Petrovic: "Es muss nicht jeder
gleich Vegetarier werden"

Madeleine Petrovic unterstützt seit kurzem das Gesundheits- und Sozialministerium als Expertin für Tierschutz. Im Interview mit news.at erklärt die ehemalige Chefin der Grünen, wo der Bund beim Tierschutz nachbessern sollte und wie sie die erste Regierungsbeteiligung der Grünen bislang beurteilt.

von Tierschutz - Petrovic: "Es muss nicht jeder
gleich Vegetarier werden" © Bild: WTV
Madeleine Petrovic (64) war von 1994 bis März 1996 Bundessprecherin der Grünen und von 2002 bis 2015 Landessprecherin der Grünen in Niederösterreich. Seit Mai 2008 ist sie Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins, der sich mittlerweile in "Tierschutz Austria" umbenannt hat. Seit Juli 2020 ist sie als Expertin für Tierschutz im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz tätig.

Sind eineinhalb Seiten Tierschutz in einem 326-seitigen Regierungsprogramm ausreichend? Insbesondere, wenn sie fast ausschließlich im Kontext zu Lebensmitteln stehen?
Das kommt darauf an. Tierschutz vollzieht sich eben hauptsächlich auf der Ebene der Vollzugsbehörden, auf der Ebene der Länder, auf der Ebene der Gemeinden. Das heißt die Zuständigkeiten des Bundes sind relativ beschränkt und insofern gilt das auch für den Raum im Koalitionsübereinkommen. Und es ist natürlich – das muss man offen aussprechen – ein Thema, das bei Nutztieren ein sehr schwieriges ist, weil vielfach bäuerliche Existenzen davon abhängen.

Zum großen Bereich der Tierversuche muss man sagen, dass es ein notwendigerweise international geregelter ist, weil keine Firma – weder im chemischen Bereich noch im pharmazeutischen Bereich – etwas nur für den österreichischen Markt herstellt. Da spielt sehr viel EU-Recht mit, was die österreichische Bundesregierung nicht ohne weiteres ändern kann.

Und wir haben zwar ein Bundestierschutzgesetz, an dem ich nicht ganz unbeteiligt war, aber der Vollzug läuft über die Bezirkshauptmannschaften. Wir können dort schon etwas bewegen, aber es muss sehr stark mit den Behörden gearbeitet werden, also mit den Amtstierärzten, mit den Tierschutzombudsstellen in den Bundesländern. Da geht es natürlich auch um Überzeugungsarbeit.

Man kann Ihrer Ansicht nach mit Law & Order also gar nichts durchsetzen, sondern es sollte eher auf Basis von Freiwilligkeit passieren?
Der Law & Order-Teil muss die Ultima Ratio sein und das muss wirklich in den Fällen greifen, wo das Gesetz gebrochen wird. Das sind teilweise abenteuerliche Tierquälereien. Wenn jemand lebende Katzen häutet, wie es unlängst durch die Medien gegangen ist, dann muss bei dem Menschen etwas ganz fürchterlich falsch laufen. Und zahlreiche Studien zeigen auch: Wer einem Lebewesen so etwas antun kann, der schreckt früher oder später auch nicht vor Gewalt gegen Menschen zurück.

Was würden Sie als Sanktionierung empfehlen? Ist das Ihrer Ansicht nach gesetzlich stark genug geregelt?
Im Prinzip ja. Es gibt den Paragraph 222 im Strafgesetzbuch, wonach mit maximal 2 Jahren Gefängnis bestraft werden könnte. Das Gericht hat immer eine Möglichkeit eine sogenannte Maßnahme zu verhängen, eben für geistig abnorme Rechtsbrecher zum Beispiel. In so einem Fall muss man sich die Leute schon genauer anschauen, ein normaler Mensch bringt so etwas ja gar nicht zustande. Selbst verständlich sollten diese Menschen, wenn sie inhaftiert werden, eine Therapie bekommen.

