Die Folgen unserer
Facebook-Sucht

Warum sind wir so abhängig von sozialen Medien - und wie kommen wir da raus?

Schnell zum Handy greifen und mal kurz Facebook checken. Wer kennt bzw. macht das nicht? Doch was als lustiger Zeitvertreib begann, wurde inzwischen für viele Menschen zur Sucht. Der Grund: Die Angst etwas zu verpassen, kurz #fomo (fear of missing out). Doch welche Folgen hat diese Abhängigkeit? Wie kann man wieder zurück zur Normalität finden? Und warum ist es uns meist so egal? Antworten darauf versucht uns Manfred Poser zu geben.

von Handy-Sucht © Bild: iStockphoto

FOMO (Fear of missing out) bezeichnet ein sich immer weiter und schneller verbreitendes Syndrom: Die Angst, in der digital überfrachteten Gesellschaft irgendeine Nachricht zu verpassen. Die sozialen Medien und ihre Wirkmechanismen werden übermächtig. Der Einzelne kann sich ihren Zwängen nicht mehr entziehen. Journalist und Universitätsmitarbeiter Manfred Poser hat sich in seinem neuen Buch "#fomo - Die Angst etwas zu verpassen" intensiv mit den erschreckenden Erscheinungen dieser gesellschaftlichen Entwicklung befasst. News.at hat ihn dazu befragt.

Interessant zu diesem Thema: Wie lebt es sich ohne Social Media? Der Selbstversuch unseres Redakteurs.

Am Tag schaut der User im Durchschnitt 75 Mal auf sein Smartphone, die Spitzen liegen bei 150 Abrufen: Eine Sucht. Wie konnte es so weit kommen?
Manfred Poser: Dieses Schlüsselwort „fomo“ ist vielleicht der Grund dafür, also die Angst etwas zu verpassen. Da geht es nicht darum, ein konkretes Ereignis zu verpassen, sondern man möchte nichts verpassen. Dahinter steckt natürlich der Wunsch, dazuzugehören, in der Clique gut dazustehen. Durch diese sozialen Medien hat man die Möglichkeit, zu vergleichen und das geschieht auch, da entsteht ein gewisser Neid, der andere könnte sein Leben mehr genießen als ich. Das alles schafft so einen Druck, dass die Leute denken, sie müssen dabei sein und das führt wiederum zu Stress und der Angst, etwas falsch zu machen. Das kann man bewältigen aber es kann auch wirklich zu psychischen Problemen führen.

Zum Beispiel?
Viele sagen ja, dass sie durch ihr Smartphone unglücklicher geworden sind. Und natürlich ist dabei Einsamkeit auch ein Thema. Es gibt Menschen, die im Sommer im abgedunkelten Zimmer an ihrem Smartphone hängen und das führt zu Verunsicherung und Unbehagen, aber auch zu Depressionen oder zu Burnout.

»Alles was viel Zeit kostet, wird nicht mehr gemacht, daraus resultiert eine unkonzentrierte, kurzatmige Gesellschaft«

Alles was viel Zeit kostet, wie etwa ein Buch zu lesen, wird hingegen nicht mehr gemacht, daraus resultiert eine unkonzentrierte, kurzatmige Gesellschaft, die sich vom Jetzt abwendet und nur noch in diesen Medien lebt. Der menschliche Kontakt wird also reduziert und gleichzeitig gibt es diesen Konformitätsdruck, dem alle weichen und da existiert wirklich viel Angst. Wir dürfen das nicht unterschätzen, dass das in den nächsten Jahren schlimmer werden könnte oder dass Leute heranwachsen, die nur noch ihr Smartphone kennen und die gar nicht mehr wissen, wie man ein Gespräch führt.

Jugendliche sind natürlich stärker betroffen. Normalerweise legt sich die Angst, etwas zu verpassen mit dem Alter immer mehr. Kann man das auch in diesem Kontext feststellen?
Ja, ich glaube schon, dass das besser wird. Man wird gelassener. Aber gerade die Jungen muss man schützen.

