"Ich hab' ihn erschossen.
Aber nicht mit Absicht"

Der Mordprozess gegen einen jungen Soldaten, der am 9. Oktober 2017 in der Albrechtskaserne einen 20 Jahre alten Rekruten erschossen hat, wurde heute eröffnet.

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Mordprozess um toten Rekruten - "Ich hab' ihn erschossen.
Aber nicht mit Absicht"

"Ich hab' ihn erschossen. Aber nicht mit Absicht. Es war ein Unfall", hat ein 22-jähriger Grundwehrdiener am Mittwoch zum Auftakt seines Mordprozesses erklärt, der am 9. Oktober 2017 in der Wiener Albrechtskaserne einen um zwei Jahre jüngeren Kameraden mit einem Sturmgewehr StG 77 getötet hatte. Er habe den 20-Jährigen, der im Ruheraum eines Wachcontainers auf einer Pritsche lag, zum Rauchen holen wollen.

Tathergang aus Sicht des Angeklagten

Beim Betreten des Ruheraums sei er gestolpert, schilderte der Angeklagte am Landesgericht für Strafsachen: "Vielleicht über meine eigenen Füße, vielleicht war ein Schuhband offen, ich weiß es nicht." Er sei "so quasi nach vorn ins Stolpern gekommen", berichtete der gebürtige Salzburger - er hatte im Mai 2017 seinen Grundwehrdienst angetreten, seit Juni verrichtete er diesen in der Albrechtskaserne in Wien-Leopoldstadt - einem Schwurgericht (Vorsitz: Eva Brandstetter). Er sei auf den Boden gefallen, habe aber keinesfalls die Waffe beschädigen wollen. Deswegen habe er das Sturmgewehr, das er in der rechten Hand hielt, "ausgelassen". Da habe sich ein Schuss gelöst: "Es war ein ohrenbetäubender Krach." Das Projektil drang dem 20-Jährigen durch den Kopf.

»Das ist eine Waffe, die dafür ausgerichtet ist, dass man in den Krieg zieht«

Die Waffe war entgegen sämtlicher Vorschriften geladen und entsichert, was für Staatsanwalt Georg Schmid-Grimburg dafür spricht, dass es sich um keinen Schießunfall handeln kann: "Das ist eine Waffe, die dafür ausgerichtet ist, dass man in den Krieg zieht." Um überhaupt einen Schuss abgeben zu können, müsse man beim StG 77 zuerst eine Spannschiene kraftvoll zurückschieben und nach vorne drücken. Erst dann sei eine Patrone im Lauf. Zusätzlich müsse man die Waffe dann noch entsichern, gab der Staatsanwalt zu bedenken. All das habe der Angeklagte auf den wenigen Metern Richtung Ruheraum getan.

Der 22-Jährige behauptet, ihm wäre das Sturmgewehr kurz zuvor auf den Boden gefallen. Dabei sei offenbar ungewollt eine Patrone in den Lauf geraten. Dass das StG 77 nicht gesichert war, erklärte der Angeklagte damit, dass er ständig mit dem Sicherung "gespielt" hätte: "Ich hab' immer mit der Sicherung gespielt, wenn ich draußen war. Es war der einzige Zeitvertreib, wenn man stundenlang draußen steht." Er habe gern "die Sicherung hin- und hergeschoben, damit die Zeit vergeht."

Nach Angaben von Kameraden des 22-Jährigem kam es auch vor, dass dieser in der Kaserne die Waffe durchlud und wieder entlud. Einmal repetierte er und schwenkte das Sturmgewehr über den Köpfen anderer Rekruten, was er - als sich einer von ihnen darüber empörte - als "Spaß" abtat. Mithilfe des Zielfernrohrs seiner Waffe beobachtete der 22-Jährige seiner eigenen Aussage zufolge in einem der Kaserne gegenüber gelegenen Fitness-Studio auch Damen am Laufband.