»Es muss nicht jeder gleich Vegetarier oder Veganer werden«

Sie haben gerade erklärt, weshalb die Formulierungen im Regierungsprogramm relativ vage sind. Sehen Sie ansatzweise auch schon Bestrebungen zur Umsetzung?
Schon. Es gab ja unlängst den Gipfel zu den Tiertransporten. Das muss weitergehen, weil das Leid der Tiere grenzenlos ist. Man sollte letztlich auch das Fleisch der Tiere, die Stress hatten, nicht verzehren. Das Adrenalin wird ja nicht abgebaut. Und auch da muss man die Behörden daran erinnern. Uns ist das Transportrecht der EU viel zu milde und zu lax, aber selbst dort ist in gewissen Abständen ein Abladen zur Erholung der Tiere vorgeschrieben.

Und das passiert nicht?
Man soll mir doch östlich der EU zeigen, wo es solche Ladestationen gibt, mir sind keine geeigneten bekannt. Natürlich weiß ich, dass da Existenzen dranhängen, aber es gibt ein geltendes Recht, das gilt für die Tierschützer genauso wie für die Erzeuger tierischer Produkte und allen voran gilt das für die Behörden selbst. Wenn es nicht möglich ist, dass man lebende Tiere exportiert, dann kann man die Tiere in Österreich ja auch unter geregelten Bedingungen schlachten.

Es muss nicht jeder gleich Vegetarier oder Veganer werden, Fleischverzehr gehört in unserer Gesellschaft zu den anerkannten Normen, aber nicht so, dass wir es vor unseren Kindern verstecken müssen. Daher kann man die Tiere ja hier schlachten und mit einem Kühltransport das Fleisch transportieren, das wird dann eben ein wenig mehr kosten. In der Landwirtschaft sollte generell gelten, dass alles, was regional geht auch so gemacht werden sollte.

Wenn man sich den Tierschutz im Regierungsprogramm ansieht, wo würden Sie nachbessern wollen? Gibt es etwas, das komplett fehlt?
Der Bund könnte und kann, was so nicht im Regierungsprogramm steht, das Tierschutzgesetz überarbeiten. Die Koalitionspartner könnten sich ansehen, welche Bestimmungen sich bewährt haben und welche nicht. Da müsste man unter Umständen gar nicht das Gesetz ändern, aber mit einer authentischen Auslegung nachbessern.

»Dass man Wiener Zahnärzte und Rechtsanwälte zum Schießen in die Landschaft bringt, halte ich nicht für schützenswert«

Zum Beispiel?
An sich ist es verboten, dass man Wildtiere züchtet, damit man sie zur Jagd auslässt. Das betrifft vor allem Feldhasen, Stockenten und Fasane. Die werden vielfach in Ungarn gezüchtet, auch für Promi-Jagden, der Name Mensdorff-Pouilly dürfte bekannt sein. Dass man Wiener Zahnärzte und Rechtsanwälte zum Schießen in die Landschaft bringt, halte ich nicht für schützenswert. Im Gesetz hat man leider eine Wischi-Waschi-Formulierung, da heißt es, dass es verboten sei, wenn diese Tiere in freier Wildbahn nicht überleben können.

Was soll das bitte heißen? Es gibt keine Behörde, die feststellt, ob ein ausgesetzter Fasan in der Natur überleben kann oder nicht. Gerade und selbst von passionierten Jägern habe ich schon oft gehört, dass diese Methode Tierquälerei sei. Diese Tiere stehen dann verloren in der Landschaft und landen halb verhungert in den Tierheimen, wenn sie bei der Jagd nicht erlegt worden sind. Das könnte der Gesetzgeber mit einer auslegenden Interpretation rasch ändern, dann ist dieser Unfug aus.

Wenn man eine Reihung vornehmen müsste, welches Vorhaben hätte Ihrer Ansicht nach höchste Priorität?
Ich würde Mehreres gleichzeitig betreiben, weil sich in der Politik dann manchmal ein unerwarteter Fortschritt auftut. Ganz vorrangig sind natürlich die Nutztiere, das ist aber sicherlich auch das schwierigste Kapitel. Es kommt auf die Art und Weise an, wie man das angeht. Wenn man sagt, dass man den Bauern die Schweinehaltung auf Vollspaltböden verbietet, werden etliche aufschreien und sagen, dass sie noch Kredite laufen hätten und nicht wüssten, wie sie das umsetzen können. Gerade jetzt wird man darauf achten müssen, keine Arbeitsplätze kaputtzumachen.

