Mikl-Leitner: Nach der
Wahl ist vor der Wahl

Sie hat nun ein Jahr lang Zeit, zu beweisen, dass sie aus Prölls Schatten treten kann

Kalter Wind pfeift durch den Kulturbezirk in St. Pölten, und vor dem Festspielhaus wärmt sich die Musikkapelle des niederösterreichischen Straßendienstes auf. Die "Ferienfahrt" wird intoniert. Ein Straßenmarsch - laut der Website über dessen Komponisten Siegfried Rundel vom "Schwierigkeitsgrad Unter-/Mittelstufe". Die Bühne dieser Kapelle ist oft der Kreisverkehr, dann nämlich, wenn er von einem Mitglied der niederösterreichischen Landesregierung eröffnet wird. Doch heute wird die neue Landeshauptfrau begrüßt. Johanna Mikl-Leitner hat an ihrem ersten Arbeitstag im Amt Mitarbeiter aus allen Bereichen der Landesverwaltung ins Festspielhaus gebeten, um ihnen gleich um 8.30 Uhr in der Früh zu sagen, wo es künftig langgehen wird. Die Sitzreihen füllen sich. Ganz besonders Eifrige haben einen Geschenkkorb mit.

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POLITIK - Mikl-Leitner: Nach der
Wahl ist vor der Wahl

Ihre neue Chefin ist tags zuvor im Landtag von 52 der 56 Mandatare gewählt worden und hat beim anschließenden Empfang "von 17 Uhr bis 20.40 Uhr durchgehend Hände geschüttelt", erzählt ein Mitarbeiter. Genau genommen steht sie mit dem Tag dieser Wahl bereits im Wahlkampf für die nächste. Im März 2018 wird in Niederösterreich der Landtag neu gewählt, und um bis dahin annähernd die Präsenz ihres Vorgängers Erwin Pröll zu erreichen, müssen wohl noch alle anderen Hände in diesem Land geschüttelt werden. "Das ist das Ziel", scherzt man in ihrer Entourage.

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Mikl-Leitner ist nach Waltraud Klasnic in der Steiermark und Gabriele Burgstaller in Salzburg die erst dritte Landeshauptfrau in Österreich. An eine Frau an oberster Stelle müssen sich viele hier wohl erst gewöhnen. Wenn der Klubobmann der ÖVP-Niederösterreich, Klaus Schneeberger, später am Vormittag seiner Parteichefin zu ihrer Wahl mit den Worten "Du hast deine Sache gut gemacht" gratuliert, klingt das sehr gönnerhaft, und man kann sich vorstellen, mit welchen Bemerkungen und Witzchen Johanna Mikl-Leitners Weg durch eine männerdominierte Partei wohl gepflastert war.

»Du musst als Frau wesentlich mehr geben - 150 Prozent. Das ist auch heute noch so.«

"Er hat das wirklich wertschätzend gemeint", interpretiert sie ihn später, darauf angesprochen. Doch sie erinnert sich auch, dass manche alte Herren in ihrer Partei lang gebraucht haben, "bis sie das Wort Landesgeschäftsführerin herausgebracht haben", als sie vor 25 Jahren in der niederösterreichischen ÖVP die erste Frau in dieser Funktion war. Sie sagt: "Du musst als Frau wesentlich mehr geben - 150 Prozent. Das ist auch heute noch so. Das merke ich schon. Diese ganzen Sitzungen: Die Frauen tun - und reden nicht drüber. Die Männer berichten großartig über jedes Zwischenergebnis." Dabei ist sie eine, die unerwünschte Zwischentöne rasch abstellen kann: "Meine direkte Art hat mir sicher sehr geholfen. Es gibt Grenzen, und die muss man sofort aufzeigen, die Dinge gleich ansprechen."

39 Prozent der Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher halten Mikl-Leitner für die "richtige Wahl" als Nachfolgerin Prölls, ergibt eine Umfrage der Marktund Meinungsforscherin Christina Matzka. "Das ist für den Anfang ein guter Wert", sagt die Politikexpertin. Von den deklarierten ÖVP-Anhängern stehen 77 Prozent hinter der neuen Chefin. Die parteiinternen Alternativkandidaten im Vorfeld, Innenminister Wolfgang Sobotka und Agrarlandesrat Stephan Pernkopf, haben schlechtere Werte. Eine Landeshauptmann-Direktwahl würde Mikl-Leitner jedenfalls gewinnen, der Trend bei der Sonntagsfrage zeigt laut Matzka einen Wahlsieg für die ÖVP, vielleicht beim Ergebnis der ersten Wahlen, die Erwin Pröll 1993 und 1998 geschlagen hat, aber keine absolute Mehrheit.

