"Europa darf nicht zur Festung werden"

Warnt EU-Innenkommissar - Kurz hofft vor Gipfel auf noch stärkeren Fokus auf Grenzschutz

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos hat kurz vor dem EU-Gipfel davor gewarnt, Europa zur "Festung" zu machen. Die Europäische Union brauche eine europäische Lösung. "Schaffen wir das nicht, droht ein Rückfall", sagte der EU-Kommissar der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ist vor dem Gipfel zuversichtlich, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf Lösungen in der Migrationspolitik einigen. Der Streit um die Migrationspolitik könnte laut deutscher Kanzlerin Angela Merkel zur "Schicksalsfrage" Europas werden.

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Trotz eines deutlich besseren Schutzes der EU-Außengrenzen gegen illegale Migranten dürfe "Europa keine Festung" werden. Ein solcher Schritt würde die Gemeinschaft "isolieren", warnte der Grieche.

Merkel hat "genau das gemacht, was wir brauchen"

Avramopoulos verteidigte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen Kritik an der Öffnung der Grenzen 2015. Die deutsche Regierungschefin habe "genau das gemacht, was wir brauchen: Sie hat Solidarität gezeigt, sie hat entsprechend unseren Vereinbarungen über Humanität und Menschenwürde reagiert - und viele Bundesbürger, die den Ankommenden geholfen haben, auch."

Für Aufnahmezentren in Drittstaaten

Der EU-Kommissar warb ferner für Aufnahmezentren in Drittstaaten. "Es geht hier nicht um Gefängnisse wie Guantanamo", sagte er unter Anspielung auf das US-Gefangenenlager auf Kuba. Die geplanten Einrichtungen sollten es möglich machen, auf hoher See Gerettete zunächst zu versorgen, zu registrieren und dann die Schutzbedürftigen "direkt nach Europa" zu bringen. Die Zentren sollten "mit einem hohen Standard an Humanität und Menschenrechten" realisiert werden.

Griechenland will unterdessen Merkel im Asylstreit unterstützen. Ministerpräsident Alexis Tsipras sagte der "Financial Times", er sei offen für eine Sondervereinbarung mit Merkel. Dabei gehe um die Eindämmung des Problems, dass Flüchtlinge an den südlichen EU-Grenzen ankämen und sich dann weiter auf den Weg nach Deutschland machten. Griechenland werde solche Flüchtlinge zurücknehmen, wenn dies dabei helfe, Schleppern zu zeigen, dass Europa gegen illegale Einwanderung vorgehe.

Man müsse im Gefüge internationaler Regeln einen Weg zur Lastenverteilung finden, um von der ungerechten Lage für die Länder mit EU-Außengrenzen und auch für Deutschland wegzukommen, sagte Tsipras. "Es ist nicht fair, dass diese Menschen nach Deutschland gehen, wenn wir meinen, dass es ein europäisches Problem ist." Für Griechenland selbst werde eine solche Rücknahme keine gravierenden Folgen haben, sagte der Regierungschef. Schließlich gehe es hier lediglich um 50 bis 100 Menschen pro Monat.

Kurz vor Ringen um Migrationspolitik "optimistisch"

Österreichs Kanzler Kurz zeigte sich vor dem Gipfel "optimistisch": "Ich hoffe sehr, dass es gelingt, einen noch stärkeren Fokus auf den Schutz der Außengrenzen als gemeinsames Commitment als Output diese Gipfels zu haben. Da bin ich relativ optimistisch", sagte Kurz Mittwochabend in Brüssel.

"Systemwechsel im Mittelmeer"

Neben dem Außengrenzschutz gehe es beim Europäischen Rat vor allem um die Stärkung und den rascheren Ausbau von Frontex - "nämlich jetzt" - sowie um einen "Systemwechsel im Mittelmeer". Dort sollen Flüchtlinge künftig nach Libyen zurückgestellt und nicht mehr Hunderte Kilometer von NGOs nach Europa gebracht werden. Nur so könne man Schleppern und Menschenhändlern die Geschäftsgrundlage entziehen und das Sterben im Mittelmeer beenden.

Kurz hat keine völkerrechtlichen Bedenken

Völkerrechtliche Bedenken gegen die dafür ins Spiel gebrachten Flüchtlings- und Anlandezentren wies der österreichische Kanzler am Rande einer Veranstaltung der Industriellenvereinigung in Brüssel zurück. Menschen aus libyschen Hoheitsgewässern zu retten und nach Libyen zurückzubringen, verstoße gegen keine rechtlichen Standards. "Anlandezentren wären ein rechtskonformer und sinnvoller Weg", sagte Kurz.

