Fünfkampf in Grün
um Vassilakous Platz

Fünf Grüne bewerben sich um Maria Vassilakous Job als Wiener Vizebürgermeisterin. Einer von ihnen wird sie im Frühling beerben. Wie sie Wien sehen und was sie verbessern möchten, zeigen sie bei politischen Spaziergängen vom Nußberg bis nach Favoriten

von Politik - Fünfkampf in Grün
um Vassilakous Platz © Bild: Copyright 2018 Matt Observe - all rights reserved. News Matt Observe

Es kam nicht überraschend, aber trotzdem plötzlich. Am 2. September verkündete Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, dass sie diesen Job höchstens bis Mitte 2019 machen wird. Spätestens dann wird jemand anderer ihr in der Stadtregierung nachfolgen, Michael Ludwigs linke Hand und Österreichs einflussreichster Grün-Politiker sein. Zumindest bis zur nächsten Wahl, die spätestens 2020 stattfindet. Den Wahlkampf dann wird die neue Nummer eins der Wiener Grünen führen.
Wer das sein wird, wird in einem in Österreich bisher einzigartigen Prozess ermittelt. Die Grünen nennen es „Spitzenwahl“, sie begann unmittelbar nach Vassilakous Rücktrittsankündigung im September. Bewerben konnte sich jeder, man musste nicht einmal grünes Parteimitglied sein. Wer mindestens 100 Unterstützungserklärungen sammelte, wurde als Kandidat zugelassen. Fünf Menschen ist das gelungen, einer von ihnen wird Maria Vassilakou nachfolgen.
In das Rennen um den Grünen Spitzenjob gehen nun fünf sehr unterschiedliche Kandidaten: David Ellensohn, 55, der als langjähriger Klubchef im Rathaus bisher die Nummer zwei in der Partei war. Birgit Hebein, 51, die als Sozial- und Sicherheitssprecherin im Gemeinderat die Mindestsicherungsregelung in Wien verhandelt hat. Peter Kraus, 31, der seit der letzten Wahl ebenfalls im Gemeinderat sitzt, und davor Maria Vassilakous Büroleiter war. Benjamin Kaan, 32, der in Meidling Bezirksrat ist. Und die Ärztin Marihan Abensperg-Traun, 42, die erst vor einem Jahr bei den Grünen andockte.
Sie alle haben unterschiedliche Schwerpunkte – und einen ganz speziellen Blick auf Wien. Auf den nächsten Seiten zeigen sie die Stadt aus ihrer Sicht. Sie führen an Orte, die persönlich oder politisch von großer Bedeutung sind. Sie zeigen, was sie gut finden und was sie verändern wollen, wenn sie tatsächlich Vizebürgermeisterin oder Vizebürgermeister werden.
Wer von ihnen den Job bekommt, entscheiden jene 1.850 Wienerinnen und Wiener, die sich als Grünwähler registriert haben, und die rund 1.400 Parteimitglieder. Sie können die fünf Kan-
didaten auf einem Stimmzettel nach Präferenzen reihen. Die Wahl läuft vom 8. bis 26. November, dann wird nach einem Stichwahlsystem ausgezählt. Wer am wenigsten Erststimmen bekommt, fliegt aus dem Rennen. Die Stimmen wandern an den jeweils Zweitplatzierten auf den Stimm­zetteln des Ausgeschiedenen. Diese Prozedur wiederholt sich, bis einer oder eine übrig bleibt, die mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen hat: die neue Nummer eins der Wiener Grünen.
Der erste Termin des Siegers oder der Siegerin wird wohl ins Rathaus führen, ins Büro von Maria Vassilakou. Auf der Agenda steht dann: Amtsübergabe besprechen.

David Ellensohn

„Einsprachigkeit kann geheilt werden. Jedes Kind sollte drei Sprachen sprechen können“

© Ricardo Herrgott Ein Sprung ins kalte Wasser. David Ellensohn in der Lobau. Als Grünen-Chef will er einen neuen Anlauf gegen den Tunnel unter dem Nationalpark unternehmen

Er ist Vorarlberger mit britischen Wurzeln, seine Kinder sind halbe Holländer, für David Ellensohn ist daher klar: „Einsprachigkeit kann geheilt werden. Am Ende seiner Schullaufbahn sollte jedes Kind drei Sprachen können. Deutsch als Landessprache, Englisch und seine zweite Muttersprache. Die Kinder, bei denen zu Hause nur Deutsch gesprochen wird, sollen sich halt noch eine Sprache aussuchen.“ Als ersten Ort seines Rundganges hat der Bildungssprecher der Grünen den Bildungscampus Sonnwendviertel gewählt.