Auf die Frage, weshalb er das Herunterfallen der Waffe nicht gemeldet und damit in Kauf genommen hätte, dass diese womöglich beschädigt wurde, meinte der Angeklagte: "Wir haben gewusst, mit denen wird nicht geschossen, die sind zur Dekoration da." Ihm sei öfters das Sturmgewehr entglitten. Gemeldet hätte er das nie, weil allfällige Reparaturen auf seine Kosten gegangen wären.

Rekrut will sich mit Getötetem "perfekt verstanden" haben

Der 22-Jährige versah gemeinsam mit dem später Getöteten und einem dritten Grundwehrdiener in der Albrechtskaserne Wachdienst. Im Rahmen der Grundausbildung hatte er ein einziges Mal dem Sturmgewehr StG 77 geschossen. Mit dem Getöteten habe er sich "perfekt gestanden, von Anfang an", versicherte der 22-Jährige. Der 20-Jährige - wie er mit türkischen Wurzeln - habe ihn nicht wegen seines Übergewichts gehänselt, während ihn andere "Jumbo" nannten ("Das hat mir aber nichts ausgemacht"). Stattdessen sei er von diesem auf Türkisch "Schatzi" gerufen worden: "Wir haben uns einfach Kosenamen gegeben."

Am Abend des 9. Oktober hätte er mit dem Jüngeren seine letzte Zigarette teilen wollen, erzählte der Angeklagte: "Ich bin kein Kameradenschwein." Daher sei er Richtung Ruheraum gegangen, wo der 20-Jährige auf einer Pritsche lag. Er habe zwei Mal dessen Namen gerufen, ehe er ins Stolpern kam. Der Darstellung des Angeklagten zufolge dürfte der 20-Jährige nicht geschlafen, sondern ohne Hemd und Schuhe auf der Pritsche mit seinem Handy gespielt haben: "Ich glaube nicht, dass er geschlafen hat. Zwischen 18.00 und 20.00 Uhr kann man nicht schlafen. Er und ich waren da immer wach." An sich hätte der bewaffnete 22-Jährige sein Sturmgewehr vor dem Betreten des Ruheraums in einem Waffenständer abstellen müssen. Davon nahm er "aus Zeitersparnis" Abstand, wie er dem Gericht darlegte.

Kein erkennbares Motiv für die "Wahnsinnstat"

Als erster Zeuge wurde ein ehemaliger Hausarbeiter der Justizanstalt Josefstadt vernommen, der sich an den zuständigen Staatsanwalt gewandt hatte, um diesem gegenüber zu deponieren, der Getötete hätte den Angeklagten "Dickerchen" genannt. Das habe ihm der 22-Jährige im Gefängnis verraten. Weiters berichtete der Zeuge, der 22-Jährige habe mit dem Jüngeren befreundet sein wollen, was letzterer aber nicht zuließ. Der Staatsanwalt war sich bewusst, dass diese Angaben, die der Angeklagte überdies als "komplett erfunden" zurückwies, nicht unbedingt als Motiv "für diese Wahnsinnstat" (Staatsanwalt) infrage kamen. "Wir wissen nicht, was den Angeklagten angetrieben hat", räumte der Ankläger ein, "aber gerade bei Kapitalverbrechen gibt es oft kein erkennbares Motiv." Ein beigezogener Schießsachverständiger hätte jedenfalls festgestellt, dass sich das Sturmgewehr entgegen der Darstellung des Angeklagten beim Herunterfallen nicht nachlädt: "Er hat die Waffe bewusst geladen, indem er die Spannschiene zurückgeschoben hat." Außerdem sei es "eher unwahrscheinlich, dass ein junger Mensch derart über die eigenen Füße stolpert, dass er hinfällt". Fazit des Staatsanwalts: "In dem Moment, wo er abgedrückt hat, wollte er das Opfer töten."

