Erdogan-Kritiker musste fliehen

Türkischer Chefredakteur Can Dündar offenbar aus Angst vor Morddrohungen im Exil

Er ist einer der prominentesten Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und einer der am meist verfolgten Journalisten des Landes. Sein Name: Can Dündar, Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung „Cumhuriyet“. News-Außenpolitikchef Christoph Lehermayr traf ihn noch im Juni in Istanbul. Einen Monat später, wenige Tage vor dem Putschversuch gegen Erdogan, tauchte Dündar ab. Nachdem er schon im Mai nur knapp einem Attentat entgangen war, hat sich die Bedrohungslage seither weiter zugespitzt. Seinen Kollegen bei der Zeitung schrieb er in einer internen Mitteilung, dass das vergangene Jahr einen Tribut gefordert hat: „Während meine journalistische Leidenschaft und meine Entschlossenheit zu berichten, keine Spur nachgelassen haben, spüre ich, dass ich physisch und geistig müde bin.“ Kurz danach flog Dündar ins Exil und hält sich seither an einem unbekannten Ort auf.

von Fakten - Erdogan-Kritiker musste fliehen © Bild: Ricardo Herrgott/News

Seit dem gescheiterten Militärputsch verschärft sich das politische Klima in der Türkei von Tag zu Tag. 60.000 Menschen, von Richtern über Beamte bis hin zu Polizisten und Lehrern, wurden vom Dienst suspendiert und zum Teil verhaftet. Längst kursieren auch Listen, auf denen die Namen unliebsamer Journalisten auftauchen, die verhaftet werden sollen. Auch der Name Can Dündar findet sich auf einer davon. Auf den gescheiterten Putschversuch folgt der Gegenputsch. „Erdogan nützt das ihm gemachte ‚Geschenk‘ und beginnt eine Hexenjagd auf die gesamte Opposition, indem er sie als Verräter beschuldigt und so die Unterdrückung steigert“, kommentiert Dündar aus dem Exil.

Anfang Juni traf Christoph Lehermayr Dündar noch in Istanbul. Sein Portrait dieser wichtigsten Stimme der türkischen Opposition.

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Dieser Mann saß drei Monate in Isolationshaft. Dann schoss man auf ihn. Nun drohen im sechs Jahre Gefängnis. Sein Verbrechen? Er überführte seine Regierung der Lüge


Nur drei Minuten, nachdem man versucht hatte, ihn zu töten, musste der Journalist Can Dündar an den Satz des Präsidenten denken. Dündar hatte gerade das Gerichtsgebäude im Zentrum Istanbuls verlassen. Darin war ihm der Prozess gemacht worden. Er war angeklagt. Als Staatsfeind, als Spion, als Putschist. Das Urteil über ihn sollte nach einer Pause gesprochen werden. Dündar hatte vorgehabt, die Zeit zu nutzen, um den wartenden Reportern Interviews zu geben und mit seiner Frau vielleicht noch einen Tee zu trinken. Da kam ein Mann mit einer Pistole in der Hand auf ihn zugelaufen. Er schrie „Verräter“, fuchtelte mit der Waffe umher und drückte ab. Mehrmals. Dündar sprang zur Seite, seine Ehefrau stürzte sich auf den Attentäter, erst danach überwältigten ihn Sicherheitskräfte.

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Und nun stand Dündar in einer Ecke des Gerichtshofes, als der Satz des Präsidenten durch sein Hirn schoss. „Die Person, die dafür verantwortlich ist, wird einen hohen Preis zu zahlen haben.“ Der Satz, gefallen ein Jahr zuvor, galt Dündar, nicht etwa dem späteren Attentäter.

»Das war er wohl, der Preis, den Erdogan gemeint hatte«

„Das war er wohl, der Preis, den Erdogan gemeint hatte“, sagt Dündar wenige Wochen später. Er ist 54, sitzt im fünften Stock eines Verlagsgebäudes im Istanbuler Stadtteil Sisli. Davor patrouillieren Sicherheitskräfte mit geladenem Maschinengewehr. Die Redaktion der Tageszeitung Cumhuriyet ist von einem hohen Zaun umgeben. Im Sitzungszimmer des Blattes ist es stockdunkel, die Vorhänge zur Straße sind zugezogen. Sie sind schwer und aus dem selben Material wie schusssichere Westen. An der Wand hängt neben den Bildern des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk das Foto eines erschossenen Kollegen. Auf der anderen Seite des Gebäudes hat Dündar sein Büro. Es ist hell und voller internationaler Auszeichnungen. Dündar ist der Chefredakteur. 30 Jahre ist er Journalist und einer der bekanntesten des Landes. Gerade ist er aus Schweden zurückgekehrt, wo er den Anna Politkowskaja-Preis erhalten hat. Er ist der 2006 in Moskau ermordeten Putin-Kritikerin gewidmet.