Hier will Ellensohn vermitteln, dass „Bildung der beste Schlüssel zur Chancengleichheit für alle Kinder ist“. Dass nicht alle Kinder nach dem verpflichtenden ­Kindergartenjahr Deutsch können, bringt ihn zu einem nächsten Punkt: Das zweite verpflichtenden Kinderjahr muss kommen und am besten sogar noch ein drittes.

Nächstes Ziel eine Wohnhausanlage in der Belvederegasse im vierten Bezirk, es geht um leistbares Wohnen. Hier kämpft Ellensohn dagegen, dass gemeinnützige Wohnungen von findigen Investoren vom Markt genommen werden. Die Wohnungen werden verkauft, die Aufhebung der Gemeinnützigkeit beantragt, was in einigen Bundesländern durchgeht. Hier geht es um 130 Wohnungen, die nach und nach Touristenappartements werden. „Die bringen dann 100 Euro am Tag statt 300 Euro im Monat.“ Soeben kommen Touristen aus Hongkong an, sie freuen sich über das Foto mit dem Politiker. Der meint: „Es kann nicht sein, dass die Stadt Flächen für den gemeinnützigen Wohnbau widmet und dann wird so was draus.“

Letzte Station, Lobau. An der Dechantlacke genießen Sonnenanbeter die letzten warmen Spätsommertage. Die Grünen kämpfen gegen den Lobautunnel und sehen u. a. das Grundwasser in Gefahr. Mehr Straßen bringen mehr Verkehr. Zudem wird Kaufkraft aus Wien ins Umland abgesaugt, ist Ellensohn überzeugt, Und Wiener würden in den Speckgürtel ziehen, weil sie ja leicht wieder in die Stadt pendeln könnten. 250.000 Autos kommen ­daher jeden Morgen in die Stadt. „Wir fordern die Citymaut, die zur Halbierung dieses Verkehrs führen soll. Mit dem Geld bauen wir die Öffis aus und führen ein 365-Euro-Ticket fürs Umland ein.“

Birgit Hebein

„Ohne Vergangenheit gibt es keine Gegenwart und Zukunft“

© Ricardo Herrgott Birgit Hebein an den Eckpunkten ihrer Politik: einer Fahrradwerkstatt im 16. Bezirk, einem Ort der Erinnerung im 15. und einem Projekt für die Jungen

Nur einen Stadtspaziergang mit Fotos will Birgit Hebein nicht machen. An jedem Ort will sie Gespräche führen, „denn das ist, wie ich Politik mache“, sagt die Sozialsprecherin der Wiener Grünen und betritt die Radwerkstadt in der Hasnerstraße im 16. Bezirk. Seit 13 Jahren repariert Daniel Reinhartz hier Räder. „Noch nie war ein Politiker da und hat ­gefragt, wie es mir als Unternehmer geht“, sagt er. Dabei gäbe es einiges zu verbessern: Lange musste er um einen Lehrling kämpfen, doch den Lehrberuf Fahrrad­mechaniker gibt es gar nicht, er bildet nun einen Einzelhändler aus. Hebein nickt und nimmt noch ein paar Anregungen mit: weniger Bürokratie für EPU, eine Plattform, über die Bürger sich einfacher an die Stadt wenden können. Klar, das Thema Rad führt weiter zum Autoverkehr und zum Klimawandel, den sie auch als soziale Frage sieht: „Die Menschen spüren, dass es so nicht weitergeht. Aber ich würde meinem Nachbar nicht zumuten, dass er um fünf in der Früh zu Fuß in die Arbeit geht“, sagt sie. „Mir geht es um Augenmaß und ­soziale Verträglichkeit.“

Nächsten Station: Herklotzgasse 21 im 15. Bezirk. Hier entdeckten Bewohner die jüdische Vergangenheit ihres Viertels und engagieren sich für eine Erinnerungskultur. Demnächst wird ein Platz in der Nähe nach Moshe Jahoda benannt, der hier aufgewachsen ist und 1939 als einziger seiner Familie nach Palästina flüchten konnte. Hebein ist Mitglied des KZ-Verbands und unterstützte die Initiative der Anrainer. „Ohne Vergangenheit gibt es keine Gegenwart und keine Zukunft“, sagt sie.