Land der Optimisten

Zupasskommt der Landeshauptfrau in diesem Wahlkampf vielleicht, dass die Niederösterreicher offenbar zufrieden mit ihrer Umgebung sind. 44 Prozent blicken, bezogen auf ihr Bundesland, optimistisch in die Zukunft. Zum Vergleich: Bei einer Bundes-Umfrage Ende Jänner sahen nur 24 Prozent die Stimmungslage in Österreich positiv. "Das Gute liegt für die Menschen im Kleinräumigen", sagt Markt- und Meinungsforscherin Christina Matzka.

Dieser Trend spiegelt sich auch bei Sachthemen wider. Ein Beispiel: 46 Prozent der Befragten finden, dass die Politik bei Gesundheit und Pflege in Niederösterreich den richtigen Weg geht. Auf Bundesebene sind nur 24 Prozent dieser Meinung, und 43 Prozent sagen, die Bundesregierung handelt in dieser Frage falsch. Auch interessant: Im Land der absoluten Mehrheit der ÖVP und der unterentwickelten Minderheitenrechte im Landtag finden 39 Prozent, dass die Politik in Sachen Demokratie und politisches System in die richtige Richtung geht. Auf Bundesebene sind nur 26 Prozent dieser Meinung. Matzka verweist auf eine aktuelle Sora-Umfrage, wonach sich 43 Prozent der Österreicher einen "starken Mann" wünschen. "Man fühlt sich offenbar aufgehoben, wenn einem jemand die Entscheidungen abnimmt", sagt sie.

Prölls langer Schatten

Mit der Dominanz ihres Vorgängers muss die neue Landeshauptfrau vorsichtig umgehen. In allen Reden zu ihrem Antritt betont sie seine Verdienste. Einsilbig bleibt sie bei der Debatte um dessen Privatstiftung. "Wir sagen Danke mit einem sensationellen Applaus an unseren Landeshauptmann außer Dienst", fordert sie die Landesbediensteten auf. Gleichzeitig muss sie irgendwie vermitteln, dass sie es genauso gut oder besser kann. Niederösterreich müsse das "schnellste Bundesland" werden, und ihre Politik werde "mehr leisten in den Zeiten von weniger", ist ihre Strategie, sich von Prölls langem Schatten zu lösen.

Ein weiteres Mittel, um Prölls Platz im Unterbewusstsein der Niederösterreicher einzunehmen: möglichst viele direkte Gespräche. Mitreißende Rednerin bei öffentlichen Anlässen wird aus Mikl-Leitner wohl keine mehr werden. Besser gelingen ihr Auftritte, bei denen Selbstironie und Schmäh nötig sind. Beim Landesempfang für die Biennale-Künstler Brigitte Kowanz und Erwin Wurm wird sie zu ihrem Kultur-Zugang befragt. "Mein Mann ist Hobby-Künstler. Das heißt, bei mir zu Hause hängen viele Mikls, leider keine echten (gemeint ist der österreichische Maler Josef Mikl, Anm.), sondern Mikl-Leitners. Aber auch sehr schön."

Ihr Metier ist aber das direkte Gespräch. Da werden nicht nur Hände geschüttelt, es wird stets durch Umarmungen und Schultertätscheln Nähe gesucht. Da wird - manchmal ein bissl derb - gescherzt: "Her mit den feschen Buam fürs Foto." Gern geht die ehemalige Lehrerin auf Kinder zu. Beim Preisträgerkonzert von Prima La Musica in St. Pölten posiert sie mit so ziemlich allen Kindern, zupft den Mädchen die Frisuren zurecht, macht kumpelhafte Scherze mit den Burschen. "Spielst du heute auch?", fragt sie ein Mädchen vor dem Saal. "Nein? Dann is es ja easy-cheesy heute."

Für Mikl-Leitner selbst werden die nächsten Monate nicht nur "easy-cheesy" sein. Wird ihre erste Landtagswahl kein Erfolg, werden ihre alten Konkurrenten um das Spitzenamt wohl wieder aufwachen. Schon um das zu verhindern, hat sie seit Dezember 40.000 Kilometer durch Niederösterreich zurückgelegt. Mindestens 180 Gemeinden wird sie innerhalb ihres ersten Jahres im Amt besuchen.

Das Marschtempo: mittel bis flott.