Blickt Dündar aus dem Fenster, sieht er in der Ferne die Umrisse des Gerichts. Das ist in der Türkei der beste Ort, um zufällig Kollegen zu treffen, lautet ein makaberer Witz unter Journalisten. Dündar wurde dort, zwei Stunden nachdem auf ihn geschossen worden war, verurteilt. Zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis. Sein Verbrechen bestand darin, die Regierung seines Landes der Lüge überführt zu haben.

Erdogans geleugnete Waffen

Dündars Geschichte ist die der Türkei der Gegenwart. Sie handelt von einem Präsidenten, der längst das Maß verloren hat und der Gier nach Macht erlegen ist. Und sie handelt von Menschen, die sich ihm entgegenstellen. Mutig, aber nicht ohnmächtig. Allein, aber nicht ohne Hoffnung. Dündars Zeitung, gegründet 1924, ein Jahr nach Errichtung der modernen Türkei durch Atatürk, sieht sich in dessen Tradition. Der Republik und der strikten Trennung von Staat und Religion verpflichtet. Der Präsident und seine Entourage stehen auf der anderen Seite. Es ist die des Islam und dessen politischer Instrumentalisierung.

»Es war der Beleg, den wir brauchten«

„Seit Beginn des Syrien-Krieges versuchen wir, die undurchsichtige Beziehung unserer Regierung zu den dortigen radikalen Islamisten zu recherchieren“, sagt Dündar. „Wir fragten uns, wie unser Land zu deren sicherem Hafen wurde und wie es möglich war, dass Kämpfer unbehelligt zwischen Krieg und Frieden hin- und herpendelten. Und dann gerieten wir an diesen Film. Darin ist ein Lastwagen voll mit Waffen zu sehen und nicht, wie von der Regierung behauptet, bloß mit humanitärer Hilfe. Deren Ziel: Syrien. Deren Abnehmer: mit hoher Wahrscheinlichkeit Islamisten, sei es der IS oder Al Kaida. Der Lastwagen wurde vom türkischen Geheimdienst begleitet, der Film zeigte, wie die Gendarmerie ihn stoppte und öffnete. Es war der Beleg, den wir brauchten. Der Beweis eines internationalen Verbrechens.“ Dündar zögerte keinen Augenblick. „Das sind die von Erdogan geleugneten Waffen“, prangte am nächsten Tag auf der Titelseite seines Blattes.


Dündar hatte damit sein eigenes Urteil verfasst. Für ihn und einen Kollegen folgten drei Monate Einzelhaft in Silivri, einem Hochsicherheitsgefängnis zwei Autostunden hinter Istanbul. Der Präsident persönlich hatte gegen Dündar und seinen Büroleiter in Ankara Strafanzeige erstattet. Im Staatsfernsehen musste er zuvor notgedrungen die Waffenlieferungen zugeben, behauptete aber, diese hätten der turkmenischen Minderheit in Syrien gegolten. Deren Vertreter dementierten dies später.

© Ricardo Herrgott/News

Moscheen als Kasernen

Während Dündar hinter einer sieben Meter hohen Mauer mit Stacheldraht einsaß, empfing der Präsident Angela Merkel in seinem Palast der tausend Zimmer. Auf goldverzierten Thronen einigten sie sich dort auf einen Deal zur Flüchtlingskrise. In der folgenden Pressekonferenz erwähnte Merkel die vom International Press Institute in Wien auf dreißig geschätzte Zahl an inhaftierten Journalisten mit keinem Wort. „Ich kann das Dilemma der europäischen Führer verstehen“, sagt Dündar. „Sie sind wegen der drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei in Panik. Erdogan drohte unverhohlen, sie weiterziehen zu lassen. Also bot ihm Merkel Milliarden, machte ihn zu ihrem Türsteher und versprach wegzusehen, während er ein autoritäres Regime errichtet.“

Recep Tayyip Erdogan. Wer ist dieser Mann, der in einem armen Hafenviertel von Istanbul aufwuchs? Erst Bürgermeister der Stadt am Bosporus war und bald unter dem Verdacht stand, ein Islamist zu sein. Für Verse, in denen er die Moscheen „unsere Kasernen“ nannte, ging er 1999 vier Monate ins Gefängnis. Damals war Atatürks laizistischer Staat noch intakt, heute sind seine Instanzen längst mit Handlangern des Präsidenten besetzt. Erdogan versprach, dass bald niemand mehr wegen seiner Meinung das Gefängnis fürchten müsse, heute als Präsident landen Hunderte auf seine Anweisung dort. Wer ist er, der der EU anfangs erfolgreich vormachte, ein demokratischer Reformer zu sein? Einer, der Gewaltenteilung und Bürgerrechte in ein von der Armee dominiertes Land bringen würde und letztlich die EU doch nur benutzte, um Atatürks Erbe auszuhebeln. Seit 2002 beherrscht er die Türkei, erst als Premier, nun als Präsident, wenngleich die Ämter angesichts seiner charakterlichen Züge völlig irrelevant bleiben. Selbst ihm ergebene Höflinge tauscht er rücksichtslos aus, sobald er Spurenelemente eines möglichen Verrats wittert. Sein Ziel ist klar. Es ist die unumschränkte Macht. Die Bündelung aller Kompetenzen beim Präsidenten. Um dies zu erreichen, ist er bereit, seine eigene Erfolgsbilanz, den wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes und den Frieden mit den Kurden zu riskieren.

