"Menschlichkeit
bleibt auf der Strecke"

Die türkis-blaue Regierung sei für die Demokratie "gesünder" als eine große Koalition, sagt der Schauspieler Josef Hader. Im Interview analysiert er die FPÖ und die SPÖ, die in der Opposition wie ein schlechter Kabarettist agiere

von Politik - "Menschlichkeit
bleibt auf der Strecke" © Bild: News Roland Ferrigato

Trotz Landbauer legte die FPÖ Stimmen bei der Wahl zu. Nimmt man Antisemitismus in Österreich zu leicht?
Der FPÖ sind bis zu 24 Prozent prophezeit worden, jetzt sind es 14 geworden. Bei den Nationalratswahlen hatten sie 26, sie sind praktisch halbiert. Antisemitismus ist kein Wahlkampfmotor mehr in Österreich, das war früher anders. Man könnte das auch als kleinen Fortschritt sehen. Man sieht eh so wenig Fortschritte, also muss man sich an die kleinen klammern.

Man dachte, der Nationalsozialismus würde mit einer älteren Generation aussterben. Und jetzt?
Wahrscheinlich lernt der Mensch nichts aus der Geschichte. Zumindest schaut es so aus. Jetzt sind wir seit Tausenden Jahren die erste Generation von Menschen, die wirklich gut informiert ist, was für Blödheiten schon passiert sind in der Weltgeschichte, und trotzdem reden politische Führer von einem Atomkrieg als reale Option. Es ist ziemlich deprimierend.

Im Film "Arthur &Claire" spielen Sie einen Mann, der sich aus Angst vor dem Krebstod das Leben nehmen will. Ist das eine Warnung vor der Aufhebung des Rauchverbots in Lokalen?
Nein! Filme brauchen keine Botschaften. Nur Botschafter brauchen Botschaften. Die Aufhebung des Rauchverbots kostet die Regierung sicher ein paar Prozentpunkte. Das war ein Geschenk an die FPÖ, weil sie bei den großen Themen so brav war in den Koalitionsverhandlungen. Dafür hat ihnen der Kurz ein paar kleinere Spielzeuge geschenkt, damit sie sich beschäftigen und nicht gleich merken, dass sie da insgesamt was unterschrieben haben, was vielen ihrer Wähler nicht gefallen wird.

»Diese Regierung wird von einer Mehrheit der Wähler gewollt. Die können sich anschauen, ob ihre Hoffnungen erfüllt werden«

Im Jänner demonstrierten Zehntausende gegen die schwarz-blaue Regierung, aber im Jahr 2000 waren es viel mehr, und das regelmäßig. Was ist da passiert?
Ich finde die Zehntausenden, die am 13. Jänner auf der Straße waren, nicht wenig. Der große Unterschied ist, dass vor 18 Jahren ein Politiker angekündigt hatte, in Opposition zu gehen, wenn er Dritter wird. Dann wurde er plötzlich Bundeskanzler. Da war eine so unverfrorene Machtpolitik, dass die Empörung dementsprechend war. Jetzt muss man aber sagen, dass diese Regierung von einer Mehrheit der Wähler gewollt wird. Die können sich jetzt anschauen, ob sich ihre Hoffnungen erfüllen. Und auf der anderen Seite kann sich eine kräftige Opposition entwickeln. Es herrscht wieder freier Wettbewerb der Ideen zwischen zwei Richtungen. Das ist langfristig für die Demokratie gesünder als noch fünf Jahre große Koalition. Und wir als Bürger können der Regierung auf die Finger schauen und protestieren, wenn zum Beispiel die demokratischen Spielregeln verändert werden. Oder die Menschlichkeit noch mehr auf der Strecke bleibt, als es in der großen Koalition eh schon passiert ist.

So wie gegenüber Flüchtlingen. Sie treten doch gegen Abschiebungen ein?
Es gibt das humanitäre Bleiberecht, wo der Staat jenseits eines anerkannten oder nicht anerkannten Asylantrags entscheidet, dass jemand bleiben darf. Ich trete dafür ein, dass dieses humanitäre Bleiberecht angewendet werden soll, wenn sich Menschen jahrelang integriert haben. Das hat menschliche Gründe, aber man kann auch wirtschaftlich argumentieren, weil man so mehr Leute überzeugt. Es werden Jugendliche in Lehrberufen abgeschoben, die wir gut brauchen können und die die Sprache der Länder, aus denen ihre Eltern gekommen sind, gar nicht sprechen. Die können nur Deutsch. Sie abzuschieben, ist unmenschlich und wirtschaftlich dumm gleichzeitig.