Wie?
„Switch off“ zum Beispiel, also mal das Smartphone weglegen. Ich habe erst gelesen, dass sich viele junge Amerikaner von Facebook ein paar Wochen lang abgemeldet haben. Vielleicht gibt es ja eine Bewegung, dass die selber merken, dass es ihnen nicht gut tut. Später wird das sicher besser.

»Wenn die Eltern sich da solidarisch zeigen würden, wäre das sicher ein guter Schritt.«

Aber wie könnte man bei den Jugendlichen eingreifen?
Man könnte in den Schulen Spiele machen, eine Woche ohne Smartphone oder so etwas und die Eltern müssten da natürlich drauf schauen, was aber schwierig ist, wenn alle so ein Gerät haben. Aber wenn die Eltern sich da solidarisch zeigen würden, wäre das sicher ein guter Schritt.

Meist sind die Eltern doch auch in ihr Handy vertieft…
Genau. Das ist auch schauerlich. Das ist doch irgendwie so wie die Kirche früher die Menschen beeinflusst hat, in ihre Seelen eingedrungen ist, so ist auch die Konsumwelt inzwischen bei uns eingedrungen und macht Druck. Und wir wehren uns nicht.

Studien belegen, dass soziale Medien eher unglücklich machen. Aber machen sie in irgendeiner Form auch glücklich - sonst würden es ja nicht alle tun?
Der Grundgedanke war ja sicher gut, nur der Mensch übertreibt immer und dann tauchen Ängste auf und diese Ängste überrollen dann alles. Alles was man zuviel nutzt, macht einen unglücklich, das ist dann Sucht.

»Wir sind immer nur da draußen irgendwo, es fehlt die Ruhe, um über uns selbst nachzudenken«

Sie schreiben zum Thema Filterblasen: „Das kostbare Wissen zu verpassen, ist die wahre Tragik, die aber keinen Menschen interessiert.“ Warum ist das den meisten Menschen so egal, wenn sie nur die für sie zugeschnittenen Nachrichten präsentiert bekommen?
Weil die meisten zum passiven Konsumenten herangebildet worden sind. Es gibt natürlich viele spannende, lustige Sachen von denen man nichts erfährt, aber man hat ja ohnehin schon viel zu viel. Da müsste man bewusst suchen – und dazu müsste man wissen, was einen interessiert. Das heißt, eigentlich brauchen wir mehr Selbstbespiegelung, dass wir über uns nachdenken. Wir sind immer nur da draußen irgendwo, es fehlt die Ruhe, um über uns selbst nachzudenken, zu überlegen: Was will ich eigentlich? Das ist alles zu viel, aber diese Einsicht, dass es nichts bringt, zu 20 Veranstaltungen in der Woche zu laufen, muss erst kommen.

Man kann diese ganzen Technologien ja nicht wieder un-erfunden machen und die Zeit zurückdrehen. Aber wie kann man trotzdem wieder einigermaßen "normal" leben?
Ich denke, das einzige, was man machen kann, ist, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, viel darüber nachzudenken. Zu sehen, wie schön es ist, mit Leuten zu reden. Aber das kann nur jeder einzelne für sich tun. Auch in den Schulen könnte man eben viel machen. Wir dürfen einfach nicht alles wiederholen, bzw. wie Coach Monika Schmiderer schreibt: Wie können wir uns unser Leben wieder holen statt es zu wiederholen?

»Ich sehe schon eher eine kalte Welt vor mir. «

Wenn das aber nicht gelingt, wo führt das in Zukunft Ihrer Meinung nach noch hin?
Der Weg geht natürlich zu mehr Automatisierung. Ich sehe schon eher eine kalte Welt vor mir. Und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Werte, auf denen unsere Zivilisation beruht, diese Wärme und diese einfachen Kontakte, nicht verloren gehen. Ich hoffe, dass die Leute das einsehen, denn die Politiker reden ja von Digitalisierung weil das toll klingt, wenn man modern ist, aber wir müssen doch sehen, dass das nicht gut für uns ist.








