Katalonien sorgt für Verwirrung

Regionalpräsident Puigdemont verkündet Unabhängigkeit und setzt sie für Dialog aus

Der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont hat am Dienstagabend eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, sie dann aber gleich wieder ausgesetzt. Die spanische Regierung hat die Regionalregierung in Barcelona aufgefordert, formal klarzustellen, ob sie die Unabhängigkeit der Region erklärt hat oder nicht.

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Die Antwort darauf sei die Grundlage für eine Entscheidung, ob Maßnahmen unter Verfassungsartikel 155 ergriffen würden, so Rajoy. Artikel 155 ermöglicht den Entzug der Autonomierechte der nordspanischen Region durch die Zentralregierung. Dadurch könnte die Regionalregierung von Carles Puigdemont entmachtet werden.

"Wir gründen die katalanische Republik, als unabhängigen und souveränen Staat", heißt es in der Erklärung, die von Puigdemont und mehreren Abgeordneten unterschrieben wurde. Darin wird auch die internationale Gemeinschaft aufgerufen, Katalonien als souveräne Republik anzuerkennen. Puigdemont hatte zuvor vor dem Regionalparlament unter Berufung auf die Ergebnisse des umstrittenen Referendums vom 1. Oktober, bei dem sich 90 Prozent in Katalonien für eine Trennung ausgesprochen hatten, das Recht der Region auf Ausrufung der Unabhängigkeit beansprucht.

"Symbolischen Unabhängigkeitserklärung"

Ein Sprecher der katalanischen Regionalregierung sprach von einer "symbolischen Unabhängigkeitserklärung" sowie einer "Absichtserklärung". "Der Ball liegt nun bei (dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano) Rajoy. Man hat uns darum gebeten, auf die Bremse zu treten, und das haben wir getan", sagte der Sprecher. Man wolle Dialog und habe Vermittlungsangebote "von Organisationen und Ländern" erhalten, hieß es. Unter anderem war in den vergangenen Tagen über eine Vermittlung durch die Schweiz spekuliert worden.

Die spanische Regierung wies Puigdemonts Erklärung umgehend zurück. "Es ist nicht zulässig, implizit die Unabhängigkeit zu erklären und diese dann explizit auszusetzen", erklärte ein Regierungssprecher in Madrid. Ministerpräsident Mariano Rajoy berief für Mittwochvormittag (09.00 Uhr) eine Dringlichkeitssitzung des Kabinetts ein, wie die stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Saenz de Santamaría am Abend in Madrid bekanntgab. Bei dem Treffen soll demnach über die Reaktion Madrids auf Puigdemonts Aussagen beraten werden.

»Es ist nicht zulässig, implizit die Unabhängigkeit zu erklären und diese dann explizit auszusetzen«

Puigdemont wisse offensichtlich nicht, "wo er steht, wohin er geht und mit wem er gehen will", sagte die Vize-Ministerpräsidentin. Rajoys konservative Regierungspartei Partido Popular (PP) kritisierte das Vorgehen Puigdemonts im Kurzbotschaftendienst Twitter als "Anschlag auf den gesunden Menschenverstand". Der Chef der Sozialisten in Katalonien, Miquel Iceta, kritisierte: "Man kann keine Erklärung aussetzen, die man gar nicht abgegeben hat".

»Das ist ein Witz, wir rätseln alle, was das zu bedeuten hat«

Ähnlich äußerten sich Kommentatoren. "Das ist ein Witz, wir rätseln alle, was das zu bedeuten hat", sagte Joaguin Luna von der Zeitung "La Vanguardia". "Alles hängt jetzt davon ab, ob die Regierung in Madrid davon ausgeht, dass Puigdemont die Unabhängigkeit erklärt hat oder nicht", sagte Luna. Sollte die spanische Regierung zu diesem Schluss kommen, wurde eine harte Reaktion erwartet. Die Regionalregierung könnte abgesetzt und Katalonien unter direkte Verwaltung Madrids geraten.

Bei den schätzungsweise rund 10.000 Abspaltungsbefürwortern, die sich vor der Rede unweit des Regionalparlaments im Zentrum Barcelonas versammelt hatten, löste die beabsichtigte Unabhängigkeitserklärung zunächst lauten Jubel, die Aussetzung ihrer Ausrufung aber sofort ein Pfeifkonzert aus. Ein Dialog sei wohl unvermeidlich, aber an dessen Ende müsse die Unabhängigkeit stehen, sagten viele Bürger. Andere würden sich auch mit einer Wiederholung des von Madrid mit Polizeigewalt bekämpften Referendums zufrieden geben.

Merkel ruft zu Besonnenheit auf

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel rief angesichts der Spannungen in Spanien zur Besonnenheit auf. "Jede Eskalation muss vermieden werden", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Mittwoch). Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, er sehe keine Vermittlerrolle für Europa in dem Konflikt. Damit würde man nämlich Puigdemont und Rajoy als gleichwertig einstufen, argumentierte er. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ließ Gerüchte über mögliche Gespräche mit Katalonien dementieren. Dies sei "FAKE NEWS", schrieb Junckers Sprecherin Mina Andreeva. EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte an Puigdemont, sich nicht von Spanien loszusagen.

In seiner Rede von dem Parlament kritisierte Puigdemont Madrid mit scharfen Tönen. Die Zentralregierung habe jeden Versuch des Dialogs abgelehnt: "Die Antwort war immer eine radikale und absolute Weigerung, kombiniert mit einer Verfolgung der katalanischen Institutionen", sagte der 54-jährige liberale Politiker. An alle Spanier gerichtet fügte er hinzu: "Wir sind keine Verbrecher, keine Verrückten, keine Putschisten."

Bei einem von der spanischen Zentralregierung und Justiz als rechtswidrig eingestuften Referendum hatten sich am 1. Oktober 90 Prozent der Teilnehmer für eine Unabhängigkeit Kataloniens ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag allerdings bei lediglich 43 Prozent, viele Gegner einer Unabhängigkeit boykottierten die Abstimmung. Die Zentralregierung will eine Abspaltung der Region im Nordosten Spaniens um jeden Preis verhindern. Sie lehnt sowohl eine Unabhängigkeit Kataloniens als auch eine Vermittlung in dem Streit mit Barcelona kategorisch ab.

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