27 Gründe, warum wir
Großbritannien doch lieben

Seitdem der Brexit feststeht, ist das United Kingdom nur mehr für Negativschlagzeilen gut. Gerade jetzt, mitten im ärgsten Trubel: Zeit für eine 27-teilige Liebeserklärung an die Insel und ihre Bewohner

von Politik - 27 Gründe, warum wir
Großbritannien doch lieben © Bild: Getty Images

Die Köpfe auf beiden Seiten des Ärmelkanals rauchen, die Politiker treten reihenweise zurück und für Kommentatoren ist nur eines fix, nämlich dass nichts fix ist. Der Brexit, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, ist eine enorme Herausforderung – und ein ziemlich irrwitziges politisches Pokerspiel, ausgelöst durch Ex-Premierminister David Camerons Entscheidung, eine Volksabstimmung zum Thema durchzuführen.

Lösung

Seine Nachfolgerin Theresa May muss nun eine Lösung für das schier unlösbare ­Problem finden. Ihr letzte Woche vorgelegter 600 Seiten starker Entwurf für eine ­Einigung mit Brüssel fand zwar die Billigung ihres Kabinetts, tags darauf traten aber zwei Minister und zwei Staatssekretäre zurück. Ein Misstrauensvotum ihrer eigenen Fraktion, initiiert von dem Parlamentshinterbänkler Jacob Rees-Mogg, steht im Raum und das (politische) Schicksal Mays zur Disposition. Sie habe zu wenig hart verhandelt, werfen ihr Kritiker vor, und sich von den EU-Diplomaten über den Tisch ziehen lassen.

Sollte sich May innenpolitisch nicht durchsetzen, käme wohl ein „harter“ Brexit mit ungewissen Folgen für die Wirtschaft und die Bürger: Dann müssten an der Grenze – auch in Irland – Zollkontrollen durchgeführt, Slots für den Flugverkehr ausverhandelt und die Aufenthaltsrechte von Briten in der EU koordiniert in jedem Mitgliedsland geregelt werden.

Besonders umstritten an dem Austrittsabkommen sind die sogenannten „Backstop“-Regelungen, also jene Vorkehrungen, die verhindern sollen, dass Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland notwendig werden. Brexit-Hardliner befürchten, dass Großbritannien als Ganzes Teil der Europäischen Zollunion bleibt – und keine neuen Freihandelsabkommen, beispielsweise mit den USA, abschließen kann. Die EU signalisiert derzeit aber keine große Bereitschaft zu Nachverhandlungen, auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sprach sich jüngst dagegen aus.

Negativschlagzeilen

Politisch verursacht das Vereinigte Königreich seit geraumer Zeit hauptsächlich Probleme und Negativschlagzeilen. Ein Ende des Bruderzwists im Hause Europa: nicht in Sicht.

Zeit also, sich Land und Leuten auch einmal positiv zu nähern. Von A wie Anstellen über K wie Kinderliteratur und S wie schrullige Typen bis V wie Vielfalt – 27 Gründe, warum wir Großbritannien und die Briten trotzdem lieben. Auch wenn die Zeit der 28 EU-Mitgliedsstaaten bald ­vorbei sein wird.

1 Britischer Humor

Sehen Sie sich das Foto genau an – und dann sagen Sie etwas gegen die Briten. Geht nicht. Genau. Es handelt sich bei den Herren auf der Aufnahme natürlich auch um einige der besten Diplomaten, die das Vereinigte Königreich in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebracht hat: Die ganze Welt lacht(e) über die 1969 gegründete legendäre Komikertruppe Monty Python. So wie später auch über „Little Britain“ oder „Mr. Bean“. Britischer Humor gilt als besonders trocken, schwarz, anarchisch, surreal und vor allem selbstironisch. Kann in Zeiten des Brexits sicher nicht schaden.

2 Royal Weddings

Die diesjährige Hochzeit von Meghan Markle und Prince Harry dauerte gefühlt drei Monate. Jedes Details wurde medial ausführlich durchbesprochen, das Warten auf das Brautkleid geriet zum Nervenkitzel, Raketenstarts sind nichts dagegen, und dann sahen sich immer noch bis zu 900.000 Österreicher die Übertragung im Fernsehen an. Warum? Live-Events, noch dazu so gründlich angekündigte, interessieren immer. Und man wird ja wohl ab und zu noch ein Tränchen verdrücken dürfen.

3 Londoner Parks

Tosender Verkehrslärm gleich neben gepflegtem Grün: Die Londoner Parks sind ein Phänomen. Ruheoase für fußwunde Touristen, bewegungshungrige Kinder, Läufer, Hunde und alle(s) andere, was in einer Großstadt so kreucht und fleucht. Zum Beispiel kleine grüne Papageien, deren Herkunft Rätsel aufgibt. Einer Urban Legend zufolge entkamen die Urväter der heutigen Vögel bei den Dreharbeiten zum Film „The African Queen“ mit Humphrey Bogart.

