Ein Experte ist
(k)ein Politiker

Sie kennen sich in ihrem Fach aus und haben beim Regieren manchmal dennoch ein Problem: Quereinsteiger in Ministerämtern. Denn Politik ist ein Handwerk, erfahrene Profis sind im Vorteil. Welche Fehler die Minister Josef Moser und Beate Hartinger-Klein vermeiden hätten können.

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Politik - Ein Experte ist
(k)ein Politiker

Am Anfang steht die Euphorie. Ihr erliegt so ziemlich jeder, der am Supertanker Spitzenpolitik anheuert. Erst recht als Quereinsteiger, als Experte, der jahrelang aus dem Publikum die Vorgänge in Regierung und Parlament beobachtet und dabei immer wieder unter Freunden und Kollegen kundtut, dass es besser ginge. Und dann kommt endlich der Anruf: Wollen Sie, willst du in die Regierung kommen? Wer dann Ja sagt, ist nicht einfach eitel. Er oder sie hat hohe Ziele, ein Sendungsbewusstsein, will etwas verändern. Dafür verzichten manche, wenn sie aus Toppositionen kommen, auf ganz schön viel Geld (um immer noch sehr gut zu verdienen).

In den ersten Tagen und Wochen hält das Glücksgefühl noch an. Man hat viele Termine, und alle Gesprächspartner sind freundlich. Man bekommt viele Verbesserungsvorschläge, und manche sind so vernünftig, dass man dazu nickt. Man erzählt, was man selbst besser machen würde. Beides -das Nicken und das Erzählen -gilt für das Gegenüber fast schon als eine Zusage oder ein Reformversprechen.

Doch dann sollte man liefern.

Zu weit vorgewagt

"Die Stimmung am Anfang bringt viele Experten, die in die Politik einsteigen, in eine Sphäre, wo sie nicht mehr wissen, was die Realität ist. Sie werden verleitet, überall Hoffnung zu schüren. Doch nach drei Monaten kommen die ersten Fragen: Wie ist das jetzt mit den Versprechen? Und dann kommen sie drauf: Ich hab noch nicht einmal den Auftrag dafür gegeben, geschweige denn innerhalb der Regierung darüber verhandelt. In dieser Phase sind viele Regierungsneulinge jetzt", schildert Politikberaterin Heidi Glück.

Justizminister Josef Moser zum Beispiel. Der ehemalige Rechnungshofpräsident weiß, wo man in der Verwaltung und in den föderalen Strukturen Österreichs sparen könnte. Als Minister muss er nun feststellen, wann er im Interesse seines Ressorts nicht sparen kann und will. Kaum hatte Finanzminister Hartwig Löger (auch ein quereingestiegener Experte) das Budget fertig geschnürt, gab es Aufregung und Proteste, dass durch die Einsparungen der Betrieb an den Gerichten nicht mehr funktionieren könnte. Moser forderte Nachverhandlungen. Das brachte ihm nicht nur die Häme von Parteifreund und -feind ein - der Sparefroh, der nicht sparen will -, sondern war auch ein politischer Fehler.

Erste Prüfung: Budget

"Jeder Neue hat viele Ideen, macht viele Ankündigungen, und alle kosten etwas, doch 90 Prozent des Budgets sind durch Fixausgaben schon gebunden. Dann kommen die ersten Budgetverhandlungen, und gegenüber sitzen die Experten aus dem Finanzministerium. Das sind echte Profis. Da muss man schon sehr gut sein, dass man nicht nach zehn Minuten die erste Milliarde los ist", erzählt Heidi Glück, die selbst bei Kanzler Wolfgang Schüssel und Bildungsministerin Elisabeth Gehrer im Kabinett war. "Dann kommt die Panik, dass man nichts mehr umsetzen kann." Aber leider: "Nachverhandeln kann kein Finanzminister akzeptieren." Und zweiter Fehler des Justizministers: "Wenn du dann mit Rücktrittsdrohungen anfängst, zeigt das, dass du schwach bist. Die Landeshauptleute denken sich sofort, super, jetzt haben wir ihn dort, wo wir ihn brauchen."

Josef Moser, der Reformminister, will schon bald eine Staatsreform mit den Ländern verhandeln. Da geht es um Macht und Einfluss und auch ums Geld. Dafür muss er sich nun rüsten. Beim Budget hat er die Kurskorrektur für diesmal noch geschafft. Um einen Rückzug des Ministers zu verhindern, was dem Reformimage der Regierung nicht zuträglich gewesen wäre, gab der Finanzminister nach: Rücklagen des Ministeriums dürfen aufgelöst werden, die 40 Richterstellen, die 2018 und 2019 abgebaut werden sollten, bleiben doch erhalten. Moser, der sich derzeit von einer Blutvergiftung erholt, kann sich auf das Match mit den Landeshauptleuten konzentrieren.

