"Österreich braucht
eine ruhige Hand"

Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer sieht die Steiermark als Vorzeigemodell für den Bund. Nicht nur beim praktischen Umsetzen von Verwaltungsreformen, auch in Bezug auf eine funktionierende Große Koalition könne sich Wien einiges von Graz abschauen

von Hermann Schützenhöfer - "Österreich braucht
eine ruhige Hand" © Bild: Ricardo Herrgott

Aus Graz wird häufig skeptisch Richtung Wien geblickt. Läuft für Sie in diesem Wahlherbst alles rund?
Im Prinzip schon. Was die ÖVP anbelangt, haben wir mit Sebastian Kurz einen Hoffnungsträger. Alles, was wir an Umfragen kennen, ist für uns erfreulich. Aber Stimmungen können sich ändern. Wir sind froh, dass die Stimmung gut ist, aber das sind noch keine Stimmen.

Was hat ÖVP-Obmann Kurz, was seine Vorgänger nicht hatten?
Seine Jugendlichkeit, seine Unbekümmertheit, im positiven Sinne. Er taktiert nicht, er sagt, was er sich denkt. Kurz ist ein Phänomen: Früher mussten wir die Pensionistenverbände bitten, die Leute mit Autobussen zu Wahlkampfveranstaltungen hinzukarren, und ihnen eine Brettljause zahlen. Heute kommen 1.200 Leute. Das ist ein Hinweis, dass Kurz Menschen anzieht. Und es stellen sich nicht nur junge Mädchen bei ihm an, auch der Opa geht hin und sagt, er möchte ein Selfie mit dem Enkel. Kurz ist für die jungen Leute der Mann, der ausgetretene Pfade verlässt und neue Wege geht, so gesehen ein Charismatiker. Und für deren Eltern und Großeltern ist er der ideale Schwiegersohn. Die Kombination ist einfach einmalig, das hatten wir schon lange nicht.

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Aber bedeutet das nicht, dass Kurz in einer Brot-und-Spiele-Gesellschaft einfach die bessere Show liefert?
Ich würde nicht sagen, dass das, was er macht, Show ist. Ich glaube, dass alles, was er sagt und wie er denkt, sehr ernst gemeint ist. Aber worauf Sie anspielen, hat natürlich einen anderen, ernsten Hintergrund. Wir leben in einer sehr komplexen Gesellschaft. Es gibt einen überwiegenden Teil der Menschheit, dem es sehr gut geht. Und es gibt einen wachsenden Teil einer Minderheit, die den Euro dreimal umdrehen muss, bevor sie ihn einmal ausgeben kann. Damit einher geht auch, dass viele Leute keine Ziele haben, sich Beliebigkeit in der Gesellschaft eingenistet hat und für zu viele Menschen die eigene Befindlichkeit das Maß aller Dinge geworden ist. Das führt dazu, dass die Menschen auf Brot und Spiele ansprechen. Vieles an Entscheidungen fällt aus dem Bauch heraus, ist nicht rational. Daher muss man auch bei den Stimmungen aufpassen. Das hat es früher nicht gegeben, früher war bei Wahlen Anfang September klar, wie es am 15. Oktober ausgehen könnte. Jetzt hoffe ich, dass es klar ist, aber es ist fragiler geworden.

»Die Altparteien ÖVP und SPÖ haben noch lange nicht ausgedient«

ÖVP wie SPÖ leiden unter Mitgliederschwund. Bei dieser Wahl setzt Kurz auf seine eigene Liste, nicht mehr auf die ÖVP. Tut Ihnen das leid?
Ich würde nicht unterstreichen, dass das nicht mehr die ÖVP ist. Aber Kurz hat natürlich mit seiner Bundesliste das personelle und inhaltliche Spektrum der ÖVP erweitert. Die "Liste Kurz der ÖVP" oder die "ÖVP der Liste Kurz" hat Türen und Fenster geöffnet, wir sind breiter geworden. Das ist auch notwendig.

