Kann man überhaupt noch mit gutem Gewissen Fleisch essen?

Mehr und mehr Menschen fragen sich: Kann, ja darf man eigentlich noch mit gutem Gewissen Fleisch essen? Es geht nicht darum, mit der Moralkeule zu kommen und mit dem Zeigefinger andere bevormunden zu wollen. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen, so Eva Rosenberg, Direktorin bei Vier Pfoten.

von Gastkommentar - Kann man überhaupt noch mit gutem Gewissen Fleisch essen? © Bild: Shutterstock/Africa Studio
Eva Rosenberg ist Direktorin von VIER PFOTEN Österreich. Die 36-Jährige war lange Jahre im Europäischen Parlament mit den Schwerpunkten Außenpolitik, Transparenz und Menschenrechte tätig. Vor ihrer politischen Karriere war die Niederösterreicherin, die Publizistik und Politikwissenschaften an der Universität Wien studiert hatte, bei Kommunikationsagenturen tätig.

Noch nie ist uns so deutlich vor Augen geführt worden, wie viele negativen Konsequenzen der Konsum von Fleisch, vor allem von billigem Fleisch, haben kann. Ja, wir haben alle immer irgendwie gewusst, dass Tiere in der Intensivtierhaltung schlecht gehalten werden. Aber so genau wollen wir es dann doch wieder nicht wissen. Eine klassische kognitive Dissonanz, so der Fachbegriff dafür: Man verhält sich genau konträr zu seinen eigenen Wertvorstellungen. Denn natürlich will niemand, der bei Sinnen ist, dass Tiere gequält werden. Aber dann schmeckt es natürlich doch wieder zu gut, der Partner isst es halt gerne, und das Fleisch aus bester Tierhaltung ist außerdem wieder drei Mal so teuer, das Angebot im Supermarkt verlockend, im Restaurant fragen wir natürlich auch nicht weiter nach, woher das Schnitzel kommt, unangenehmer Gast bei der Grillfeier von Freunden will man auch nicht sein ... und schon verdrängen wir aufs Neue, dass wir eigentlich Tierqual unterstützen.

»In den Schlachthöfen wird im engsten Takt getötet, bei eisigen Temperaturen«

Mit den aktuellen Coronafällen in den Schlachthöfen, auch in österreichischen, klappt das mit dem Verdrängen aber derzeit wieder schlechter. Denn zusätzlich zum Tierleid gibt es ein weiteres Argument gegen Fleisch, nämlich die menschenverachtenden Bedingungen für Arbeiter in der Fleischindustrie. Ja, natürlich ist es in Österreich nicht so schlimm wie in Deutschland. Aber auch hierzulande tut sich kaum ein Österreicher diesen Job an: In den Schlachthöfen wird im engsten Takt getötet, bei eisigen Temperaturen. Es ist eine Arbeit, die großteils von Migranten durchgeführt wird und deren Entlohnung in keinem Verhältnis zu den Strapazen steht. Nicht umsonst fällt in diesem Zusammenhang immer wieder das Wort "Ausbeutung". Mehr und mehr Menschen fragen sich deshalb: Kann, ja darf man eigentlich noch mit gutem Gewissen Fleisch essen?

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Denn auch die Auswirkungen auf die Umwelt, die eine industrielle Produktion von Fleisch anrichtet, sind verheerend, wenn wir nur an die Zerstörung der Biodiversität, Wasservernichtung und Grundwasserverschmutzung denken. Wussten Sie, dass die Produktion von einem Kilo konventionellen Rindfleischs 15.000 Liter Wasser erfordert? Es ist ein Wahnsinn, der uns allen über kurz oder lang die Lebensgrundlage wegnimmt.

»Wo ist die Grenze zur Ausbeutung?«

Der Stress für die Tiere ist sowieso in jedem industriellen Schlachthof, egal ob in Deutschland oder Österreich, derselbe. Tiere als fühlende Lebewesen werden so systematisch misshandelt, dass kaum jemand, der nicht vollkommen verroht ist, es schafft, dabei zuzusehen. Aber selbst wenn Tiere vor dem Töten nicht gequält werden oder gar ein gutes Leben hatten: Aus Tierschutzsicht ist es selbstverständlich die beste Lösung, auf Fleisch und am besten auf alle tierischen Produkte zu verzichten. Denn über allem steht natürlich auch immer die Frage: Haben wir Menschen überhaupt das Recht, die Tiere zu nutzen (und wo ist dann die Grenze zur Ausbeutung?), geschweige denn sie zu töten?