»In dem Moment, wo er abgedrückt hat, wollte er das Opfer töten«

Er selbst sei in den vergangenen Wochen drei Mal gestolpert und hätte sich dabei sogar verletzt, konterte Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger (Kanzlei Rifaat). Für einen Mord brauche es "ein Mindestmaß an Motiv". Im gegenständlichen Fall sei weit und breit keines zu sehen. Arbacher-Stögers Schlussfolgerung: "Ein Vorsatzdelikt gibt der Akt nicht her." Der Staatsanwalt habe mit seiner Anklage vielmehr "aus einem Schießunfall einen ganz schlimmen, geplanten Mord gemacht". In Wahrheit habe sich das Ganze "einfach deppert zugetragen". Eine "blöde Aneinanderreihung von Zufällen" hätte den 20-Jährigen das Leben gekostet, sagte Arbacher-Stöger.

Auf Antrag des Verteidigers wurde nach einer kurzen Pause jener Häftling als Zeuge vernommen, mit dem sich der 22-Jährige unmittelbar nach seiner Überstellung in die Justizanstalt Josefstadt eine Zelle geteilt hatte. "Er hat nur geweint. Die erste halbe Stunde habe ich nicht mit ihm reden können. Bis in die Früh hat er nur geweint. Er hat nichts geschlafen", berichtete der Mann. Ihm habe der 22-Jährige berichtet, dass er seinen Kameraden aufwecken hätte wollen und dabei gestürzt sei: "Er hat nonstop betont, dass es ein Unfall war."

Dritter Grundwehrdiener warnte Kameraden

Der dritte Grundwehrdiener, der gemeinsam mit dem Angeklagten und dem Getöteten ein sogenanntes Wachrad in der Albrechtskaserne bildete, hatte andere Kameraden vor dem Angeklagten gewarnt. "Passt's auf mit dem. Er spielt sich gern mit der Waffe", empfahl der junge Mann seinen Kameraden. Wie er als Zeuge dem Schwurgericht verriet, habe der 22-Jährige zum Zeitvertreib gern repetiert.

»"Passt's auf mit dem. Er spielt sich gern mit der Waffe"«

"Er hat geladen und entladen, das Magazin abgenommen, wieder aufgesetzt", erinnerte sich der Bursch im Zeugenstand. Am Abend des 9. Oktober 2017 musste er durch den Ruheraum auf die dahinter gelegene Toilette im Wachcontainer. Im Ruheraum habe der später Getötete geschlafen: "Meiner Meinung nach war er nicht wach. Er hatte den Kopf zur Wand, die Augen waren zu." Daher habe er kein Licht eingeschaltet. Auch beim Rückweg von der Toilette betätigte der junge Mann nicht den Lichtschalter: "Ich wollte ihn nicht stören."

Angeklagter rief Namen des Schlafenden - dann der Schuss

Nur Augenblicke später - der Zeuge stand zu diesem Zeitpunkt mit dem Rücken zum Ruheraum - ging der Angeklagte mit seinem Sturmgewehr in diesen, wobei er zwei Mal den Namen des Schlafenden rief. Sekundenbruchteile später fiel der Schuss. Als sich der dritte Rekrut umdrehte, stand der Angeklagte neben der Pritsche und blickte auf den dort in seinem Blut liegenden 20-Jährigen. Das Licht im Ruheraum war nun aufgedreht, wie der Zeuge bekräftigte. Der Angeklagte hätte einen "erschreckten, verstörten Eindruck" gemacht. Das Klima im Wachrad sei "gut" gewesen, Probleme hätte es keine gegeben, meinte der Zeuge.

Das bestätigte auch der damalige Offizier vom Tag. Die drei Burschen wären gut miteinander ausgekommen. Seiner Darstellung zufolge hatte der Angeklagte bei Antritt seines Dienstes um 12.30 Uhr "mit Sicherheit" eine ungeladene Waffe übernommen. Er habe das vorschriftsgemäß kontrolliert, ehe er dem 22-Jährigen das StG 77 aushändigte, betonte der Offizier. Ein weiterer Offizier, der unmittelbar nach der Schussabgabe beigezogen wurde, beschrieb die Reaktion des Angeklagten auf den tödlichen Schuss wie folgt: "In seinem Gesicht war das blanke Entsetzen."

Die Verhandlung wird am kommenden Donnerstag mit den Gutachten mehrerer Sachverständiger fortgesetzt.

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