Psychisch fit durch schwere Zeiten

Die kommenden Wochen werden auch für die Psyche eine große Herausforderung. Wie es dennoch gelingen kann, Kraft zu tanken und sich wohl zu fühlen.

von Gesundheitsratgeber - Psychisch fit durch schwere Zeiten © Bild: Getty Images

Die Tage sind kurz, die Temperaturen fallen, Österreich ist derzeit im Lockdown. Die Aussichten auf die kommenden Wochen sind eher düster.

Schon in "normalen" Jahren kämpfen rund 15 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher mit einer Herbst-Winter-Depression. Sie fühlen sich müde und antriebslos, sind gereizt und innerlich unruhig. Dazu kommt, dass es ihnen schwer fällt, sich für ihre Hobbys und sozialen Kontakte zu begeistern.

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Die andauernde Corona-Pandemie wirkt sich zusätzlich negativ auf die psychische Gesundheit vieler Menschen aus. Darüber hinaus steigt in psychischen Ausnahmesituationen die Suchtgefahr.

»Nicht nur Hände-, sondern auch Psychohygiene ist im Augenblick sehr wichtig«

Die Corona-Pandemie ist eine -mittlerweile schon fast zwei Jahre andauernde - Ausnahmesituation. Auf Gefahren-beziehungsweise Stresssituationen reagiert der Körper mit der Ausschüttung von Hormonen. Adrenalin mobilisiert Energiereserven und steigert die Leistungsfähigkeit. Es lässt den Blutdruck ansteigen und das Herz schneller schlagen. Das Stresshormon Cortisol regt den Stoffwechsel an und sorgt damit ebenfalls rasch für mehr Energie. Zudem wirkt es dämpfend auf Entzündungsvorgänge. Das ist kurzfristig sinnvoll. Sind diese Hormone jedoch aufgrund von Stress dauerhaft erhöht, macht uns das körperlich und psychisch krank.

Aber kann man etwas für die Psyche tun, damit die kommende Zeit vielleicht doch nicht so schlimm wird, wie befürchtet?

Jeder, der länger als zwei Wochen depressive Symptome verspürt, sollte unbedingt einen Experten aufsuchen. Allen andern rät Psychotherapeutin Christa Schirl: "Das Wichtigste ist, zu schauen, was am Gabentisch liegt und sich nicht darauf zu fokussieren, was fehlt. Das Leben findet im Hier und Jetzt statt. Daher sollte ich mich immer fragen, was jetzt gerade meine Möglichkeiten sind und was ich jetzt erleben kann." Schon mit ein paar Änderungen im Alltag ist es möglich, die Psyche zu stärken, um die kommenden herausfordernden Monate möglichst gut zu überstehen.

Tipps

Wohlfühlmomente

Psychologin Christa Schirl rät dazu, sich in Ruhe hinzusetzen und eine Liste mit rund 30 Dingen aufzuschreiben, die weniger als zehn Euro kosten, maximal eine halbe Stunde dauern und "ein Wohlgefühl erzeugen". Dazu zählen vermeintliche Kleinigkeiten wie, die Sonnenstrahlen auf der Haut zu genießen, den Duft einer Zitrone wahrzunehmen oder sich die Zeit zu nehmen, die Milch für den Kaffee aufzuschäumen. Diese Dinge sollten dann ganz bewusst als kleine Auszeiten im Alltag wahrgenommen und genossen werden.

© Getty Images Ein Waldspaziergang senkt den Cortisolspiegel und stärkt das Immunsystem

Waldbaden

Es waren zunächst japanische Wissenschaftler, die den positiven Effekt des Waldes auf Psyche und Körper gezeigt haben. Durch die ätherischen Öle, die von den Bäumen abgegeben werden, wird das Immunsystem gestärkt. Außerdem reduziert ein Aufenthalt im Wald Stress und depressive Symptome. Daher etablierte sich in Japan schon vor vielen Jahren "Shinrin-Yoku" als Methode, um Geist und Körper Gutes zu tun. Auch in Österreich wird Waldbaden zunehmend beliebter. Dabei kommt es nicht auf die zurückgelegten Kilometer an, vielmehr geht es um das bewusste Wahrnehmen der Geräusche, Farben und Gerüche der Natur. Schon zwei bis zweieinhalb Stunden pro Woche reichen britischen Forschern zufolge, um den Cortisolspiegel im Blut wieder nachhaltig zu senken. Wer Waldbaden für etwas seltsam hält, kann es zunächst z. B. mit einer Pflanzenbestimmungs-App wie FloraIncognita versuchen. Damit wird die Wahrnehmung ebenfalls geschärft. Schließlich will man möglichst viele Pflanzen entdecken und bestimmen. Wer dann Gefallen am Aufenthalt im Wald gefunden hat, kann das Handy ja wieder zu Hause lassen.

