"Bei uns fließt
kein Theaterblut"

Raub, Erpressung, Mord - mehr als 40 Jahre schaute Walter Pupp in die Abgründe der Gesellschaft. Ende Jänner geht der Leiter des Tiroler Landeskriminalamts in Pension und zieht Bilanz. Seine Nachfolgerin ist Katja Tersch. Sie wird Österreichs erste LKA-Chefin. Das große News-Doppel-Interview

von Kriminalfälle - "Bei uns fließt
kein Theaterblut" © Bild: Ricardo Herrgott/News

News: Der "Tatort"-Ermittler im Fernsehen muss sonntags oft spektakuläre Fälle aufklären. Ist das bei Ihnen in Tirol auch so?
Pupp:
Die Wahrheit schaut natürlich anders aus. Wir sind keine Horst Schimanskis aus Duisburg, die sich betrinken, ihre Klienten niederschlagen oder beschimpfen und dann betrunken Auto fahren. Die Wahrheit ist, dass man selber stabil sein sollte. Das ist die Basis, damit man die Dinge, die man sieht und erlebt, erträgt. Der Ablauf ist ähnlich wie im Film. Wir kommen zu einem Tatort, und erst mal ist unklar, was passiert ist. Das müssen wir ermitteln. Die Zweierteams, die zum Beispiel bei "Soko Kitzbühel" brillieren, gibt es in Wahrheit nicht. Gerade zu Beginn eines Mordfalls ermitteln teilweise 40 Polizisten. Das ist ein Zusammenspiel von vielen Fachleuten. Da gibt es nicht einen Star. Der größte Unterschied ist wohl: Bei uns fließt kein Theaterblut. Unser Leben ist dreidimensional. Das heißt, wir hören und sehen nicht nur, sondern riechen einen Tatort auch. Das kann sehr unangenehm sein.

Nach über 40 Jahren im Dienst: Kann Sie da noch was schockieren, Herr Pupp?
Pupp:
In dieser Zeit hab ich so ziemlich alles gesehen. Vom Mord am Kleinkind bis zur Tötung von fünf Menschen, so wie es jetzt in Kitzbühel war. Ich glaube, dass man als Polizist nicht schockiert sein darf. Schock ist eine Form von Starre. Das wäre die falsche Reaktion auf die Aufgabenstellung. Ein Polizist braucht Distanz.

Können Sie die Distanz bewahren, Frau Tersch?
Ich versuche, Kriminalfälle sachlich und professionell zu beurteilen, auch wenn es vielleicht nicht immer leicht fällt. Insbesondere in einer Vernehmung ist es wichtig, einen Zugang zum Täter zu finden. Wenn der merkt, dass man seine Taten strikt ablehnt, dann könnte man keine Verbindung zu ihm aufbauen. Ich habe gelernt, damit umzugehen.

© Ricardo Herrgott Katja Tersch

Wie sieht der Alltag eines LKA-Chefs aus?
Pupp:
Das Landeskriminalamt in Tirol hat in Summe 19 Fachbereiche. Ein Fall wird im jeweiligen Bereich abgearbeitet, die Abteilungsleitung steuert das. Wir können uns nicht um alle Fälle im Detail kümmern; im Grunde bleiben die Entscheidungen bei den Fachbereichsleitern. Aber bei den großen Fällen, also bei den Morden etwa, werden wir selbst aktiv. Dann leiten wir die Besprechungen und teilen die Kollegen ein.

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Bei welchem Fall lagen Sie zuletzt nachts wach?
Pupp:
Das war sicher Kitzbühel mit den fünf Toten. Das war von der Dimension her etwas Besonderes. Kriminalistisch war der Fall schnell klar. Es gab einen Täter, und der hat sich gestellt und zugegeben, fünf Personen getötet zu haben. Das heißt, die sonst erforderliche Fahndung nach dem meist unbekannten oder flüchtigen Täter ist weggefallen. Aber was geblieben ist, war die Aufarbeitung des Tatorts, was auch im Fall eines geständigen Täters äußerst akribisch erfolgen muss.

War der Druck in diesem Fall besonders hoch?
Pupp: Der gesellschaftliche Druck war enorm. Von der Betroffenheit der Menschen aus Kitzbühel wurde man natürlich eingenommen. Und dazu kam der mediale Druck. Der war oft am Rande des erträglichen. Vor allem durch mangelhafte Qualitätsmedien. Das war teilweise jenseits von dem, was journalistisch erlaubt war.

Was war an diesem Fall so außergewöhnlich?
Die Frage war: Warum macht ein Mensch das? Das Verhalten des Kitzbühler Täters war vollkommen unerklärlich. Erstens die Tötungshandlung und dann, dass er sich selbst stellt. Das passt nach meiner Erfahrung nicht zusammen. Solche Täter, und es sind großteils Männer, die ihre Lebenspartner und Kinder töten, töten sich danach meist selbst.