Das Projekt „Back to the Future“ im zehnten Bezirk. Hier werden jugendliche Mindestsicherungsbezieher an den Arbeitsmarkt herangeführt. Ein „extrem klasses rot-grünes Projekt“, sagt Hebein. Sie setzt sich zu den Jugendlichen und lässt sich von den Problemen bei der Arbeitssuche erzählen. „Das ist für mich gelebte Politik“, sagt sie. „Ich will soziale Sicherheit in den Mittelpunkt meiner Arbeit stellen. Denn, nur wer sich um seine Wohnung und sein Dasein keine Sorgen machen muss, hat überhaupt erst die Zeit, sich an Demokratie zu beteiligen.“

Peter Kraus

„In Wien ist Wohnen die große soziale Frage“

© Ricardo Herrgott Die Theatergruppe, der Kraus angehört, nutzt ein leer stehendes Gebäude für Proben. Das Konzept will er auf Stadt­entwicklungsgebiete ausweiten

Ein Neubau in der Ullmannstraße im 15. Bezirk mit bunten Balkonen. Eine 63-Quadratmeter-Wohnung, die im Inserat als WG-tauglich angewiesen ist, kostet hier 1.200 Euro. „Viel zu viel“, findet Peter Kraus, der für sein erstes WG-Zimmer in Wien als Student nur 220 Euro zahlte. Während im Gründerzeithaus gegenüber das Mietrecht die Preise reguliert, gibt es für alle Häuser, die nach 1955 gebaut sind, keine Grenzen. Kraus will das ändern. „Wohnen ist eine soziale Frage“, sagt er. Für das Mietrecht ist zwar der Bund zuständig, doch Kraus will als Vizebürgermeister Druck aufbauen. Er denkt sogar über ein Mietenvolksbegehren nach. Bisher reizt der 31-Jährige im Wiener Gemeinderat die politischen Möglichkeiten aus. Er hat die Neuregelungen für Airbnb-Vermietungen mitverhandelt und war daran beteiligt, dass es ab November eine neue Flächenwidmungskategorie für geförderten Wohnbau gibt.

In Rudolfsheim-Fünfhaus kennt der ­gebürtige Niederösterreicher sich gut aus. Er wohnt hier, seit er 2005 zum Studieren nach Wien gezogen ist, und schätzt die Vielfalt im Bezirk. Das Buchcafé Melange in der Reindorfgasse ist seine liebste Buchhandlung. Heute holt er das Buch des bayrischen Grünen Robert Habeck ab. „Im Ausland feiern die Grünen Erfolge. Wir können das auch wieder schaffen“, ist er überzeugt.

Mit dem Sechser fährt er weiter zum Gellertplatz in Favoriten. Früher war hier ein katholischer Kindergarten, doch seit Jahren steht das Haus leer. Die Caritas, der das Haus gehört, bietet es derzeit zur ­Zwischennutzung an. Künstler haben hier ­vorübergehend ihre Ateliers, Kreative ihre Büros, und die Theatergruppe Nesterval, die Kraus mitgegründet hat, nutzt die Räume zur Probe. „Zwischennutzung ist ein fantastisches Konzept. Das sollte es viel öfter geben“, sagt er. Als Mitarbeiter von Maria Vassilakou, deren Büroleiter er bis 2015 war, hat der die Gründung der Agentur Kreative Räume begleitet, die leer stehende Immobilien in Übergangsphasen vermittelt. Das will er als Vizebürgermeister weiter ausbauen. „In Wien wird der Leerstand derzeit gar nicht erhoben. Dabei ist Zwischennutzung die ideale Lösung in Stadtentwicklungsgebieten.“

Benjamin Kaan

„Wir Grüne dürfen nicht aufhören, für Dinge zu stehen“

© Ricardo Herrgott Benjamin Kaan will Cannabis legalisieren und den Verkehr in Wohngebieten beruhigen. Er kokettiert gerne damit, dass er selbst einen alten Diesel fährt

Auf der einen Seite rattert die U-Bahn vorbei, auf der anderen Seite stehen die Autos im Nachmittagsverkehr. Vorne fahren Burschen im Skatepark, hinter ihm schläft ein Obdachloser in einem Gemeinschaftsgarten. Und unten fließt der Wienfluss gemächlich stadt­einwärts. „Ich mag diesen Ort, weil die Stadt hier in all ihren Facetten so lebendig ist“, sagt Benjamin Kaan im Park bei der U-Bahn-Station Längenfeldgasse.