Im Einklang mit unserer Vision einer Welt, in der Menschen Tiere mit Respekt, Empathie und Verständnis behandeln, ist es selbstverständlich nur konsequent, dass VIER PFOTEN eine fleischlose Kost als anzustrebende ideale Ernährung ansieht. Wir freuen uns über jeden Menschen, der sich dazu entscheidet, auf Fleisch oder sogar generell auf tierische Produkte zu verzichten.

Wir sind uns aber gleichzeitig bewusst, dass es utopisch ist, dass in absehbarer Zeit alle Menschen auf eine vegetarische Lebensweise umsteigen. Im Gegenteil: Leider sagen viele Prognosen voraus, dass sich der weltweite Fleischkonsum langfristig deutlich steigern wird und damit auch die Anzahl der gehaltenen Nutztiere.

Schlachthöfe: Wo Tiere gut leben und angstfrei sterben dürfen

Aber dennoch kann jeder, der nicht völlig auf Fleisch verzichten möchte oder es schlicht und einfach nicht schafft, sehr wohl seinen Beitrag leisten. Ganz besonders geeignet im Sinne einer tierfreundlicheren Ernährung ist das Prinzip der 3R: Reduce, Refine, Replace. Es ist ein Konzept, das jeder von uns verinnerlichen und im Alltag anwenden kann. Das heißt:

  • Reduce: Den Konsum von Tierprodukten wie Fleisch, Milch und Eier reduzieren
  • Refine: Beim Kauf von Tierprodukten auf tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft achten. Informieren Sie sich über die Bedeutung von Labels und Zutaten. Je mehr Sie über das Produkt wissen, woraus es besteht und woher es kommt, umso einfacher ist es für Sie, tierfreundliche Entscheidungen beim Einkaufen zu treffen.
  • Replace: Immer wieder mal tierische Lebensmittel durch pflanzliche Alternativen ersetzen. Das ist in den letzten Jahren wirklich viel einfacher geworden!

Es geht nicht darum, mit der Moralkeule zu kommen und mit dem Zeigefinger andere bevormunden zu wollen. Worum es uns von VIER PFOTEN aber sehr wohl geht, ist, uns für die Tiere einzusetzen, die tagtäglich unter unserem Konsum leiden müssen. Die Öffentlichkeit über Missstände zu informieren. Die Landwirte zu unterstützen, die aus dem System der industrialisierten Massentierhaltung aussteigen und stattdessen das Tierwohl in den Mittelpunkt stellen wollen. Kurz: uns für eine ethische und verantwortungsvolle Lebensweise stark zu machen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Kommentare

Das Ausbeuten von Arbeitern hat nichts mit dem Fleischkosum zu tun.
Das ist Politisch akzeptiert und somit ändert sich nichts. Wenn man wollte wäre das sehr leicht zu ändern.

Hätte Gott gewollt, dass wir nur Grünfutter zu uns nehmen, hätte er uns 4 Mägen - wie den Kühen - gegeben!

Natürlich will die Schreiberin uns ein schlechtes Gewissen einreden. Deswegen werde ich aber kein Pflanzenfresser, der den Tieren das Futter wegisst. "4Pfoten" sollte sich lieber auf 4 Pfoten beschränken: Hunde, Katzen, Löwen, Tiger, u.ä.. Die mag ich auch nicht essen, dafür aber Kaninchen, Rotwild, Rindviecherl, Schweine, Ziegen, Schafe. So, jetzt erwärmt sich langsam der Rest vom Fiakergulasch.

Vielen unserer heimischen Bauern wurde durch (EU-)Auflagen (die für einen österreichischen Durchschnittsbetrieb einfach nicht finanzierbar waren) die Hausschlachtung unmöglich gemacht. Damit fiel der Direktkauf beim Landwirt des Vertrauens flach. Mit diesen Maßnahmen wurden nur die Großbetriebe und Massenfleischverarbeiter gefördert. Wo war da der Aufschrei von Vier Pfoten & Co???

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