»Die internationale Zusammenarbeit muss gefördert werden, sonst wird es schwer, den Täter zu finden«

Welche Erkenntnis ziehen sie daraus?
Es gibt nichts, was es nicht gibt, und es gibt keine Vorherschau. Täterverhalten präzise vorherzusehen -und das machen ja die ganzen Profiler, die man jetzt so sieht -, das gibt es im wirklichen Leben nicht. Der Mensch ist ein Individuum, das nur bedingt berechenbar ist. Das macht es spannend, aber auch nicht ungefährlich.

Nach einer so langen Zeit im Polizeidienst: Was war der Fall Ihres Lebens?
Pupp:
Der Mord an der jungen französischen Studentin in Kufstein. Im Jänner 2014 wurde die 20-jährige Austausch-Studentin erschlagen am Innufer gefunden. An diesem Fall haben wir sehr lange und viel gearbeitet, und es bestand die Möglichkeit, dass wir scheitern. Alle Spuren schienen tot zu sein. Es gab nichts, wo wir weiter ermitteln konnten. Wir haben dann ein Phantombild zeichnen lassen und es mit einer Geldbelohnung ausgelobt, das war etwas, was ich in dieser Kombination nicht mehr machen würde. Hier gingen viele, auch völlig aus der Luft gegriffene Hinweise ein, die wir alle überprüfen mussten. Der Täter war allerdings nicht dabei.

© Ricardo Herrgott

Aber dann haben Sie ihn doch ermittelt?
Pupp:
Der Täter hatte Ende 2016 eine 27-jährigen Joggerin in Deutschland umgebracht. Daraufhin haben wir mit den deutschen Kollegen telefoniert. Aber die schlossen zunächst eine Verbindung nach Österreich aus, weil sie in unmittelbarer Nähe noch einen Mordfall hatten. Wir mussten sie dann überzeugen, dass wir die DNA-Spuren zumindest mal abgleichen und sie sich unseren Fall wenigstens anhören. Ersteres war kompliziert, weil die Deutschen ein anderes DNA-Untersuchungsmodell haben als wir. Das musste erst umgerechnet werden. Aber es ergab sich schließlich einen Hinweis auf eine Übereinstimmung, und die Gerichtsmediziner des Landeskriminalamts Stuttgart schlossen es zumindest nicht aus. Es könnte sein, dass es der gleiche männliche Spurenverursacher war. Letztlich hat es gepasst, und wir konnten den Eltern in Frankreich endlich sagen, dass der Mörder ihrer Tochter gefasst wurde.

Haben Sie einen Fall nicht gelöst?
Pupp: Der Mord an der niederösterreichischen Studentin im Jahr 2005 in Innsbruck. Sie wurde von einem bis dato unbekannten Täter erstochen. Da haben wir alles probiert. Sogar die Cold-Case-Ermittler des Bundeskriminalamtes suchen den Mörder. Aber der Fall ist derzeit nicht zu klären. Der Umfang der Ermittlungsakten ist immens. Zum Vergleich: Ein Mord in den 70er-Jahren bestand aus drei Aktenordnern, heute sind das Hunderte. Die technischen Möglichkeiten, Rufdatenrückverfolgung, Kameraauswertung, DNA-Auswertung, das ist dermaßen umfangreich geworden, dermaßen komplex. Hier braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen Ermittlern, Tatortbeamten, IT-Forensikern und Analytikern.

Verfolgen Sie ungelöste Kriminalfälle?
Pupp: Verfolgen ist der falsche Ausdruck. Aber ich glaube, wann immer ich zu diesen Tatorten komme, werde ich eine Art Déjà-vu erleben. Man hat es im Hinterkopf, und sollte jemand anrufen und Neuigkeiten bekannt geben, werde ich es nicht vergessen haben. Verfolgen würde es mich dann wahrscheinlich, wenn ich nicht alles versucht hätte.

Welche Fälle beeindrucken Sie, Frau Tersch?
Mich beeindrucken auch Fälle, die nicht so spektakulär sind wie die vom Walter Pupp dargestellten. Das betrifft vor allem die ganze andere Kriminalität, die bekämpft wird. Es steckt sehr viel Arbeit dahinter, Suchtgiftermittlungen zu führen, bis man hier auf die eigentlichen Hintermänner kommt. Oder der Bereich Wirtschaftsdelikte. Die Fälle scheinen niemals so spektakulär, die Verfahren laufen sehr lange, der Aufwand für unsere Mitarbeiter ist riesig. Und auch die Ermittlungen im Sexualbereich. Was es bedeutet, sich Kinderpornografie anschauen zu müssen. So was entsprechend zu dokumentieren und zu ermitteln. Mit Täter und Opfer zu sprechen. Das sind schon so Bereiche, die mich auch sehr beeindrucken.

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Wie sicher ist Tirol?
Tersch: Wir haben eine steigende Aufklärungsquote und eine sinkende Kriminalitätsrate. Auch im Vergleich zu anderen Bundesländer steht hier Tirol sehr gut da.

