Matthias Strolz: "Die Frage
'Warum?' ist nicht hilfreich"

Seine Gedanken zur Corona-Krise hat Matthias Strolz in den letzten Wochen zu einem Buch verarbeitet. Im News-Gespräch erklärt er, dass uns die großen Emotionen noch bevorstehen und wie man trotzdem durch die Krise kommen kann.

von Pandemie - Matthias Strolz: "Die Frage
'Warum?' ist nicht hilfreich" © Bild: News/Herrgott

Es ist ein schmales Büchlein, das Matthias Strolz in der Jackentasche hat, als er im Schönbrunner Schlosspark eintrifft. Frisch aus der Druckerei. "Kraft &Inspiration für diese Zeiten" lautet der Titel, und der Ex-Politiker und nunmehrige Autor und Unternehmer hat es in den Wochen der Corona-Krise zu Papier gebracht. Er gehört zu jenen Menschen, die in der Krise ihre Möglichkeiten sehen und die energisch dazu aufrufen, Chancen auch zu ergreifen. "Sei der Pilot deines Lebens" gehörte schon im Parlament zu seinen Alltagsweisheiten. In 17 kurzen Geschichten und Betrachtungen aus seinem Leben kommt er in diesem Buch immer wieder auf diesen Grundsatz zurück. Der Himmel ist wolkenverhangen, einige wenige Läufer und Mütter mit Kinderwägen sind auf den Schotterwegen unterwegs. In Woche acht des nun weniger strikten Shutdowns hat man viel Zeit, zu denken. Doch "die Krise als Chance", Hand aufs Herz, wer kann das noch hören?

© News/Herrgott

"Die Krise ist zunächst einmal eine Tatsache, und jetzt ist die Frage, wie wir damit umgehen", erklärt Strolz, "das Leben schlägt uns gerade einiges aus der Hand. Die Briten sagen:,Only an empty hand can receive'. Das heißt, wir werden etwas Neues bekommen. Die Entscheidung, die ich nun treffen muss, ist: Will ich diese Neuerfindung mitgestalten oder bin ich Passagier? Natürlich wird uns dieser Prozess einiges abverlangen. Natürlich wird es wehtun, natürlich werden wir jahrelang an den Folgen dieser Krise laborieren. Aber es ist Licht und Schatten da, und ich bin dafür, dass man schaut, dass etwas Konstruktives entsteht aus dem Ganzen." Die Phase der Emotionen werde noch kommen, wenn die unmittelbare Gesundheitskrise ausgestanden ist, meint der Coach mit Schwerpunkt Potenzialentfaltung. Aggression, Wut und Zorn werden sich in der Bevölkerung erst in einem halben Jahr oder noch später voll entladen. "Das wird mit Sicherheit auch politisch bewirtschaftet werden von so einigen Kräften. Aber wir müssen diese Gefühle erst einmal zulassen. Den Abkürzer ohne Emotionen werden wir nicht schaffen."

Die neuesten Informationen zur Coronakrise finden Sie hier

Auch für ihn selbst, der sich nach seinem Ausstieg aus der Politik erst neue unternehmerische Ziele stecken musste, sei vieles, was er in den letzten eineinhalb Jahren aufgebaut habe, so nicht fortsetzbar. "Das tut weh. Aber Viktor Frankl, der die Gefangenschaft in vier KZ überlebt hat, sagt, bei Schicksalsschlägen, die unveränderlich sind, ist die Frage ,Warum?' nicht hilfreich, weil sie dich im negativen Fokus lässt. Die Frage ,Wozu?' ist hilfreich, weil sie dir Türen öffnet. Davon bin ich überzeugt: Es geht nie eine Tür zu, ohne dass eine andere aufgeht. Ab und zu halt zeitversetzt."