Die Altparteien haben also ausgedient. Welche Aufgaben bleiben dann noch?
ÖVP und SPÖ haben noch lange nicht ausgedient, wenn sie erkennen, dass sie mit ihren Strukturen nur mehr einen kleinen Teil der Bevölkerung repräsentieren und sich daher öffnen müssen. Die ÖVP mit Kurz hat das verstanden. Die SPÖ geht den umgekehrten Weg: "Vorwärts, Genossen, wir müssen zurück." Das hätte ich mir vor einem Jahr nicht träumen lassen, dass der Bundeskanzler (Christian Kern, Anm.) - den ich als Person schätze - diesen Rückwärtsgang einschaltet. Das kommt uns zupass.

Die Steiermark hat gute Erfahrungen mit der Großen Koalition gemacht. Sie befürworten das Modell weiter?
Man muss mit den taktischen Spielereien aufhören: Was wäre, wenn auf Bundesebene Rot-Blau oder Schwarz-Blau käme? Das hat auf uns in der Steiermark keine Auswirkungen, wir haben mit der SPÖ eine gültige Vereinbarung bis 2020. Unser Modell zeigt, dass es nicht stimmt, dass ÖVP und SPÖ nicht mehr miteinander können - und dass das Charme hat. Aber da gehören Personen dazu, die das auch wollen. Und wir wollen das. Auch wenn wir wissen, dass wir möglicherweise ab Herbst als letzte schwarz-rote Regierung die Ausnahme der Regel sind. Ich gehöre aber auch zu denen, die davor warnen, eine solche Koalition auf Bundesebene auszuschließen.

Aber was müsste sich ändern, damit diese Koalition wieder funktioniert?
Wenn die Wählerinnen und Wähler ein eindeutiges Votum abgeben, wird jede Partei mit entsprechenden Konsequenzen darauf reagieren. Wenn wir Erster werden und die SPÖ eben nicht, wird sie wissen, was sie tun muss. Die Wählerinnen und Wähler haben immer recht, auch wenn es wehtut. Wir haben auch oft genug Wahlen verloren. Ich war oft genug oben, ich war oft genug unten: Mir ist die Schadenfreude abhandengekommen. Und die SPÖ ist irritiert. Wenn man als Partei als Ganzes irritiert ist, macht man Fehler.

Eindeutiges Votum bedeutet: ÖVP Erster, SPÖ Zweiter.
Eindeutiges Votum würde jedenfalls heißen, dass Kurz ganz deutlich vorne liegt. Warum soll man in einem solchen Fall eine Koalition mit der SPÖ ausschließen?

Wird die ÖVP Nummer eins und die FPÖ Nummer zwei, ist dann Schwarz-Blau aus Ihrer Sicht auch notwendig?
Notwendig ist gar nichts.

Aber charmant?
Charmant, na ja. ÖVP/Grün wäre charmant, aber das geht sich ja gar nicht mehr aus, so, wie die streiten. Ich bin ein Verfechter jenes Flügels in der ÖVP, der sagt, wir schließen keine Partei, die durch demokratischen Willen der Wähler in den Nationalrat kommt, aus. Die FPÖ auszugrenzen bis zum Gehtnichtmehr, nützt nur der FPÖ. Sich anzubiedern, halte ich auch für falsch. Da bin ich bei Kurz: abwarten, was die Wähler sagen.

In der Steiermark werden Ihre Bemühungen um Reformen aber nicht so goutiert. So werden die Gemeindezusammenlegungen häufig auf eine Änderung von Ortsnamen und Kennzeichen reduziert.
Dem möchte ich heftigst widersprechen. Franz Voves (der frühere Landeshauptmann, SPÖ, Anm.) und ich haben immer gesagt, dass es seine Zeit dauert, bis sich die Reform finanziell auswirkt. Wir haben von 542 auf 287 Gemeinden reduziert. In der Krakau, wo ich drei Gemeinden in Summe mit 1.700 Einwohnern hatte, habe ich jetzt eine Gemeinde. Die haben erst gesagt, sie marschieren mit den Schützen bei mir auf, und jetzt bin ich fast ihr Säulenheiliger. Die Zustimmung wächst und wächst. Die Gemeinderatswahlen sind damals sehr gut ausgegangen, nur bei den Landtagswahlen haben wir eins auf den Deckel bekommen.

