Wie steht es um die Zukunft
der Europäischen Union?

Vielleicht kann Corona den Europäern dabei helfen zu erkennen, dass Nationalismen, die immer stärker um sich greifen, nicht nur nichts bringen, sondern auch unsere Position nach innen und nach außen schwächen. Ein Gastkommentar von Franz Fischler.

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Gastkommentar - Wie steht es um die Zukunft
der Europäischen Union?
Franz Fischler war Landwirtschaftsminister (1989-1994) und dann Österreichs erster EU-Kommissar (1995-2004). Seit 2012 ist er Präsident des Europäischen Forums Alpbach.

"Wie steht es um die Zukunft der Europäischen Union?" Diese Frage wird gestellt, seit es die EU gibt. Aufgrund der aktuellen Lage ist es jedoch mehr als gerechtfertigt, diese Frage genau jetzt neu zu stellen.

Einerseits, weil wir sicher sein können, dass die Coronakrise tiefe Furchen in der EU hinterlassen wird, welche genau ist noch unklar. Andererseits sind die riesigen, großteils globalen Probleme, die wir schon Jahre vor uns herschieben, durch Corona noch drängender geworden: Die Dekarbonisierung, die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz, die Migration, die Überalterung, die Zunahme der Ungleichheit. Und schließlich wäre man ein Illusionist, wenn man glauben wollte, dass jetzt der Trend zum Nationalismus und Populismus oder der Ruf nach „den Frugalen“ weniger laut geworden wäre.

Ivan Krastev macht uns in seinem kürzlich erschienen Büchlein: „Ist heute schon morgen?“ darauf aufmerksam, dass die Lage zurzeit voller Paradoxien steckt und das ist allein schon Grund genug dafür, mit Einschätzungen der Zukunft der EU vorsichtig zu sein. Soviel kann man sagen: Die Zukunft der EU ist offen!

Insgesamt hat Krastev die folgenden sieben Paradoxien identifiziert, die es wert sind hier genannt zu werden, um auch die Schwierigkeiten zu zeigen, die sich auftun, wenn man daran geht mögliche Entwicklungspfade der EU zu zeichnen.

  1. Covid 19 legt einerseits die dunkle Seite der Globalisierung – die Folgen der gewachsenen Mobilität, das Ausmaß der internationalen Arbeitsteilung offen, ist aber andererseits selbst ein „Agent der Globalisierung“, weil es „uns in einer Art zusammengebracht hat wie kein anderes Virus zuvor. Eine Zeit lang lebten wir in einer gemeinsamen Welt.“
  2. Die Krise hat den Trend zur Deglobalisierung beschleunigt, aber gleichzeitig die Grenzen der Renationalisierung aufgezeigt. Die Staaten werden nicht mehr dulden bei der Frage nach lebensnotwendigen Versorgungsgütern, insbesondere Medikamenten, ausschließlich vom Ausland abhängig zu sein. Gleichzeitig ist klar geworden, dass eine wirksame und endgültige Bekämpfung des Virus nur gemeinsam möglich ist.
    „Eine Pandemie“ – so Krastev -„ ist eine Krise, die der Menschheit erlaubt, ihre gegenseitige Abhängigkeit und ihre Zusammengehörigkeit zu erfahren“.
  3. Die Angst vor dem Virus hat zumindest am Anfang einen Zustand nationaler Einheit hervorgerufen, doch mit der Zeit wird die Pandemie die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Spaltungen verstärken.
  4. Zumindest in Europa – denkt Krastev – hat Covid 19 „der Demokratie eine Auszeit beschert“ es wurde in vielen Staaten der Ausnahmezustand ausgerufen, aber dadurch wurde zugleich die Sehnsucht der Menschen nach einer autoritären Regierung in Grenzen gehalten. „Die Tatsache, dass Bürgerrechte und Freiheiten auf Eis gelegt werden, wird eher zu einer Ablehnung als zu einer Befürwortung des Autoritarismus führen,“ meint Krastev.
  5. „Obwohl die EU in der ersten Phase der Krise auffällig abgetaucht war, könnte die Pandemie für die Zukunft der Union wichtiger werden als alles andere in ihrer Geschichte, weil sie, wenn sie sich nicht auf ihre Rolle besinnt, Gefahr läuft, dass sie in die Bedeutungslosigkeit abgleitet.
  6. Das Virus hat zwar die Krisen, mit denen sich Europa in den letzten Jahren herumschlug, nämlich den Terrorismus, die Flüchtlingskrise und die globale Finanzkrise wieder zurückgebracht, aber es hat auch „die politischen Ereignisse jener Krisen revidiert.“ Auf einmal ist es sehr wohl möglich Schulden zu vergemeinschaften, die Budgetdisziplin zu lockern, Grenzen zu schließen und einen Teil der Privatsphäre für größere Sicherheit aufzugeben.
  7. „Obwohl die EU sich als letzte Verteidigerin von Offenheit und Interdependenz sieht, denkt Krastev, könnte „ der Druck der Deglobalisierung die Europäer womöglich dazu bringen, noch mehr gemeinsame Strategien zu verfolgen und sogar einige Notstandsvollmachten auf Brüssel zu übertragen.“

Man sieht es ist ein Wagnis die Zukunft der EU einzuschätzen, aber einen Versuch ist es allemal wert.