4 Public Houses

Hat nichts mit unseren „öffentlichen Bedürfnisanstalten“ zu tun, sondern steht lang für: Pubs. Einzigartige Tempel der Trinkkultur, und das Beste: rauchfrei.

© Anders Adermark

5 Last Christmas

Kein Weihnachten ohne „Last Christmas“. Der Hit der britischen Boyband Wham! suchte 1984 erstmals die Charts heim und kehrt seitdem immer wieder. Im Vorjahr erreichte er in Österreich Platz fünf.

6 Ungeheuer von Loch Ness

Das Getier aus dem schottischen See (= Loch) Ness beschäftigt und beunruhigt anglophile Tierfreunde seit Jahrzehnten. Frei nach dem berühmten Schriftsteller aus dem Süden: Ist es oder ist es nicht? Eher nicht. Aber hey, die seit dem Jahr 565 (!) überlieferten Sichtungen sind zu einer zuverlässigen Einnahmequelle geworden.

© Matt84

7 Große Vielfalt

Während es einerseits immer noch ein recht ausgeprägtes Klassendenken gibt – man wird, sobald man den Mund aufmacht, nach einem Gesellschaftsrang beurteilt: Herkunft, Ausbildung etc. –, ist Großbritannien andererseits auch sehr egalitär und multikulturell. Man sieht viele „interracial couples“, und bunt gemischte Freundeskreise bestehen aus Menschen mit afrikanischer, indischer, pakistanischer Herkunft.

8 Freundlichkeit

Der freundliche Umgang manifestiert sich allein schon in der Sprache. Im Pub etwa: „Do you mind if I take this seat?“ („Würde es Sie stören, wen ich mich hier setze?“) Das hört man bei uns eher selten. Wenn dir jemand auf die Füße tritt oder dich versehentlich anrempelt, bekommst du nicht nur ein „I am sorry“, sondern auch noch ein Lächeln dazu. Und die Briten sind hilfsbereit. Wer schon einmal mit einem Stadtplan auf der Straße stand, weiß das: Es dauert keine Minute, bis dich jemand fragt, ob er dir helfen kann.

9 Hinten anstellen

Das Klischee vom Anstellen: Ja, es stimmt und es ist angenehm, dass beim Einsteigen in die U-Bahn oder beim Anstellen am Ticketschalter alle nach denselben Regeln spielen. Man stellt sich an, statt um Plätze und Vorankommen zu rangeln.

10 British English

Was in unseren Schulen unterrichtet wird, nennt sich „Standard English“ oder „BBC English“ und bildet eine in der frühen Neuzeit in und um London gesprochene Form des Englischen ab. Schätzungen zufolge bedienen sich heute zwei bis drei Prozent der Briten dieser Aussprache­variante. Das bedeutet: 98 Prozent sprechen anders. Und zwar oft unverständlich. Das „British English“ verfügt – ein Erbe seiner reichen literarischen Tradition – über ein großes Repertoire verspielter Wörter. Und es kommen, auch unter dem Einfluss anderer Sprachen, ständig neue dazu.

11 Die Queen

Das britische Königshaus kostet die Steuerzahler jährlich etwa 293 Millionen Pfund (330 Millionen Euro), aber es bringt auch einiges ein. Wirtschaftsgutachter schätzen, dass die Queen und ihre Familie im Vorjahr 1,77 Milliarden Pfund (zwei Milliarden Euro) zur britischen Wirtschaft beitrugen. Man mag zur Monarchie stehen wie man will – die Queen, seit 65 Jahren im Dienste ihres Volks, erfreut sich ausgezeichneter Beliebtheitswerte.

12 Peppa und Sam

Zwei der auch hierzulande erfolgreichsten Kleinkinder-Fernsehserien stammen aus Großbritannien: Die Geschichten über das rosa Schweinchen Peppa Pig (auf Deutsch: Peppa Wutz) und seine Familie sind vor allem bei Mädchen beliebt. Buben lieben den heldenhaften walisischen Feuerwehrmann Sam, der ständig damit beschäftigt ist, den patscherten Buben Norman aus allerlei misslichen Lagen zu befreien. Auch „Bob, der Baumeister“, und „Thomas, die Lokomotive“ sind übrigens Briten.

13 Rosamunde Pilcher

Die weltberühmte Autorin von Herzschmerzromanen ist mittlerweile 94 Jahre alt und seit fast 20 Jahren im schriftstellerischen Ruhestand. Doch im deutschen und österreichischen Fernsehen wirkt sie weiter fort: Die Verfilmungen ihrer Romane sorgen für Topquoten. Nicht obwohl, sondern weil sie leicht durchschaubar sind. Düstere Familiengeheimnisse und keusche Küsse im verarmten Landadelsmilieu, dazu rauscht das Meer von Cornwall sehnsuchtsvoll. „Man“ schaut natürlich vor allem wegen der Landschaft.