Leben in Zeiten von Corona

"Auch mir geht nicht jeder Corona-Tag gleich gut von der Hand", sagt Strolz, der wie viele andere nun die besonderen Seiten von Familienleben und Homeschooling kennenlernt. "Es ist schön, die Familie so zu erleben wie derzeit, mit gefühlt dreimal täglich den Geschirrspüler ausräumen und endlosem Kochen (lacht). Es ist aber auch Reibung und Konflikt. Die Krise als Chance, das ist mir auch zu abgedroschen. Aber immerhin: Ich war das erste Mal Fußball spielen mit meinen drei Mädels. Jetzt kann man sagen:'Was ist das für ein Vater?', aber immerhin. Ich war das erste Mal Nachtwandern mit den beiden älteren. Ich bin das erste Mal an einem Montagnachmittag im März mit meiner Frau alleine bei einem Mittagessen im Garten gesessen. Das sind vielleicht fragwürdige Entschädigungen für das, was gerade passiert, denn gleichzeitig liegt meine Tätigkeit als Vortragender flach und ich muss mich wirtschaftlich neu erfinden. Aber immerhin: An den Tagen vor dem Börsenabsturz habe ich meinen Frankenkredit umgewandelt und meine fondsgebundene Lebensversicherung aufgelöst, damit ich einen Teil zurückzahlen kann."

© News/Herrgott

Auch wenn sich das viele wünschen: Unser Leben von vor der Krise werden wir nicht zurückbekommen, meint Strolz. "Das Ding springt nicht mehr ins gleiche Zahnrad wie zuvor. Außerdem haben wir 2008 gelernt, dass aus dieser Krise noch viele Folgekrisen erwachsen werden. Wir wissen gar nicht, wo wir in drei Jahren stehen." Einiges könne man zumindest erahnen: "Wenn du hinspürst, merkst du jetzt schon, welche Beisln nicht mehr aufsperren werden, nämlich jene, die jetzt schon aufgegeben haben."

Eine Frage der Haltung

Den Ex-Oppositionspolitiker und Neos-Gründer gefragt: Macht die Regierung jetzt einen guten Job? Was die Gesundheit betrifft, ja, sagt Strolz, etliche andere Bereiche seien aber fragwürdig: Die Wirtschaftshilfe habe die Schweiz besser und unkomplizierter organisiert, meint er, und die "Geisteshaltung, die ich bei mehreren ohnehin schon vermutet habe", was Rechtsstaat und Demokratie betrifft, "da findet Angela Merkel schon klarere Worte, wenn sie von einer demokratischen Zumutung spricht". Die Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz, die Gesetze, die beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden, würden zum Zeitpunkt einer Aufhebung ohnedies schon nicht mehr gelten, findet Strolz "zu schnoddrig. Natürlich steht viel auf dem Spiel. Ich will nicht in einem Orbán- Style-Land leben."

Dass die Polizei in den vergangenen Wochen teilweise harte Strafen verhängt hat, die bei genauerem Hinsehen in den Corona-Verordnungen wohl so nicht vorgesehen waren, "da erleben wir viel Willkür. Eine Freundin von mir war mit ihrem Partner joggen, die sind gerade zusammengezogen, waren aber noch nicht am Meldeamt: Beide haben je 500 Euro Strafe bekommen. Das ist Willkür, das ist Einschüchterung der freien Bürger in einem freien Land. Es geht jetzt um Selbstermächtigung, um Eigenverantwortung. Der Staat kann uns nicht das Denken abnehmen, auch wenn das manche gerne hätten mit fragwürdigem Kalkül im Hinterkopf. Auch so ein extremer Schock wie die Corona-Krise darf nicht Anlass sein, dass wir uns das Denken abgewöhnen lassen."

Passend zum Thema: "Ich will eine Glücksministerin" - Ein Gastbeitrag von Matthias Strolz

Als Politiker engagierte sich Strolz besonders in Bildungsfragen. Jedem Kind die "Flügel heben" war sein Leitspruch. Wir er die Phase des Homeschoolings sieht, in der viele Kinder auf der Strecke geblieben sind? "Die Corona-Krise zeigt, wie schlecht wir im Bildungsbereich gerüstet sind. Die Schere geht auf, in der Bildung, aber auch im sozialen Bereich wird sie weiter aufgehen." Wenn die Europäische Zentralbank weitere 750 Milliarden Euro in Anleihekäufe investieren will, "dann ist das absolut daneben. Das Geld landet vor allem bei jenen, die den Informations-und Netzwerkvorsprung haben und es sich richten können. Ich wäre für einen Helicopter Drop, einen Scheck für jeden Haushalt im Herbst, das ist vor allem in Nachfragestärkung und Verteilungswirkung einer Fortsetzung des dumpfen Anleihekaufens haushoch überlegen."

