, als würde alles immer schlechter. Ich glaube fest daran, dass wir die Zukunft nur mit Optimismus und Hoffnung besser machen können.“ Schmid ist absolut unzynisch, das ist sein Fluch und Segen zugleich. Er redet gerne über Metathemen, wirft mit großen Worten wie Turbokapitalismus, Klimawandel und Geschlechtergerechtigkeit um sich, wird aber im Detail schnell schwammig. Man kann das je nach Sichtweise ambitioniert oder naiv nennen. Schmid will wirklich die Politik verändern, wirklich die Welt retten. Und er glaubt wirklich, dass das mit den grünen Ideen möglich ist. In die meist zynische politmediale Blase passt er damit nicht hinein. Twitter, wo der Zynismus und der technisierte Politzugang dieser Blase kulminieren, hat Schmid längst abgeschrieben. Da ist für ihn nichts zu holen. Instagram und Facebook sind seine Plattformen, dort ist seine Zielgruppe. Schmid hat mittlerweile über 24.000 Facebook-Fans hat, ein Großteil davon unter 35 Jahre.

»Viele Politiker schließen sich in ihrem Elfenbeinturm ein. Bei mir steht die Diskussion im Vordergrund«

Die möchte er in der Politik vertreten, wobei er Politik weiter fasst. "Für mich ist es eine absolut politische Angelegenheit, Jugendliche durchs Parlament zu führen“, sagt Schmid. "Viele Politiker schließen sich in ihrem Elfenbeinturm ein. Bei mir steht die Diskussion im Vordergrund.“ Wenn man ihn nach seinen positiven Erfahrungen in der Politik fragt, kommt als Erstes keine Episode aus dem Parlament, sondern der Van-der-Bellen-Wahlkampf. Schmid liebt Wahlkämpfe, war viel in den Bundesländern unterwegs. Dort kann er seine Stärken ausspielen. Bei den oft verkopften Grünen können wenige so gut mit Menschen wie Schmid. Am vierten Tag im Interspar kann er zu allen Kollegen eine kleine Geschichte erzählen. Der eine habe sich den Zahn abgebrochen, der andere sei Fleischhauer aus Rumänien, dessen Lehre aber in Österreich nicht anerkannt. Schmid hat diesen Menschen zugehört und sich ihre Geschichten gemerkt. "Viele von uns haben den Hang, die Welt zu erklären“, sagt jemand aus der Partei. "Da tut uns jemand wie Julian, der gerne zuhört, wahrscheinlich gut.“

Kein Vollblutparlamentarier

Schmids verhältnismäßig hoher Anteil an außerparlamentarischen Aktivitäten sorgt für Diskussionsstoff. Kurz nach dem Bundeskongress wurde seiner Klubkollegin Gabi Moser im ORF-"Report“ die Frage gestellt, was Schmid die letzten vier Jahre denn eigentlich so gemacht habe. "Ich weiß es nicht“, sagte Moser. Abgeordnete anderer Parteien beschreiben Schmid mit Freude als gutes Politmaskottchen mit überschaubarem Drang zur parlamentarischen Arbeit. Auch Leute aus dem Grünen Klub geben zu, dass Schmid kein Vollblutparlamentarier alter Schule sei. Und doch hatte er natürlich auch seine Themen. Das Top-Jugendticket zum Beispiel. Gemeinsam mit anderen Jugendsprechern verhinderte er, dass die ÖBB-Freifahrt für Zivildiener abgeschafft wurde. Das sind Themen, die sich bei Jugendlichen auf Facebook einfacher verkaufen lassen als in der "ZiB 2“. "Beim Thema Zentralmatura bin ich in den Medien kaum vorgekommen“, sagt Schmid. "Aber ich glaube, dass fast jeder Maturant meine Rede dazu kennt.“

Auch seine zahlreichen Kritiker gestehen Schmid zu, dass "Jugend“ eine Querschnittsmaterie fast ohne exklusive Kompetenzen ist. Bei jedem Thema grätscht man einem Kollegen ins Feld, und der muss einem das erst überlassen. Das hat bei den Grünen nicht immer funktioniert. Im Jahr 2015 exponierte sich Schmid beim Thema Maklergebühren. Als ein Jahr später Vorschläge für die große Mietrechtsform vorgestellt wurden, machte das Eva Glawischnig mit Justizsprecher Albert Steinhauser. Schmid war draußen aus dem Thema.

Die Partei, für die Jungwähler so wichtig sind, weiß, was sie an Schmid hat. Schon 2013, als er als bis dato jüngster Abgeordneter in den Nationalrat einzog, setzte er sich beim damaligen Bundeskongress gegen eine ganze Reihe von prominenten Gegenkandidaten durch. Es gibt in der Politik nämlich auch andere nicht unwichtige Kennzahlen: In der Parteitagsrede von Schmid kam das Wort "ich“ zehnmal vor, in der von Peter Pilz 22-mal.

»Ich will politisches Interesse auch bei denen wecken, die sich sonst nicht für Politik interessieren«

Schmid könnte es sich einfacher machen. Im Nationalrat sitzen viele, die Dienst nach Vorschrift machen, den Kopf einziehen und kaum Ziel öffentlicher Attacken werden. Bei Schmid ist es die Kombination aus überschaubarer legislativer Ambition und großer Öffentlichkeitswirkung, die ihn zu einer Zielscheibe macht. Schmid selbst sagt, er freue sich auf fünf weitere Jahre. Er habe viel gelernt. "Vieles von dem, was ich in der letzten Gesetzgebungsperiode angefangen habe, kann ich jetzt zu Ende führen.“ Zum Beispiel weiter am Wahlrecht für Lehrlinge bei Betriebsratswahlen arbeiten. Und auch seine außerparlamentarischen Aktivitäten weiterführen. Schmid selbst will kein Politiker alter Schule sein. "Ich will politisches Interesse auch bei denen wecken, die sich sonst nicht für Politik interessieren.“