Selbst wenn es nur um Cent-Beträge pro Kilo Fleisch geht, braucht es hier also eine Garantie, dass das Fleisch auch verkauft werden kann. Es gibt etliche in der Branche, die grundsätzlich zu dieser Umstellung bereit wären. Es wird im Endeffekt allen klar sein, dass wir etwas tun müssen, aus vielen Gründen, es ist nur die Frage, wie man es angeht. Und hier kann die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und soll es auch.

»Die Gretchenfrage für diese Regierung wird es sein, wie sie in einen veränderten Normalbetrieb hinüberleitet«

Wenn man von der Perspektive des Tierschutzes herauszoomt und ein allgemein auf die Regierung blickt: Wie würden Sie die erste Regierungsbeteiligung der Grünen bislang beurteilen?
Die ist natürlich überschattet von der Corona-Krise. Und ich finde, dass Rudi Anschober als Gesundheitsminister das ganz hervorragend macht. Die Gretchenfrage für diese Regierung wird es sein, wie sie aus dieser Krise heraus in einen veränderten Normalbetrieb hinüberleitet. Wie sie den Menschen die Angst nehmen kann, weil Angst schon spürbar da ist.

Wie könnte das funktionieren?
Ich bin der Meinung und ich weiß, dass das auch bei den Grünen einen Minderheitenmeinung ist, dass es nicht ohne eine Art Grundeinkommen gehen wird. Es ist zu hoffen, dass diese Krise abklingt. Aber wir haben gesehen, dass ganze Branchen zurückstecken mussten und da muss man den Menschen eine Sicherheit geben, dass sie auch im Falle von Arbeitslosigkeit oder einer Firmenpleite nicht ins Bodenlose abstürzen. Sonst hat das ja auch Rückbezug auf uns alle.

Das heißt, Sie sprechen sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus?
Ich bin eine Verfechterin eines bedingungslosen Grundeinkommens, das ist bekannt. Ich kenne die Bedenken, dass es nicht alle Probleme löst. Stimmt. Aber es löst doch etliche. Es kann auch nicht alle Arten von sonstigen Unterstützungen ersetzen und es muss auch existenzsichernd sein. Wenn man sie direkt den einzelnen Menschen gibt, ohne polizeistaatlich zu überprüfen, was sie sonst haben, dann könnte das als Mitnahmeeffekt eine bestimmte Kaufkraft aufrechterhalten.

Sie haben gemeint, dass die Corona-Krise die Regierungsarbeit überschattet, aber Sie haben auch Ende 2019 davor gewarnt, dass Grünen bei den Regierungsverhandlungen Migrationspolitik gegen Umweltpolitik eintauschen. Könnte man es nicht auch so sehen, dass das Coronavirus als gemeinsamer Feind der Koalitionspartner auch deren Differenzen gut überschattet?
Was ist mit den Menschen, die in einem Flüchtlingslager auf einer griechischen Insel oder gar in Nordafrika sitzen? Auch diejenigen, die nicht wollten, dass allzu viele Menschen nach Österreich kommen, haben gesagt, man müsse vor Ort etwas für die Leute tun. Aber geschieht genug für die Leute? Ich fürchte, nein. Das sollten wir auf jeden Fall verstärken und es zeigt sich auch jetzt, dass es trotz Krise, trotz wachsender Arbeitslosigkeit immer noch Mangelberufe gibt. Was wir im Inland auf jeden Fall tun müssen, ist es im Inland die Phänomene von Ausbeutung und Menschenhandel in effizienter Art und Weise bekämpfen.