Eigentlich wolle er gar nicht mehr so viel über Politik reden, sagt Strolz, aber wenn wir schon dabei sind: "Wenn es schlecht ausgeht, dann triggert eine Krise die nächste und Europa muss sich neue Felder der Kooperation suchen und sich in denen bewähren, ansonsten wird die Union nicht überleben. Das Bittere ist: Daran ist nicht die Union schuld, sondern die ignoranten Regierungschefs, die natürlich alle Spuren verwischen. Die haben einen Macho-Wettbewerb an Pseudoleadership gemacht, jeder auf Kosten des anderen, und die Nachwehen werden uns noch lange beschäftigen. Wenn deutsche Politiker sagen: 'Macht Urlaub im Allgäu und nicht in Österreich', ist das ja nichts anderes als ein Revanchefoul für Dinge, die ihnen aus Wien über die 'Bild'-Zeitung ausgerichtet wurden. Das kann Österreich Tausende Arbeitsplätze kosten. In diesem Wettbewerb der Regierungschefs - wer ist der härtere? - kann Österreich über Gebühr zum Verlierer werden, denn unser Wohlstand ist exportabhängig. Ich versteh ja, dass das politisch funktioniert, dass man damit Kleingeld sammeln kann und vielleicht in eine absolute Mehrheit wachsen - aber verantwortungsvoll ist das nicht."

Meine größte Niederlage

Strolz zieht das Buch aus der Tasche. Seit seinem Abschied aus der Politik hat er sich mit den großen Fragen des Lebens beschäftigt. Für den ORF drehte er einen Film über das Sterben. Für Puls 4 holt er Menschen vor den Vorhang, die nach Niederlagen wieder aufgestanden sind. Was waren die Niederlagen im Leben des Matthias Strolz? "Im Liebesleben hätte ich einiges anzubieten, in meinem politischen Tun gab es Niederlagen bei Landtagswahlen, die Enttäuschung von Hunderten Freiwilligen und Millionenschulden auf den Schultern des Neos-Vorstandes, das war nicht fein. Es gab körperliche Niederlagen, wie einen Bandscheibenvorfall letztes Jahr, wo ich gemerkt hab, boah, da war einer, der sich für unverletzlich gehalten hat, das ist er nicht."

© News/Herrgott

Die ganz großen Niederlagen, das weiß er selbst, sind Strolz bisher erspart geblieben. Doch als er in den ersten Tagen der Corona-Krise zum Nachrichtenjunkie wurde und "wieder Politiker gespielt" hat, beschloss er, ein Buch darüber zu schreiben, was ihm wirklich wichtig ist. "Ich bin in meinen Rollen als Vater, Unternehmer und Autor gefordert und ich merke, dass ich anderen Menschen Inspiration geben kann. Es mag Menschen geben, die finden das lächerlich, die haben mich aber auch schon als Politiker lächerlich gefunden. Du kannst es nicht allen recht machen. Das ist in Ordnung." Ein selbst erklärter "Politschädel" und sein neues Verständnis von politischer Intervention. "So hab ich versucht, dieses Buch in die Welt zu bringen. Ich bin ganz gerührt, wenn es gelingt."

ZUR PERSON: Matthias Strolz, 46 Der Vorarlberger wurde ab 2012 als Gründungschef und Klubobmann der Neos österreichweit bekannt. Seit seinem Ausstieg aus der Politik vor zwei Jahren widmet sich der ausgebildete Unternehmensberater und Politikwissenschaftler wirtschaftlichen Projekten, ist Vortragender und Autor und moderiert zurzeit die "Fuck Up Show" auf Puls 4.