14 Schrullige Typen

Der englische Exzentriker ist ein beliebtes Motiv in der Literatur, tritt aber auch im echten Leben in Erscheinung. Etwa in Person des Tory-Abgeordneten Jacob Rees-Mogg, der als strammer Konservativer Theresa May und andere Befürworter des sanften Brexits das Fürchten lehrt. Von Ex-Außenminister Boris Johnson ganz zu schweigen. Größeren Anklang – zumindest in Kontinentaleuropa – fand Benedict Cumberbatchs Serien-Neuinterpretation von Sherlock Holmes als „hochfunktionalem Soziopathen“ mit Mütze, Mantel und Leichenteilen im Kühlschrank.

15 Schöne Lichter

Londons Weihnachtsbeleuchtung ist legendär und Teil eines größeren Zusammenhangs: Wo das Wetter es nicht gut mit einem meint, gilt es, trotzig zu widerstehen.

16 Popmusik

Die Liste maßgeblicher und stilprägender britischer Popmusiker würde die nächsten Seiten füllen. Was mit den Beatles oder Pink Floyd in den 60er-Jahren begann, von David Bowie oder Led Zeppelin in den frühen 70ern fortgeführt und im Punk (Sex Pistols, The Clash u. v. m.) mit frischer Energie aufgeladen wurde, entwickelte sich in den 80ern schließlich … ach, es ist sinnlos. Allerdings: Die Folgen des Brexits auf die Musikindustrie sind, wie auch auf andere Wirtschaftszweige, derzeit nicht absehbar.

17 Fish and Chips

Wer Pommes und Fischstücke aus der Fritteuse zu seinem Nationalgericht macht, kann über keine besonders hoch entwickelte Cuisine verfügen. Aber dafür gibt es Essig-Chips und Thai und Indian Food. Und gegen Fish and Chips in der Restaurant­variante (mit hochwertigem Fisch und Erbsenpüree) ist wirklich nichts zu sagen.

18 Wetterfestigkeit

Briten trotzen jedem Wetter: Selbst bei Kälte und Regen steht man im Freien und trinkt sein Pint. Jedes Sonnenfenster wird für ein Picknick im Park genutzt, auch wenn es noch so kalt ist. Und vor allem Britinnen scheinen kein Kältegefühl zu kennen, wenn sie selbst im kalten, windigen Winter mit Minirock und Stöckelschuhen herumstol­zieren – „Bridget Jones“ lässt grüßen.

19 Alte Autos

Rolls-Royce, Jaguar, MG, Aston Martin, Triumph … Heaven für Autoliebhaber.

20 London, our love

Die Hauptstadt Großbritanniens ist so spannend, dynamisch vielfältig und immer wieder sehenswert, sodass …

21 Das Land rundherum

oft ein wenig zu kurz kommt. Dabei gibt es auch andere Destinationen, die unbedingt eine Reise wert sind. Eine kleine Auswahl: die Kreidefelsen von Dover, die Seven Sisters (Kliffküste zwischen Eastbourne und Seaford), Lake District.

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22 Die alte Tante BBC

Die BBC (British Broadcasting Corporation) kann getrost als Inbegriff des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bezeichnet werden – mit allen Stärken und Schwächen. Zuletzt sorgten Serien wie „Bodyguard“ oder „Sherlock“ für Furore.

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23 Teekultur

Fällt in eine ähnliche Kategorie wie die Blumentöpfe, die Britinnen bei Hochzeiten auf dem Kopf spazieren tragen („Fascinator“): von außen schwer nachvollziehbar, aber irgendwie … faszinierend.

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24 Britische Mode

Auf der einen Seite: der klassische englische Stil. Auf der anderen: exzentrische Modemacher wie Vivienne Westwood. Auch im Alltag darf Tradition neben persönlichem Ausdruck stehen. Junge Britinnen und Briten reagieren rasch auf Modetrends, erlauben es sich aber, sie eigenständig zu interpretieren. Frei nach dem Motto „Anything goes“.

25 Kinderliteratur

Aus keinem Land der Welt kommen so viele großartige Kinder- und Jugendbücher. Und nein, hier ist nicht (nur) von „Harry Potter“ die Rede, sondern von „Alice im Wunderland“, dem „Dschungelbuch“, „Peter Pan“, „Pu, der Bär“, „Hanni und Nanni“, „Die Chroniken von Narnia“, „Paddington“, „Matilda“, „Grüffelo“ u. v. m.

26 Gratismuseen

Der kostenlose Zugang zu Institutionen wie dem British Museum oder dem Science Museum gehört zu London wie die allgegenwärtigen Coffeeshops. Einem kostengünstigen London-Trip der Sonderklasse steht somit nur eines im Weg – dass Kaffee (und alles andere auch) sehr teuer ist.

27 Fußball (what else)

Fußball (Football) ist der inoffizielle Nationalsport Englands. Kein Wunder, England gilt schließlich als das Mutterland des Fußballs. Die ersten überlieferten Regeln wurden ebendort Mitte des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet. Die Auswirkungen des Brexits auf die Premier League, die oberste Spielklasse, geben jedoch Anlass zur Sorge: Gut möglich, dass es dann schwieriger wird, gute ausländische Spieler zu engagieren.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 47 2018