Bei aller Kritik, die man an einzelnen Punkten der kürzlich erfolgten Einigung über die Budgetplanung der nächsten 7 Jahre und am Wiederaufbauplan nach Corona anbringen mag, eines ist jedenfalls offenbar geworden, nämlich, dass man trotz aller Gegensätze und Nationalismen dennoch nach wie vor in der Lage ist, gemeinsam auch große Pakete zu schnüren und auch ungeschriebene Dogmen hinter sich zu lassen. Das ist bei der Bereitschaft europäische Steuern und Abgaben einzuführen und damit die EU vom Tropf der nationalen Beiträge abzunabeln und finanziell unabhängiger zu machen und beim Brechen des bisherigen Tabus des Verbotes einer teilweisen Kreditfinanzierung tatsächlich der Fall. - Ein Zerfall der Union sieht anders aus.

Allerdings, die These der „ever closer union“ kann man vergessen und noch mehr die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“. Nicht nur wegen des Brexit, wobei schon Churchill entgegen manch anderer Behauptung gegen eine Mitgliedschaft des UK in einem „USE – Bündnis“ war, sondern auch, weil gar nicht wenige europäische Staaten es ablehnen der EU beizutreten oder noch auf lange Zeit die Aufnahmebedingungen nicht erfüllen werden. Die EU muss sich daher viel mehr um partielle und graduelle Integrationsformen bemühen.
Naheliegend wäre hier, die europäische Integration von Forschung und Entwicklung oder europäische Lösungen in der leidigen Migrationsfrage oder auch in der Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere mit Afrika prioritär voranzutreiben.

Ebenso wäre in den globalen Fragen mehr europäisches Leadership gefragt. Die Bereitschaft mehr Verantwortung nach außen zu übernehmen, könnte noch dazu mit einer Stärkung des Zusammenhaltes nach Innen einhergehen, denn nur dann, wenn dieser spürbar ist, sind Initiativen nach außen auch erfolgversprechend.

Wenig Sorge muss man sich um die Zukunft des Euro machen, vor allem dann nicht, wenn man einige Geburtsfehler des Euro korrigiert. Das größte Problem besteht nach wie vor darin, dass es im Gegensatz zu den USA in der EU keine einheitliche Anleihenpolitik mit festen Zinsen gibt. Das erlaubt es der internationalen Finanzspekulation gegen einzelne wirtschaftlich schwächere Mitgliedsstaaten zu spekulieren oder diese aus dem Euro herauszuschießen. Die derzeitigen niedrigen Zinsen würden es nahelegen zu den, im letzten Gipfel beschlossenen Entscheidungen den Schritt in Richtung Eurobonds zu wagen und sich nicht allein auf den Schutzschirm, der übrigens auch viel Geld kostet, zu verlassen.

Die alles entscheidenden Fragen für eine erfolgreiche Zukunft der EU sind jedoch nach wie vor, wie viel Innovations- und Transformationskraft die EU entwickeln kann und die Frage nach dem inneren Zusammenhalt. Nur eine innovative EU kann gegenüber den anderen großen Playern, wie v.a. den Chinesen, wettbewerbsfähig sein und wenn wir unser Wirtschaftssystem rasch genug dekarbonisieren und nachhaltig machen, dann werden die dafür notwendigen neuen Technologien der Energiegewinnung, des Transports, des Wohnens, etc. ebenfalls einen enormen Beitrag zu unserer internationalen ökonomischen Topposition beitragen. Ganz abgesehen davon, hat Corona gezeigt, dass ein Überdenken unserer Globalisierungsstrategie zumindest bei lebensnotwendigen Gütern erforderlich ist.

Vielleicht kann Corona den Europäern dabei helfen zu erkennen, dass Nationalismen, die immer stärker um sich greifen, nicht nur nichts bringen, sondern auch unsere Position nach innen und nach außen schwächen. Ob wir diese Erkenntnis durchsetzen können, hängt ganz wesentlich von unserem politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Führungspersonal ab, bzw. davon, ob dieses genügend Leadership entwickelt. Hier muss es heißen: Heraus aus den Silos und neue Formen des miteinander Entscheidens entwickeln. Denn auf den Wunderwuzzi zu warten, der alles richten wird, ist „Warten auf Godot“.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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So kann nur einer reden, der fettes Gehalt bezieht und den Sinn nicht versteht! Die EU ist der Tod Europas dank Merkel und CO. Mit Öffnen der Grenzen werden wir von Ausländern und Flüchtlingen überschwemmt! Kriminalität ohne Ende! Milliarden Gelder werden an marode Staaten verschwendet, die weiterhin nichts leisten!Ein Haufen verantwortungsloser, unfähiger Politiker, die einen Kontinent zerstört h

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