Wann macht die Polizei gute Arbeit: Wenn die Menschen sicher sind oder wenn sie sich sicher fühlen?
Tersch: Es ist schwierig das Sicherheitsgefühl von Seiten der Polizei zu beeinflussen. Wenn man versucht, gegen eine Emotion mit Zahlen zu argumentieren, was ja die Kriminalstatistik ist, funktioniert das meistens nicht. Aber es ist uns natürlich sehr wichtig, zu beidem beizutragen -zu einer sicheren Gesellschaft und einem gutem Sicherheitsgefühl.

Pupp: Geklärte Straftaten, eine gute präsente Polizei, eine kompetente Polizei, eine vernünftige Polizeidichte, so, dass es nicht bedrohlich wirkt, ist sicher gut für das Gefühl. Daran arbeitet die Polizei massiv. Auch was das Bürgerservice betrifft. Wenn Sie auf eine Dienststelle gehen, sollen sie dort gut behandelt werden. Sie sollen ernst genommen werden. Das sind die Strategien für das Sicherheitsgefühl. Aber die Medien tragen uns natürlich auch jeden Tag alles böse, das auf der Welt passiert, ins Wohnzimmer. Das ist sicher auch eine Sache, die das Gefühl beeinträchtig.

Was sind die größten Herausforderungen für die Tiroler Polizei derzeit?
Tersch: Der Bereich Internetkriminalität. Das ist jener Deliktbereich, der in ganz Österreich steigt. Das sind hauptsächlich Betrugsstraftaten; beispielhaft haben früher die Täter mit gefälschten Lederjacke von Haus zu Haus fahren müssen und versucht, diese Dinge zu verkaufen. Jetzt sitzt der Täter irgendwo auf der Welt vor einem Computer, mit einem Klick verschickt er Tausende E-Mails mit irgendwelchen abstrusen Geldforderungen. Wenn er davon nur einen Bruchteil bekommt, hat er schon einen wesentlich höheren Ertrag, als wenn er die Türklinken putzen müsste. Das Internet ist eine große Spielwiese für Täter, und die werden heutzutage immer innovativer. In Wahrheit ist das wie ein Wirtschaftsbetrieb, der sich überlegt, wie er ohne großen Einsatz an möglichst viel Geld kommt.

Was wünschen Sie sich von der aktuellen Regierung für die Polizeiarbeit?
Tersch: Zum einen mehr Unterstützung, dass wir unsere Arbeit entsprechend der neuen technologischen Entwicklungen machen können. Die gesetzlichen Bestimmungen sollten hier angepasst werden, damit wir Täter leichter ausforschen können. Zum anderen muss die internationale Zusammenarbeit gefördert werden. Ansonsten wird es für uns immer schwieriger, einen Täter auszuforschen, der irgendwo im Ausland ist. Zumeist sind das ja keine Einzeltäter, sondern Gruppierungen. Die sind sehr gut organisiert und arbeiten arbeitsteilig über die Ländergrenzen hinweg. Der Erfolg wäre, an die Hintermänner und Organisatoren solcher Gruppierungen zu kommen, um sie nachhaltig ausschalten zu können.

Pupp: Wir brauchen Hilfsmittel, um den digitalen Spuren auf die Schliche zu kommen. Das bedeutet, wir benötigen auf unterschiedlichen Arbeitsebenen sehr gut ausgebildetes Personal mit hoher Qualifikation im IT-Bereich. Wir brauchen eine andere Ausstattung, die wesentlich mehr Geld kostet. Wir brauchen ausreichend Budgetmittel, sonst verlieren wir das Spiel.

Frau Tersch, Sie sind die erste Frau auf diesem Posten. Wie schwer ist es, sich als Polizistin in diesem Job zu behaupten?
Ich habe das Glück gehabt, immer auf Kollegen und Vorgesetzte zu stoßen, die mich gefordert und gefördert haben. Es gibt bestimmt Kolleginnen, die das anders erlebt haben. Aber für mich kann ich es nicht anders sagen. Speziell Walter Pupp; er hat nie einen Unterschied gemacht und von mir immer das Gleiche gefordert, wie von jedem anderen. Ich konnte in der Zeit unserer Zusammenarbeit viel mit ihm diskutieren und aus seinen Erfahrungen lernen. Aber natürlich war es 1992 nicht selbstverständlich, als ich bei der Polizei angefangen habe, aber ich bin so erzogen worden, dass ich alles erreichen kann, unabhängig vom Geschlecht.

Wie werden Sie die Pension verbringen, Herr Pupp? Werden sie aufhören Polizist zu sein?
Nein, Polizist ist man immer. Polizist ist eine Anstellung auf Lebenszeit. Aber ich werde im Ruhestand nicht weiter ermitteln. Natürlich bleibe ich den Kollegen verbunden, aber im Endeffekt bin ich raus. Ich habe einen großen Familien-und Freundeskreis, einen Bauernhof, viele Interessen und lebe in einer Gegend, wo ich mich sportlich betätigen kann, also wird mir ganz sicherlich nicht langweilig werden.

Ein starkes Team

Katja Tersch ist seit 2013 leitende Beamtin beim LKA Tirol und war bisher Stellvertreterin von Walter Pupp

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 5/20

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Emma Braun

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