"Junge Wilde" gegen
"alte Erfahrung"

Bundeskanzler Sebastian Kurz reist heute zum Antrittsbesuch nach Berlin und trifft auf Angela Merkel. Aus der SPD kommt Kritik.

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Kurz bei Merkel - "Junge Wilde" gegen
"alte Erfahrung"

Als der neue österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz vergangene Woche den französischen Präsidenten besuchte, jubelten die Fotografen. Denn das Treffen des 31-jährigen Regierungschefs beim 40-jährigen Emmanuel Macron lieferte Fotos von zwei Jungdynamikern, ein Kontrast zu den "Groko-Sondierungen" in Berlin, in dem drei Parteichefs zusammen saßen, die zusammen fast 200 Jahre alt sind. "Sie lassen Groko-Sondierer alt aussehen", schrieb deshalb eine deutsche Zeitung. Aber von der gefühlten Wachablösung in der EU ist nach Meinung vieler Europa-Experten in Wahrheit trotz der Bilder nicht viel zu sehen. "Ich würde nicht auf die 'jungen Wilden' setzen", meint etwa Jana Puglierin, Europa-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Auch SPD-Europapolitiker Axel Schäfer winkt ab. Einer der Gründe: "Macron und Kurz haben eigentlich bis auf das Alter und die Krisen der politischen Systeme in ihren Ländern nichts gemeinsam", meint der SPD-Politiker, der dies mit harscher Kritik an dem österreichischen Christdemokraten verknüpft. Denn während Macron mit einer klar proeuropäischen Agenda ins Amt gekommen sei, habe der frühere österreichische Außenminister durch die Koalition mit der rechtspopulistische FPÖ "Tabus" gebrochen. Auch der dritte jugendlich wirkende EU-Regierungschef, Mark Rutte in den Niederlanden, stehe in Wahrheit nicht für einen Aufbruch in Europa - auch wenn er für Schäfer wirkt wie "eine Mischung aus Kurz und FDP-Chef Christian Lindner".

»Zum einen wurde Merkel schon oft abgeschrieben - und kam dann wieder«

Dazu kommt die Warnung, die seit zwölf Jahren regierende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel trotz der Verluste der Union bei der Bundestagswahl und der schwierigen Regierungsbildung nicht zu schnell abzuschreiben. "Es stimmt schon, dass derzeit das Schwungrad der Europapolitik nicht in Berlin, sondern in Paris steht", räumt der CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum ein. Dies liege aber alleine daran, dass Merkel nur eine geschäftsführende Bundesregierung leite. Sobald die CDU-Chefin als Kanzlerin wiedergewählt sei, würden die alten Kräfteverhältnisse im EU-Gefüge wieder hergestellt.

Das glaubt auch DGAP-Expertin Jana Puglierin (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). "Zum einen wurde Merkel schon oft abgeschrieben - und kam dann wieder", warnt sie. "Zum anderen ändert sich auch durch einen jugendlichen Präsidenten wie Macron nichts daran, dass Deutschland als ökonomisches Schwergewicht zentraler Spieler in der EU ist." Macron habe bei allem Respekt eigentlich noch nicht sehr viel geliefert. Falls CDU, CSU und SPD die Verabredungen zu Europa im Sondierungspapier tatsächlich umsetzen würden, könnte Berlin plötzlich wieder führend in der Europa-Politik werden. Kurz sorgt auf jeden Fall für Spannungen in der sich anbahnenden neuen Großen Koalition (Groko).

"Kurz ist der Wegbereiter eines Rechtspopulismus mit jugendlichem, freundlichem Gesicht"

Während Krichbaum den jungen Kanzler, der am heutigen Mittwoch mit Merkel in Berlin zusammentreffen wird, ausdrücklich in Schutz nimmt und darauf verweist, dass er viel proeuropäischer sei, als dies seine Koalition mit der FPÖ vermuten lasse, äußert Schäfer vor dem Besuch in Berlin scharfe Kritik. "Kurz ist der Wegbereiter eines Rechtspopulismus mit jugendlichem, freundlichem Gesicht", bemängelt er. Die CDU-Chefin werde wahrscheinlich wieder alle rechtsstaatlichen Defizite konservativer EU-Chefs etwa in Ungarn unter den Tisch kehren, weil diese wie die Union zur europäischen Parteifamilie EVP angehörten.

Kommen und Gehen von EU-Partnern

Die Kritik will Krichbaum nicht teilen: Denn während alle auf die medienwirksame Kurz-Visite bei Macron in Paris geschielt hätten, habe der österreichische Bundeskanzler als erstes seine Aufwartung bei den EU-Institutionen gemacht - ganz im Sinne überzeugter Europäer. Auch die FPÖ sei im Rahmen des Koalitionsvertrages bei Europa eher an die Kandare genommen worden.

»Das sind die Momente, wo ich traurig bin, dass ich nicht mehr so jung bin«

Merkel selbst hatte sich mit Kurz bereits am Rande des EU-Gipfels in Brüssel getroffen und gilt als schmerzfrei im Kommen und Gehen anderer EU-Partner. Aber die Kanzlerin weiß nach Angaben aus der Union, dass sich der Druck auf eine personelle Erneuerung auch in Deutschland verstärkt, wenn sie zunehmend von jungen Politikern auch in der EU umgeben ist. Lindner fordert immer wieder eine Erneuerung der Union - und zielt auf Merkel. Gerade erst hat der schleswig-holsteinischer Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) eine personelle Erneuerung der CDU gefordert - allerdings in den Reihen hinter der Kanzlerin.

Auch im Oktober hatte Merkel eingeräumt: "Das sind die Momente, wo ich traurig bin, dass ich nicht mehr so jung bin." Die Bemerkung fiel allerdings nicht etwa nach einem Treffen mit einem jugendlichen Politiker in Deutschland oder Europa - sondern nachdem sie einen Flugsimulator der Lufthansa gesehen hatte.

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