© Ricardo Herrgott/News Can Dündar vor der Büro con Cumhuriyet


Der Präsident scheint dünnhäutig, ruchlos, rachsüchtig und wirkt zugleich doch auch gewinnend und jovial. Während die Massen ihn lieben, lässt ihn die kleinste Kränkung ausrasten. Viele seiner Masken hat er längst fallengelassen. Dahinter kam die islamische Agenda zum Vorschein, die ihn seit seinen Anfängen umtreibt. Was ihm, als Atatürks Staat noch mächtig war, nur rausrutschte, sagte er nun ganz offen. Dass etwa Alkohol ebenso eine Sünde sei wie Geburtenkontrolle. Türkinnen hätten mindestens drei Kinder zu bekommen. Was seiner Geisteshaltung widerspricht, verachtet er. Seine Türkei hat fromm zu sein.

»Er ist der neue Sultan«

„Er ist der neue Sultan“, stellt sein Kritiker Dündar trocken fest. „Erdogan will ein Diktator sein, und er ist nahe am Ziel. Er kontrolliert die Armee, das Parlament, die Justiz, die Medien, die Universitäten, die Zivilgesellschaft und die Straße.“

Vor Dündar liegen die Zeitungen des Tages. Es sind die der Konkurrenz. Die Aufmachung wechselt, die eine setzt mehr auf Bilder, die andere eher auf Text. Ihre Botschaft bleibt die gleiche. „Erdogan. Erdogan. Erdogan.“ Fast auf jedem Titelblatt ist der Präsident. Männlich, mächtig, mutig. Er, der Kanzlerin Merkel droht. Deutschland bestrafen will, weil Berlin es wagte, den Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg zu verurteilen. Er, der die Kurden gängelt. Er, der gegen alle vorgeht, die sich ihm in den Weg stellen. Fast alle Medien sind gleichgeschaltet, gehören zum weitverzweigten Netzwerk der durch ihn Begünstigten. Wer nicht spurt, riskiert seinen Job und bald auch sein Dasein.

© Ricardo Herrgott/News Can Dündar in seinem Büro bei Cumhuriyet

„Geh, solange du kannst“

Dündar ist auf freiem Fuß. Sein Urteil, in erster Instanz gefällt, beeinsprucht. Noch im Gericht wurde ihm der Reisepass ausgehändigt. Die Botschaft war klar. Verlasse die Türkei, solange du noch kannst. „Aber ich tue ihnen diesen Gefallen nicht. Ich bleibe und kämpfe.”

Dündar ist kein klassischer Rebell, dafür ist er viel zu ruhig, überlegt und ausgeglichen. Er hat unzählige Bücher geschrieben, TV-Dokumentationen gedreht und ist ein geduldiger, aber auch trotziger Mann. Auch die Monate in der Isolationshaft schrieb er nieder. „Wir sind verhaftet“, nannte er das daraus entstandene Buch. Das Cover ziert ein Gitter, das auch ein Hashtag ist. Das Zeichen und der Satz stammt aus seinem ersten Tweet nach der Festnahme. Drei Millionen Menschen folgen Dündar auf Twitter. Auch wenn der Nachrichtendienst von der Regierung immer wieder abgeschaltet wird, haben viele Türken gelernt, die Sperren zu umgehen, da sie nur dort noch erfahren, was in ihrem Land vor sich geht. Dündar vergleicht die Lage gern mit einem Frosch im siedenden Kochtopf. „Der spürt erst auch nicht, wie das Wasser heiß wird. Wenn er es dann tut, ist es schon zu spät und er tot.“

Kommentare

Henry Knuddi

wer den hass verbreitet, der bekommt doppelte menge zurück
liebe kellerasseln nehmt euren hass mit in den keller - oder wandert zu euren liebling erdowahn aus


die gescheite briten haben die eu noch rechtzeitig verlassen. bevor solche verrückte perverslinge aufgenommen werden. echt beneidenswert.

Urlauber2620
Urlauber2620 melden

Und einem solchen Kameltreiber und Lügner geben unsere Politiker die Hand.

Tavington melden

gewisse politikerInnen stecken sogar ihre zungen tief in seinem a...loch. nur der ungarische orbán spricht laut aus, dass die türkei hat in der eu nichts zu suchen. bravo orbán!!!! und: x fpö

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