Also doch ein Best-Practice-Modell für Österreich?
Unter den acht Landeshauptleuten, mit denen Sie in diesem Sommer Gespräche geführt haben, gibt es einige, die mich gefragt haben, wie wir das gemacht haben. Der Bedarf ist da. Und es ist ein großes Thema für den Bund mit seiner Staatsund Verwaltungsreform. Die Menschen haben sich geändert, an den Strukturen hat sich nichts geändert. Das ist einer der großen Punkte, warum diese Verdrossenheit da ist.

»2015 haben wir für wenige Stunden die Souveränität verloren«

Was sagen Sie zur Mittelmeerroute?
Schließen. Wenn man die Mittelmeerroute schließt, dann ist das nicht, wie der Bundeskanzler sagt, ein Vollholler, sondern für beide Seiten gut. Es will ja niemand, dass die Leute ersaufen oder keine Zukunft haben. Menschen flüchten, weil sie ein Leben, das kein Leben mehr ist, haben. Daher darf man nicht zynisch werden. Aber die Hilfe vor Ort durch UNO und EU halte ich allemal für besser. Das muss man tun, um unseren Flüchtlingen wirklich zu helfen. Österreich, Schweden, Deutschland können aber nicht allein das Leid der Welt schultern.

Wenn ein Flüchtlingsstrom kommt, könnten wieder Menschen an der slowenisch-steirischen Grenze stehen. Sie haben das 2015 erlebt, wie würden Sie heute damit umgehen?
Anders. Weil es nicht denkbar ist, dass wie damals 3.500 Flüchtlinge einfach über die Grenze marschieren. Der Staat hat eine Kernaufgabe nicht erfüllen können, nämlich, seine Grenzen zu schützen. Da haben wir für wenige Stunden in Wahrheit die Souveränität des Landes verloren. So etwas darf nicht mehr passieren. Aber ich hoffe, dass wir das Problem vorher schon gelöst haben. Und nicht, indem man Menschenmassen aufhalten muss.

Wie halten Sie es mit der Mindestsicherung?
Wir müssen aufpassen, dass wir die Mindestsicherung nicht zum Ausländerthema machen. Man sollte schon überlegen, Mindestsicherungssätze für Flüchtlinge anders zu gestalten als für die, die bei uns in die Mindestsicherung kommen. Aber zuallererst ist der Unterschied zwischen dem, der 40 Stunden hackelt, und dem, der Mindestsicherung bezieht, zu klein. Die Möglichkeit, sich in die Mindestsicherung hineinzuschleichen und noch ein bisschen zu pfuschen und den, der schöpft, auszulachen, ist zu groß. Diese Schere haben wir bisher nicht schließen können. In meiner Zeit als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz habe ich mit Kanzler und Vizekanzler (damals Reinhold Mitterlehner, Anm.) eine einheitliche Mindestsicherung vereinbart. Davon gehe ich nicht ab. Wir können uns nicht neun Mindestsicherungssysteme leisten.

Was müsste gemacht werden, um die Situation an den Schulen zu verbessern?
Weniger öffentlich diskutieren, wie schlecht alles ist. Weil ich persönlich glaube, dass unser Bildungssystem alles in allem nicht so schlecht ist. Und weil ich glaube, dass der Fehler an der Debatte ist, dass es eine Standesdiskussion und keine Bildungsdiskussion war. Es geht mir nicht um die Gesamtschule oder ums Gymnasium. Es geht mir um die Frage, warum eine gute Hauptschule am Land ein mittleres Gymnasium in der Stadt jederzeit schlägt. Wird das erkannt, brauche ich kein neues Bildungssystem, sondern nur den Rückhalt der Gesellschaft für die Lehrer, die sehr gute Leute sind.