Handy weglegen

Seit der Corona-Krise nutzt rund ein Drittel der vom Marktforschungsinstitut Appinio Befragten das Smartphone mehr als zuvor. Vor allem Frauen verwenden es deutlich häufiger. 44 Prozent der Bevölkerung haben sich in den vergangenen Wochen eine neue App heruntergeladen. Allerdings fanden Wiener Wissenschaftler bereits vor einiger Zeit heraus, dass Menschen, die ihr Smartphone weniger oft verwenden, zufriedener sind. Daher am besten täglich fixe handyfreie Zeiten einplanen und stattdessen z. B. ein Buch lesen, einen Spaziergang unternehmen oder ein neues Gericht ausprobieren.

Licht

Das fehlende Licht in den Wintermonaten kann zur sogenannten saisonal abhängigen Depression (SAD) führen. Denn durch die Strahlung wird der Serotoninund Melatonin-Haushalt im Körper reguliert. Bei Menschen, die an SAD leiden, ist der Melatoninspiegel zu hoch. Da dieses Hormon den Tag-Nacht-Rhythmus steuert, kommt es zu Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit. Um vorzubeugen, empfehlen Experten daher - auch an trüben Tagen -einen täglichen Spaziergang. Außerdem kann eine Tageslichtlampe helfen, den Serotonin- und Melatoninhaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Entscheidend dafür ist, dass die Lampe eine Stärke von 10.000 Lux hat und man sich jeden Vormittag in einem Abstand von 60 Zentimetern vor die Lampe setzt.

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Immunsystem stärken

Gesundheit ist einer der wesentlichsten Faktoren für unser Wohlbefinden. Immerhin 54 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher achten seit der Corona-Krise laut einer Umfrage der Allianz Versicherung auf einen gesunden Lebensstil. Um fit zu bleiben, ist es vor allem im Herbst und Winter wichtig, das Immunsystem aktiv zu stärken. Voraussetzung dafür ist ausreichend Schlaf und eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung. Auch regelmäßige Bewegung an der frischen Luft stärkt die Abwehrkräfte. Dabei sind allerdings keine körperlichen Höchstleistungen notwendig. Im Gegenteil: Durch Überanstrengung steigt die Anfälligkeit für Infekte.

Soziale Kontakte

In Zeiten, in denen Social Distancing empfohlen und viele Veranstaltungen abgesagt werden, ist es nicht immer einfach, Freunde und Verwandte zu treffen. Allerdings spricht nichts gegen gemeinsame Aktivitäten im Freien. Für Großeltern ist es derzeit oft besonders schwer, ihre Enkel nicht sehen zu können. Doch mit der Coronakrise tauchten immer mehr über 65-Jährige in die digitale Welt ein und hielten so Kontakt. Vor allem WhatsApp bekam in dieser Gruppe einen hohen Stellenwert. So nutzten 83 Prozent aller von der Senioren-Smartphone-Firma Emporia Befragten ihr Handy dafür. Auch Videoanrufe sind kein Ersatz für echte Treffen, aber immerhin eine Möglichkeit, einander zumindest wieder einmal zu sehen.

Glückstagebuch

Es ist etwas Geduld notwendig, um einen positiven Effekt festzustellen. Aber nach zwölf Wochen sollte man sich weniger gestresst und besser fühlen. Dazu jeden Abend den Tag noch einmal Revue passieren lassen und sich dabei an die schönen Momente erinnern. Das kann ein Regenbogen sein, den man gesehen hat, ein besonders guter Kaffee oder ein nettes Gespräch mit einer Freundin. Diese kleinen Glücksmomente im Tagebuch notieren. Nach und nach werden uns so die positiven Dinge im Alltag bewusster, und das hebt die Laune.

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Lebenssinn

Wer einen Sinn in seinem Leben sieht, bewältigt schwierige Situationen leichter. Das ist eines der Ergebnisse der Studie von Sinnforscherin Tatjana Schnell (Interview, siehe nächste Seite). Jede Sinnkrise führt hingegen zu einer großen psychischen Belastung.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 44/2020.