Wie sieht der Kabarettist Hader diese Regierung?
Ich finde als Kabarettist Innenpolitik nicht so spannend. Der Rechtspopulismus ist natürlich schon interessant, aber eher international. Denn der Verteilungskampf zwischen Arm und Reich auf der Welt ist praktisch entschieden, und zwar zugunsten der Reichen. Der Mittelstand zerbröselt. Das Versprechen der Nachkriegszeit, dass man von einem Job leben kann und die eigenen Kinder gut ausgebildet werden, gilt in den USA schon lange nicht mehr und bei uns auch immer weniger. Das erzeugt in vielen eine Wut. Der Rechtspopulismus bietet da eine einfache Lösung an, nämlich die Konzentration auf die eigene Nation. Währenddessen erklären uns Verschwörungstheorien möglichst einfach die Welt und nehmen damit teilweise die Plätze der alten Religionen ein. Es gibt keine gemeinsamen Fakten mehr, auf die sich alle einigen können. Alles sehr deprimierend. Aber fürs Kabarett spannend. Weil Satire schwieriger geworden ist. Es reicht nicht, sich auf die Bühne zu stellen und zu sagen, dass der Trump deppert ist.

»In der ÖVP will niemand eine Umgestaltung der demokratischen Institutionen«

Sind wir auf dem Weg zu einem nationalistischen Staat?
Wenn man darunter versteht, dass in Österreich die demokratischen Spielregeln geändert werden wie in Ungarn - das halte ich derzeit für wenig wahrscheinlich. Wenn man sieht, mit welchem Elefanten die FPÖ beim Thema Volksabstimmungen in die Koalitionsverhandlungen hineingegangen ist, und mit welcher Maus sie wieder herausgekommen ist, deutet das darauf hin, dass in der ÖVP derzeit niemand eine Umgestaltung der demokratischen Institutionen will.

Was halten Sie von Bundeskanzler Kurz?
Ich rede nie über einzelne Politiker. Deswegen hab ich vor vielen Jahren das klassische Kabarett aufgegeben, weil mir das so auf die Nerven gegangen ist. Also red ich lieber über die ÖVP. Sie hat sich mit Erfolg zu einer Art österreichischen CSU umgewandelt. Sie ermöglicht Leuten, die gegen Asylanten sind, dabei ein besseres Gewissen zu haben, als wenn sie FPÖ wählen. Ihre Argumentation in Flüchtlingsfragen ist von hoher katholischer Raffinesse. Aber irgendwann könnte der FPÖ auffallen, dass sie von Wahl zu Wahl laufend Stimmen an die türkisen Schwarzen verliert, dann wird's spannend. Beide Regierungsparteien können ja nicht mehr viele Wähler aus dem Oppositionslager dazugewinnen, sie können sich nur gegenseitig welche wegnehmen.

»Schlechte Kabarettisten erkennt man daran, dass sie keine Haltung haben«

Was erwarten Sie sich von der SPÖ der Opposition?
Die Oppositionsarbeit der SPÖ hat noch Luft nach oben. Schlechte Kabarettisten erkennt man daran, dass sie keine Haltung haben, sondern sich bei jeder Pointe immer dort positionieren, von wo aus sie am schönsten schießen können. So agiert die SPÖ derzeit auch.

Soll Kern wieder als Kanzlerkandidat antreten?
Ich bin ja nicht der Peter Filzmaier, dass ich so was fünf Jahre vorher wissen muss. Ich wünsch ihm jedenfalls ein wenig mehr Gelassenheit in den Fernsehdiskussionen.

Haben sich die Grünen selbst umgebracht, indem sie Peter Pilz nicht aufgestellt haben?
Das ist ein Henne-Ei-Problem. Man könnte ja auch sagen, der Peter Pilz hat die Grünen umgebracht, weil er nicht aufgestellt wurde.

Pilz wurde auch noch Opfer der Metoo-Debatte. Ist es richtig, jemandes Karriere zu beenden, weil er sich angeblich vor Jahren einmal Frauen gegenüber ungebührlich verhalten hat?
Da sollte man nichts durcheinanderbringen: die Opfer von Metoo sind in erster Linie Frauen und nicht Männer. Es passiert immer wieder Menschen in Österreich, dass sie unschuldig einer Straftat beschuldigt werden, vor Gericht müssen und dadurch im Beruf Nachteile haben. Das kann jeden von uns treffen. Dafür gibt es eine unabhängige Justiz, und die kann freisprechen. Oder auch nicht. Ich finde, vor dem Mitleid mit den Männern, die eventuell für ein paar Wochen falsch beschuldigt werden, sollte das Mitleid mit den Frauen kommen, die jahrzehntelang von Männern ungestraft belästigt oder vergewaltigt werden konnten. Eigentlich Jahrhunderte.

Sorgen Sie sich um Österreich?
Nein. Ich sorg' mich um Menschen. Sich um Staaten zu sorgen, bringt nix.

Zur Person: Josef Hader wurde 1962 in Oberösterreich geboren. Das Lehramtsstudium gab er zugunsten des Kabaretts auf, als er 1985 mit dem renommierten "Salzburger Stier" ausgezeichnet wurde. In Miguel Alexandres Film "Arthur &Claire" stellt er einen Mann dar, der sich aus Angst vor dem Krebstod das Leben nehmen will. (Ab 16.2. im Kino)