Kein Kommentar zu Deutschland

Die innerdeutsche Flüchtlingsdebatte und den Druck der CSU auf die deutsche Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel wollte Kurz nicht kommentieren. Er möchte sich in innerdeutsche Angelegenheiten "nicht einmischen und hofft, dass es den Deutschen gelingt, eine einheitliche Position in der Regierung zu finden. Das wäre nicht nur für Deutschland, sondern auch für Nachbarstaaten wie Österreich und alle anderen EU-Partner gut." Kurz geht jedenfalls davon aus, dass Merkel auch nächste Woche noch deutsche Kanzlerin ist.

Zu bilateralen Gesprächen mit Merkel zum Thema Sekundärmigration ist Kurz grundsätzlich bereit, er bevorzugt aber eine europäische Lösung. "Wir müssen sicherstellen, dass das Weiterwinken, das Nichtregistrieren, das Nichtzurücknehmen von Dublin-Fällen nicht mehr stattfindet, sondern europäisches Recht gilt und eingehalten wird."

"Wir werden den Fokus verändern"

Dass Österreich am EU-Gipfel als kommendes EU-Vorsitzland die Einladung erhalten wird, sich des ungelösten und umstrittenen Themas Dublin-Reform und Flüchtlingsverteilung innerhalb Europas anzunehmen und einer Lösung zuzuführen, nimmt Kurz zur Kenntnis. "Die ungelösten Fragen werden natürlich weiterhin diskutiert werden, aber fokussieren wir auf Bereiche, wo eine Lösung greifbar ist und wo alle an einem Strang ziehen. Der Fokus auf die Verteilungsdebatte hat uns in den letzten Jahren nicht weitergebracht. Wir werden den Fokus verändern."

Merkel: Streit könnte zur "Schicksalsfrage" Europas werden

Der Streit um die Asylpolitik gefährdet nach Ansicht von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Zusammenhalt in der EU. Die Migration könnte zu einer "Schicksalsfrage für die Europäische Union werden", sagte die Kanzlerin am Donnerstag im Bundestag in einer Regierungserklärung vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) fehlte während Merkels Erklärung auf der Regierungsbank. Seehofer will im Juli anordnen, dass Asylbewerber, die in anderen EU-Staaten schon registriert wurden, an der deutschen Grenze abgewiesen werden. Auf diese Maßnahme zur Begrenzung der Zuwanderung will die CSU nur verzichten, falls Merkel beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag eine europäische Vereinbarung zur Asylpolitik erreicht, die unter dem Strich den gleichen Effekt hätte.

EU-Staaten noch nicht bereit zur Einigung

Merkel dämpfte jedoch die Erwartungen an das Gipfeltreffen. Sie sagte, die EU-Staaten seien noch nicht bereit, sich auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu einigen. In fünf von sieben Kernfragen zur Migrationspolitik herrsche zwar inzwischen weitgehend Einigkeit. Probleme gebe es aber noch bei der Einführung gleicher Standards bei der Bearbeitung von Asylanträgen und in der Frage der "solidarischen Verteilung von Migranten und Flüchtlingen".

Deshalb sei es sinnvoll, jetzt schon eine "Koalition der Willigen" zu bilden. Diese solle sicherstellen, dass sich der Schutzsuchende, "in Europa nicht das Land aussuchen" kann, in dem er seinen Asylantrag stellt. Sie schlägt vor, afrikanischen Staaten mehr Studienplätze und Arbeits-Visa anzubieten, damit nicht mehr so viele ihr Leben auf Schlepperbooten riskieren.

Entscheidung gerechtfertigt

Merkel rechtfertigte erneut ihre Entscheidung vom September 2015, Asylbewerber an der Grenze nicht zurückzuweisen. "Das halte ich im Rückblick auch nach wie vor für richtig", betonte sie. Sie habe damals auch nicht alleine gehandelt, wie manche behaupteten, sondern in Absprache mit den Regierungen von Ungarn und Österreich.

Gleichzeitig räumte die Kanzlerin Handlungsbedarf im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern ein. Sie verwies auf die Tötung der 14-jährigen Susanna aus Mainz sowie auf die Schwierigkeiten bei der Abschiebung eines mutmaßlichen Ex-Leibwächters von Al-Kaida-Anführer Osama bin Laden.

Merkel appellierte an die Ministerpräsidenten der Länder, sich in der Frage der geplanten Asyl- und Abschiebezentren nicht querzustellen. Die sogenannten Ankerzentren sind eine zentrale Forderung der CSU, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.

Kommentare

Henry Knuddi

naja man sollte alle fremden nicht reinlassen - auch keine zahlende gäste und schnorrer und jedes bundesland oder kanton mach grenzkontrolle - inländer durfen nicht mehr ausreisen, weils dann nimmer rein dürfen

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