Wie steht der Wirtschaftsstandort Österreich da?
Im Prinzip gut. Wir müssen aber auch von der Psychologie her wirtschaftsfreundlicher werden. Unternehmer sind keine Feindbilder, sie sind Vorbilder. Mit dem Gewinn eines Unternehmens kann ich machen, was ich will, sogar den Sozialstaat finanzieren. Und man sollte fünf Wochen vor der Wahl wissen, dass es einen 16. Oktober auch gibt. Ich brauche dann in Österreich eine Politik der ruhigen Hand. Wir kommen ohne den Arbeiter nicht aus, und ohne den Unternehmer auch nicht. Man muss aufpassen, dass man im Wahlkampf nicht übertreibt.

Was spricht gegen die Homoehe?
Gegen eine Verpartnerung spricht gar nichts ...

Die haben wir schon.
Ich glaube nicht, dass gleichgeschlechtliche Paare benachteiligt sind. Ich sage aber auch, dass die Ehe zwischen Mann und Frau als jene Verbindung, die auch die Zukunft des Landes begründet, nicht etwas Heiliges ist - viele Ehen gehen zugrunde -, aber doch an erster Stelle gewürdigt werden soll. Gleichgeschlechtliche Verpartnerung ist gut, aber Ehe ist zwischen Mann und Frau.

Kurz will die Strukturen aufweichen. Dazu zählt auch die Landeshauptleutekonferenz. Könnte dieses Gremium in Zukunft an Macht verlieren?
Wenn Kurz Kanzler wird - wovon ich hoffe, ausgehen zu dürfen -, glaube ich schon, dass er an gewissen Säulen der bisherigen Machtblöcke rütteln wird. Das betrifft den Kammerstaat, die Zwangsmitgliedschaften und auch, dass er Filz zwischen Bund und Ländern beseitigen will. Wir könnten dann endlich das machen, was seit 100 Jahren alle wollen: Bürokratieabbau und Verfahrensbeschleunigung. Österreich ist ein Staat, der von Regulierungswut zerfressen ist. Das ist kein Machtabbau für die Länder, sondern eine Entschlackung und Verschlankung - da bin ich mit dabei. Wir werden es mit Kurz nicht leicht haben als Länder. Aber es ist gut, wenn einer einmal entrümpelt.

Wie viel Macht haben die Bünde in der ÖVP? Müssen sie auch entrümpelt werden?
Ich würde sie nicht abschaffen, aber ich würde auch keine statutarischen Änderungen vornehmen. Habe ich einen starken Parteiobmann, spielen die Bünde weniger eine Rolle. Habe ich einen schwachen, sind sie wieder im Vordergrund. Im Vordergrund dürfen Teilorganisationen aber nicht sein, das Primat der Partei muss Vorrang haben. Und Kurz geht da forsch hinein, er entwickelt sich zu einem starken Obmann. Geht das auf, wird es mit Sicherheit keine Debatte geben, ob die Bünde eine zu große Rolle spielen.

Sie selbst stehen 2020 wieder zur Wahl als Landeshaupthauptmann?
Das ist jetzt jedenfalls meine Absicht. Ich habe aber nie gesagt, das muss unter allen Umständen so werden. Aber aus heutiger Sicht spricht sehr viel dafür, dass ich wieder antrete.

Gibt es potenzielle ÖVP-Nachfolger für Ihr Amt?
Es gibt Bekannte und Unbekannte, die ich im Auge habe, lassen Sie sich überraschen. Aber seien Sie auch nicht überrascht, wenn ich es selber bin

Kommentare

Wenn ein SCHÜTZEnhofer meint Österreicher brauchen eine ruhige Hand -> Hat das Hand und Fuß :)

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