Dafür braucht er Kraft und ein taktisch gutes Angebot an die Länderchefs, denn, so Glück: "Da steht es neun gegen einen. Als Einzelminister ist das sehr schwer zu gewinnen." Was Moser tunlichst nicht mehr aufs Tapet bringen sollte, ist jene Drohung, die er im März via "Kurier" auf den Weg brachte: "Ich werde mit allem Nachdruck dafür sorgen, dass diese Maßnahmen gesetzt werden. Wenn es mir nicht gelingt, dann lege ich mein Amt zurück." Zu Jahresende, wie er später nachschickte. Nun sagt er aber: "Sobald ich aus dem Spital entlassen werde, werde ich meine Aufgabe als Reform-und Justizminister wieder mit vollem Engagement aufnehmen."

Politik ist anders

Sich in der Materie eines Ministeriums gut auszukennen, sei ein Vorteil, sagt Glück. "Man tut sich leichter, den politischen Auftrag zu definieren und umzusetzen. Gesprächspartner, die ihre eigenen Interessen verfolgen, können dir kein X für ein U vormachen." Noch wichtiger als Sachkenntnis sei, das politische Handwerk zu beherrschen. "Du musst wissen, mit wem du wann über was redest, wen du wann einbindest." Das sei in der Politik wesentlich schwieriger als in der Wirtschaft, weil "fast jeder Schritt öffentlich ist. Ein Firmenchef, der einen Zweig seines Unternehmens auflassen will, wird das nie öffentlich machen, bevor das fix und fertig aufgesetzt ist." Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein hingegen kündigte eine Auflösung der AUVA an. "Und dann wundert sie sich, dass alle aufschreien. Damit tritt sie eine Lawine los. Politik braucht Planung und Vorbereitung. Sonst wird es schwer, ein Projekt durchzuziehen."

Dazu komme "die Wucht der medialen Berichterstattung". Bei Unternehmen wird eine Pressekonferenz oft monatelang vorbereitet, in der Politik muss es oft schnell gehen. Und das bringt viele dazu, noch schneller zu agieren, als sie eigentlich müssten. In der FPÖ ist man nun bemüht, Hartinger-Klein aus der Schusslinie zu bringen. "Es gibt die Vorgabe, sie zu unterstützen", sagt ein Parteikollege, "ein bisschen entschleunigen, professionalisieren, sich nicht hetzen lassen." Denn die Ministerin hat eine längere Liste von Hoppalas. Sich in der Frage der Mindestsicherung für Langzeitarbeitslose gegen die Regierungslinie zu stellen, war eines davon.

Mehr auf die Beamten zu hören, sich nicht nur auf die eigene Expertise zu verlassen, ist auch so ein Rat an die Neulinge: "Die können dich vor vielen Dingen bewahren, aber es dir echt schwer machen, wenn du gegen sie arbeitest", sagt Glück.

Klubchefs in Nöten

Auch der Einstieg ins Parlament ist nicht leicht. Peter Kolba von der Liste Pilz war zuvor als Experte in Sachen Konsumentenschutz bekannt. Dann übernahm er die Führung des Pilz-losen Parlamentsklubs und musste feststellen: "Wenn man ins Parlament kommt, ist man total reizüberflutet. Wenn man sich da nicht rasch zu einer Strategie durchringt, was man ist, geht man rasch unter." Wenn er als Experte versuche, beim Thema Sammelklagen etwas weiterzubringen, "habe ich schon den Eindruck, dass das geht".

Der Umgang mit den Medien fällt Kolba da schon schwerer. "Ich habe 30 Jahre Medienerfahrung als Konsumentenschützer. Bei meinen Auftritten beim Bürgeranwalt war ich vielleicht der Kasperl, aber nicht das Krokodil. Das hat sich gewandelt, man ist als Politiker ganz anderer Kritik ausgesetzt." Früher sei er mit Sachthemen auf den Wirtschaftsseiten vorgekommen, erinnert sich Kolba, in den Innenpolitik-Berichten gehe es nur darum, "wer hat was gesagt und wie hat er dabei dreingeschaut. Das hat mich schon erstaunt. Trotzdem setze ich weiter auf Sachthemen."