Der 32-Jährige wohnt hier in der Nähe, im selben Haus, in das er zog, als er zum Studieren von Graz nach Wien kam. Am Wienfluss trifft er gerne Freunde. Und er will ihn auch zu einem politischen Projekt machen. Im innerstädtischen Bereich möchte Kaan das Ufer renaturieren und begrünen – als Klimamaßnahme: „Bäume verbessern die Luft, Wasser kühlt die Umgebung“, sagt er. „In heißen Sommern, auf die wir uns einstellen müssen, ist es wichtig, Orte der Abkühlung zu schaffen für alle, die sich keine klimatisierte Wohnung mit Dachterrasse leisten können.“

Kaan führt einen Zustellservice für ­Biolebensmittel und ist seit seiner Jugend Mitglied der Grünen. Seit der letzten Wahl ist er Bezirksrat in Meidling. Dort setzt er sich im Verkehrsausschuss dafür ein, dass die Ruckergasse eine durch­gehende 30er-Zone wird. Seit die Meid­linger Hauptstraße eine Fußgängerzone ist, ist diese eher schmale Straße mit vielen Wohnhäusern zur Durchzugsstraße geworden.

Ein anderes Anliegen ist ihm die Libe­ralisierung von Cannabis. In einem Hanfshop in der Meidlinger Arndtstraße erklärt er: „Durch die Kriminalisierung werden Menschen an den Rand gedrängt. Wir brauchen ein neues Verständnis von Gesellschaft: Wir sind alle die Mitte.“ Dass es derzeit wohl keinen Koalitionspartner gibt, mit dem die Grünen das durchbringen könnten, weiß er. „Aber auch wenn wir nicht alles durchsetzen können, für das wir stehen, dürfen wir nicht aufhören, für ­Dinge zu stehen.“ Bei den Grünen sei aber genau das passiert: „Es wurden gravierende Fehler gemacht. Wir können jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die etablierten Kandidaten stehen aber genau dafür.“

Marihan Abensperg-Traun

„Der Umstieg auf Öffis schont das Klima und die Nerven“

© Ricardo Herrgott Die gebürtige Niederösterreicherin lebt in Döbling und arbeitet im AKH. Sie will sich für öffentlichen Verkehr und Gesundheitsvorsorge engagieren

Seit Marihan Abensperg-Traun mit 18 zum Studieren aus Niederösterreich nach Wien zog, wohnt sie in Nußdorf im 19. Bezirk. „Für mich ist das der perfekte Mix zwischen Stadt und Land“, sagt die Kinderpsychiaterin, die als einzige ­Bewerberin keine politische Vorerfahrung hat. Erst seit die Grünen nach dem Ausscheiden aus dem Nationalrat ihren Erneuerungsprozess gestartet hatten, dockte sie bei der Bezirkspartei an. „Der Aufruf zur Kandidatur war ja gezielt auch an Quereinsteiger gerichtet. Mit bekannten Gesichtern kann es bei den Grünen keine glaubwürdige Erneuerung geben“, sagt sie mit Blick über Wien in den Weinbergen von Nußdorf. Hier geht die 42-Jährige oft mit ihrer 17 Monate alten Tochter spazieren. Hier denkt sie über Politik nach und faste den Entschluss, zu kandidieren.

Falls sie Maria Vassilakou als Vize­bürgermeisterin und Verkehrsstadträtin beerbt, will sie sich für den Ausbau des ­öffentlichen Verkehrs in die Randbezirke und über die Stadtgrenze hinaus einsetzen. Sie wirbt mit einem 365-Euro-Jahres­ticket für die Öffis im Wiener Umland und mehr Park-and-Ride-Anlagen am Stadtrand: „Der Umstieg auf öffentlichen Verkehr ist gut für das Klima und für die eigenen Nerven“, sagt sie am Nußdorfer Bahnhof. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist der Oberärztin am Allgemeinen Krankenhaus ein Ausbau der niederschwelligen Gesundheitsvorsorge. Ihr schweben Grätzel-Krankenschwestern vor, die hier in den Bezirken die ersten Ansprechpersonen für Gesundheitsthemen sein sollen. „Sie sollen beraten, ob man einen Allgemein- oder Facharzt braucht, und alte Leute zu Hause besuchen, um den medizinischen Bedarf zu klären“, sagt Abensperg-Traun. „Das würde die Nachbarschaft pflegen und die Spitalsambulanzen entlasten.“

Dass sie noch nie im politischen Apparat gearbeitet hat, sieht sie als Vorteil: „Bürgerbeteiligung ist das wichtigste politische Konzept. Führungserfahrung habe ich schon im Krankenhaus gesammelt. Und ich kann mich schnell in neue Themen einarbeiten.“ Der politische Neuanfang, ist sie überzeugt, klappt für die Grünen nur mit einer Quereinsteigerin wie ihr.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 43-44 2018