Weitere Infos zum Thema Sucht nach sozialen Medien:

Forscher des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters zählen zu den Kriterien für Social-Media-Sucht (100.000 Teenager sollen in Deutschland betroffen sein) ein ständiges Denken an Freunde-Netzwerke oder Messenger-Dienste im Internet - selbst in der Schule und in der Lehre. Dazu kommen Entzugserscheinungen wie Gereiztheit, Unruhe oder Traurigkeit, wenn das Handy oder andere Empfangsgeräte nicht in der Nähe sind.

Unter Kontrollverlust verstehen die Wissenschafter, dass Teenager unfähig sind, ihre Zeit für soziale Medien selbst zu begrenzen. Auch ihr Verhalten kann sich ändern: Kinder und Jugendliche verlieren zum Beispiel das Interesse an Hobbys. Sie lügen über das Ausmaß ihrer Nutzung sozialer Medien und riskieren Freundschaften, Schulerfolg oder Karrierechancen für ihr Online-Dasein.

So viele Stunden verbringen Jugendliche in sozialen Medien:

Die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen (85 Prozent) ist laut der Studie jeden Tag insgesamt knapp drei Stunden in sozialen Medien unterwegs - Mädchen mit 182 Minuten etwas häufiger als Buben (151 Minuten). Maturanten verbringen etwas weniger Zeit online (149 Minuten) als Teenager mit mittlerem oder niedrigerem Schulabschluss (207 Minuten).

Der Selbsttest

Manfred Poser definiert in seinem Buch eine „FOMO-Skala“, also ein kleiner Test, wie stark man schon betroffen ist. Dabei sind folgende Fragen mit fünf Varianten zu beantworten:
„Trifft auf mich überhaupt nicht zu“ (1 Punkt),
„trifft auf mich etwas/ziemlich/sehr genau/absolut genau zu“ (2-5 Punkte).

Die Fragen:

  • Ich fürchte, andere machen wertvollere Erfahrungen als ich.
  • Ich fürchte, meine Freunde haben mehr wertvolle Erfahrungen als ich.
  • Es beunruhigt mich, wenn ich erfahre, dass meine Freunde ohne mich Spaß haben.
  • Ich werde ängstlich, wenn ich nicht weiß, was meine Freunde vorhaben.
  • Es ist wichtig, dass ich die Witze meiner Freunde verstehe.
  • Manchmal frage ich mich, ob ich nicht zu viel Zeit damit verbringe, herauszufinden, was gerade los ist.
  • Es ärgert mich, wenn ich eine Gelegenheit verpasse, meine Freunde zu treffen.
  • Wenn es mir gerade gutgeht, ist es für mich wichtig, Einzelheiten darüber online mitzuteilen (z.B. meinen Status upzudaten).
  • Wenn ich ein geplantes Treffen verpasse, ärgert mich das.
  • Auch wenn ich in Urlaub gehe, verfolge ich weiter, was meine Freunde so treiben.

Bei 30 Punkten und mehr leidet man „stark“ unter FoMO, bei 23-29 ist man „ mittelstark betroffen“, von 15-22 besteht ein FOMO-Risiko und von 0 bis 14 Punkte ist FOMO nicht wahrscheinlich.

Zum Autor: Manfred Poser, Jahrgang 1957, studierte in seiner Heimatstadt München Journalistik, war Nachrichtenredakteur bei der Deutschen Presseagentur, Mitarbeiter am „Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“ in Freiburg sowie freier Autor in Rom und St. Gallen. Er schrieb u.a. "Zeit und Bewusstsein: Warum Zeit eine Illusion ist", "Elektrosmog: Wie unsichtbare Energien unsere Gesundheit bedrohen" und "Der Placebo-Effekt: Wie die Seele den Körper heilt."