Als Klubobmann verabschiedet er sich. "Da hat man viele Kommunikationsaufgaben, das ist mir ein bisschen unangenehm. Ich glaube, das merkt man auch." Früher, sagt Kolba, mit Selbstironie, "bin ich wie die beiden Herren in der "Muppet Show" in der Loge gesessen. Wenn man dann runtergeht ins Parkett, ist das auf einmal ganz anders, als ich damals in der Loge gedacht habe." Wie viel Zeit ein Politiker aufwenden müsse, um "das Standing in den eigenen Reihen zu betreuen, ist auch eine Überraschung, wenn man idealistisch an die Sache herangeht. Dass dafür immer wieder Details etwa aus Klubsitzungen dringen, das überrascht mich schon."

Manche Experten verlassen den Posten, für den sie geholt wurden, rascher, als ihnen lieb ist. SPÖ-Chef und -Klubobmann Christian Kern ist das passiert. Er übernahm als Wirtschaftsboss das Kanzleramt und machte dann sehr viele der typischen Expertenfehler. Unterschätzte die Fliehkräfte in einer Partei, misstraute den Mitarbeitern, glaubte, er könnte alles selbst regeln. Bei der Wahl der Expertinnen für sein Regierungskabinett bewies er allerdings eine gute Hand. Pamela Rendi-Wagner als Gesundheitsministerin ist ein Beispiel dafür, da sie auch nach ihrem Ausstieg aus diesem Amt als Personalreserve der SPÖ gilt. Wie sie Fuß gefasst hat?"Ob ein Quereinstieg gelingt, hängt davon ab, wie viel man davor mit Politik zu tun hatte", gibt sie zu. Als Sektionschefin für die Öffentliche Gesundheit kannte sie das Ministerium und arbeitete Ministern zu. "Da lernt man, was möglich ist und wie man Windows of Opportunity nützt. Als Expertin in der Politik muss man sich bewusst sein, dass man Projekte, so gut sie auch sein mögen, selten zu hundert Prozent umsetzen kann."

Wissen, was geht

Als weiteren Erfolgsfaktor nennt Rendi- Wagner Kommunikation. "Als Politikerin muss man komplexe Inhalte kurz und verständlich auf den Punkt bringen und ein Gespür dafür haben, was für die Menschen wichtig ist. Da ist man anders gefordert als bei einer Debatte unter Expertinnen." Doch die ganze Expertise nützt nicht viel, wenn man nicht das richtige Team hinter sich weiß. "Ich kam aus dem Haus, wir haben den Dialog einfach auf Augenhöhe fortgesetzt." Und einmal abgesehen davon, dass man als Oppositionspolitikerin der Regierung nicht unbedingt helfen will, empfiehlt sie doch: "Als Quereinsteigerin sollte man sich auf die Erfahrung der Beamtinnen und Beamten verlassen. Offenheit und Wertschätzung sind der Grundstein für eine gute Zusammenarbeit, von der man selbst am meisten profitiert."

© Matt Observe

Seit der Bildung der türkis-blauen Regierung ist Rendi-Wagner Gesundheitssprecherin der SPÖ im Parlament. Und sieht sich nach wie vor als Expertin gefordert. "Ich habe weiter die Möglichkeit, meine Themen hochzuhalten, und eine wichtige Verantwortung, weil man der Regierung auf die Finger schauen muss, wenn ich weiß, dass die Dinge nicht korrekt laufen."

Bei der Debatte um die AUVA hat Rendi- Wagner Gelegenheit dazu. Die jetzt zuständige Ministerin Hartinger-Klein kommt aus dem Sozialversicherungsbereich und legt ihrerseits die Latte für das Führungspersonal in der Unfallversicherungsanstalt hoch. Sie wünscht sich Eignungstests: "Wir wollen hier eine Art Fit-&-Proper-Test wie im Bankwesen machen. Damit soll sichergestellt werden, dass alle Funktionäre wirklich gut ausgebildet sind im Sozialversicherungsrecht. Derzeit ist das leider oft nicht der Fall", sagte sie im "Standard"-Interview. Dabei wird sie wohl selbst mittlerweile wissen, dass Expertenwissen noch keine Erfolgsgarantie ist.

Wenigstens hat Heidi Glück Aufmunterung für die gestressten Minister parat: "Sich auf ein paar Dinge konzentrieren, die gelingen können. Und wenn man die schafft, ist man in unserer schnelllebigen Welt wieder auf der Gewinnerseite."

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 16/2018)