»Wir brauchen auch eine sehr starke Sozial- und Finanzpolitik, in dem Sinne, dass man Umverteilungspolitik betreibt.«

Beim Kräfteverhältnis zwischen der Volkspartei und den Grünen, das aus der letzten Nationalratswahlresultiert, ist es naheliegend, dass das Programm der Grünen nicht hundertprozentig umgesetzt werden kann. Wo haben sie Ihrer Ansicht nach den größten Kompromiss eingehen müssen?
Wir brauchen auch eine sehr starke Sozial- und Finanzpolitik, in dem Sinne, dass man Umverteilungspolitik betreibt. Die Kluft zwischen Arm und Reich darf einfach nicht mehr weiter wachsen und weil wir ja auch wollen, dass die Leute freiwillig Umweltschutz betreiben. Ich glaube, dass es jetzt auf des Messers Schneide steht, wie es weitergeht. Wenn man es jetzt beispielsweise schaffen würde, viel in der Landwirtschaft zu regionalisieren, dann wäre es auch aus der Sicht der ÖVP ein großer Gewinn, nur müsste man sie noch ein bisschen dazu überzeugen.

Mein Herzensanliegen eines bedingungslosen Grundeinkommens halte ich derzeit nicht für mehrheitsfähig, da wird noch Zeit vergehen müssen. Aber man könnte es auch in Etappen angehen, indem man sagt, dass niemand unter einen bestimmten Mindestsatz fallen sollte. Wird jemand arbeitslos wird, soll seine Kaufkraft einigermaßen erhalten bleiben. Natürlich besteht dann die Angst, dass die Leute pfuschen gehen, wenn sie nicht beschäftigt sind, aber auch das Pfuschen hat nur einen Reiz, solange eben andere Leistungen wesentlich teurer sind.

Wie lässt sich das finanzieren?
Wir werden in Zukunft auf ganz andere Weise auf Kapitaleinkünfte zugreifen müssen. Dass das international schwer umzusetzen ist, und es auch in Europa die Steuersümpfe gibt, die alle Arten von Privilegien einräumen, das stimmt. Ich glaube, dass es ohne eine Diskussion über Moral und Anstand nicht funktionieren wird. Wenn die Welt vor all den Leuten flach auf den Bauch fällt, die viel Kohle scheffeln, muss ich entgegnen, dass das in meinen Augen nicht das leuchtende Vorbild ist. Ich will auch gut leben, ich möchte nicht in Sack und Asche daherkommen, aber ein Mindeststandard müsste jedem Menschen zukommen.

Würden Sie also eine Reichen- oder Millionärssteuer befürworten?
In einer intelligenten Form, ja. Einerseits glaube ich, dass man Vermögen stärker besteuern sollte. Wenn das Vermögen eingesetzt wird, um produktiv zu sein oder um vor allem grüne Arbeitsplätze zu schaffen, dann ist das wunderbar. Aber beim Privatvermögen sehe ich keinen Grund, warum das privilegiert sein soll.

»Es gibt noch immer ein bisschen dieses alte Lagerdenken, aber es hat sich mittlerweile aufgelockert«

Sie sind 2003 selbst mit der Volkspartei am Verhandlungstisch gesessen und haben damals keine Koalition zustandegebracht. Hat sich die ÖVP nach all den Jahren so stark verändert oder liegt es an den Grünen?
Ich würde sagen, es ist eine andere Zeit geworden. Die Leute warten auf Lösungen. Es gibt noch immer ein bisschen dieses alte Lagerdenken, aber es hat sich mittlerweile aufgelockert. Alfred Dallinger (Anm.: ehemaliger Sozialminister der SPÖ) hat mir einmal gesagt, wenn man als Kind von einem Wiener Straßenbahner geboren wird, ist es klar, wo man politisch stehen wird. Das ist heute nicht mehr klar.

Natürlich weiß ich, dass viele in Der Bevölkerung angefressen sein und sagen werden, dass sie dieses und jenes nicht erreicht haben. Ich bin allerdings ein durch und durch optimistischer Mensch: Uns stehen noch sehr schwierige Zeiten bevor, aber es lohnt sich, um eine bessere, gewaltfreie und ökologische Welt zu kämpfen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.