Die Welt, so, wie sie mir gefällt

Keine schweren Waffen an die Ukraine liefern, sondern lieber Putin entgegenkommen? Eine Generation, die ihrer selbst sehr sicher ist, macht es sich zu leicht.

von Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

Deutschland debattiert über einen offenen Brief, in dem sich Intellektuelle gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aussprechen. Initiatorin des Briefes ist die bekannte Feministin Alice Schwarzer. Sie und die 27 anderen Unterzeichner argumentieren, Deutschland mache sich mit den Waffenlieferungen zum Kriegsteilnehmer und beschwöre mehr oder weniger den dritten Weltkrieg herauf.

Lieber Putin nicht zu sehr provozieren und einen Kompromiss suchen, finden die Herr-und Damenschaften, allesamt wohletablierte Koryphäen des deutschen Kulturbetriebs.

Was zwischen den Zeilen auch in dem Brief steht: Die Ukraine möge mit ihren patriotischen Bestrebungen die Nachkriegsordnung nicht gefährden. Krieg ist vorbei. Frieden für alle und ein Haus, eine Überzeugung und einen Bausparvertrag. War so ausgemacht, oder? Eine Garantie für das gute Leben.

Es erinnert ein bisschen an den deutschen Film "Good Bye, Lenin" (2003). Darin lässt der junge Alexander, gespielt von Daniel Brühl, seine kranke, bettlägerige Mutter nach der Wende in dem Glauben, dass die DDR noch existiert. Er füllt alte Spreewald-Gurkengläser auf, um sie zu täuschen, und dreht mit Hilfe eines Freundes gefälschte Nachrichtensendungen. Alles, um ihr den Realitätsschock zu ersparen.

»Die Welt passt jetzt ganz offensichtlich nicht mehr auf eine Feuilletonseite«

Die Mutter von heute, das ist eine Generation von Menschen, die nicht verstehen will, dass die Zeiten sich geändert haben. Die Zukunft Europas wird entscheidend davon abhängen, ob und wie Putin jetzt Konter gegeben wird und ob er sich ermutigt fühlt, seinen wahnsinnigen Feldzug fortzusetzen. Aber das kann einem vielleicht egal sein, wenn man nicht so langfristig denken mag und lieber pazifistischen Grundsätzen und Atomkriegs-Angstfantasien nachhängt. Es müssen einen dann auch viele andere Probleme nicht interessieren. Dass das Wohlstandsversprechen für viele Jüngere schon lange nicht mehr stimmt, zum Beispiel, oder was die Folgen des Klimawandels für die kommenden Generationen bedeuten. Der Alexander von heute, das wären - um bei der Film-Analogie zu bleiben - die Politiker, die dieses Spiel mitspielen und ständig neue Potemkinsche Dörfer errichten, um die Illusion der ewigen Nachkriegszeit auf Kosten der Zukunft aufrechtzuerhalten.

Auf die teils harsche Kritik an ihrer nach eigener Einschätzung "nachdenklichen, sehr genauen, zum Teil sehr kenntnisreichen und engagierten Stellungnahme" reagierte Schwarzer empört. Vielleicht, weil die ganze Sache auch zeigt, dass schöne Worte und hehre Überzeugungen nicht mehr ausreichen. Niemand will Krieg. Aber die Welt ist nicht mehr so einfach, wie sie einmal war (oder vielleicht auch nur schien, wenn man sehr überzeugt davon war, recht zu haben). Die Welt passt jetzt ganz offensichtlich nicht mehr auf eine Feuilletonseite. Sie zerreibt sich irgendwo zwischen Leichenfotos auf Twitter und Coronaleugnerpropaganda auf Telegram, und wer das nicht ertragen kann, sollte nicht beleidigt sein, wenn die Briefe, die er von seinem Elfenbeinturm herabsegeln lässt, keine großen Begeisterungsstürme entfachen. Sondern einfach die Augen aufmachen.

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