"Ein schrecklicher Vereinfacher": Historiker
Rathkolb im Interview zu 100 Jahren Kreisky

Über seine hellsten Momente & seine Schattenseiten "Kreisky war ein emotional sehr verletzbarer Mensch"

Sonnenkönig, SPÖ-Übervater, Medienzampano, Schuldenkaiser - dem legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky, der am 22. Jänner 100 Jahre alt geworden wäre, wurden bereits Zeit seines Lebens zahlreiche Spitznamen verpasst. Nicht nur daran sieht man, dass wohl kein anderer Regierungschef die Republik so in seinen Bann gezogen hat wie er. Anlässlich der kommenden Jubiläumsfeiern traf NEWS.at den Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Uni Wien und Kreisky-Experten Oliver Rathkolb zum Gespräch über Talente, Errungenschaften und auch Schattenseiten Kreiskys.

NEWS.at: Was hat den Politiker Bruno Kreisky ausgezeichnet?
Rathkolb: Kreisky war ein Gestalter, ein Kanzler, der den Menschen ein positives Bild der Politik nahe gebracht und die Zeichen der Zeit stets erkannt hat. Für ihn war Politik kein Brotberuf, sondern eine Leidenschaft.

NEWS.at: Was war der hellste politische Moment des „Sonnenkönigs“?
Rathkolb: Seinen hellsten Moment erlebte er sicherlich im Jahr 1970. Es hätte sich kein politischer Beobachter vorgestellt, dass ein Agnostiker jüdischer Herkunft, der jahrelang im Exil war, in einem großbürgerlichen Ambiente lebt und sich auch so kleidet, Bundeskanzler dieser Republik wird. Der Erdrutsch bei der Nationalratswahl 1970 kam aber eigentlich überraschend. Kreisky hatte da natürlich auch Glück: Die Zeit schien damals reif für einen Wechsel.

NEWS.at: Was war sein besonderes Talent?
Rathkolb: Er konnte mit allen Bevölkerungsschichten – vom Akademiker bis zum einfachen Arbeiter – gleich gut kommunizieren. Aber nicht nur das: Er hat das gerne gemacht und hat das auch dem Gegenüber zu verstehen gegeben. Kreisky mit dem Telefonhörer in der Hand – dieses Bild beschreibt ihn eigentlich am besten. Er war tatsächlich fast 24 Stunden am Tag für seine Bürger erreichbar - zumindest theoretisch.

NEWS.at: Er hat aber auch nicht davor zurückgeschreckt, Anti-Atom-Aktivisten vor dem Bundeskanzleramt als Lausbuben abzukanzeln und ihnen terroristische Methoden zu unterstellen. Konnte sich Kreisky alles erlauben?
Rathkolb: Ja, aus einem einfachen Grund: Weil er ehrlich war. Einen ständig strahlenden, lächelnden Sonnenkönig: den will doch keiner. Man will einen Kanzler mit Ecken und Kanten. Das ist leider etwas, was der Politik abhanden gekommen ist.

NEWS.at: Die Ära Kreisky wird dieser Tage häufig nostalgisch verklärt. Die Schattenseiten seines politischen Wirkens hingegen bleiben im Rückblick oft unterbeleuchtet. Was waren die größten Fehlleistungen Kreiskys?
Rathkolb: Ich glaube, es gibt drei wesentliche Schattenseiten Kreiskys: Die erste hängt mit seiner Biografie zusammen. Kreisky musste als agnostischer Jude einen hohen Preis dafür bezahlen, um in der österreichischen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Er musste, ob er wollte oder nicht, die Opfer-Doktrin und diesen Trend, nicht genau hinzuschauen, was Österreicher im Zweiten Weltkrieg verbrochen haben, mittragen. Das erklärt auch seine aggressive und verletzende Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal. Zum anderen hat die erste Hälfte der 70er Jahre einen unheimlichen Schub bei Infrastrukturinvestitionen gebracht, von denen die Republik bis heute profitiert. Ende der 70er Jahre, in der Krise der verstaatlichten Industrie, hat das aber nicht mehr ganz so gut funktioniert. Alternativ-Konzepte für die Restrukturierung der verstaatlichten Industrie hat er keine gehabt. Und drittens ist es ihm nicht gelungen, die Nachfolgefrage zu regeln. Vor allem aufgrund der heftigen Auseinandersetzung mit seinem vermeintlichen Kronprinzen Hannes Androsch, die sich viel zu lange hingezogen hat.

NEWS.at: Unter Kreisky wurde der Wohlfahrtsstaat in Österreich massiv ausgebaut. Manche Kritiker werfen seiner Regierung vor, Arbeit und Leistung dadurch „uncool“ gemacht zu haben.
Rathkolb: Das sehe ich überhaupt nicht so. Ganz im Gegenteil: Die 70er Jahre waren ein Jahrzehnt, in dem Leistung in vielen Bereichen plötzlich wieder gezählt hat, etwa im Bereich der Forschung und Wissenschaft. Was heute gerne übersehen wird: Kreisky war immer interessiert daran, interessante Denker und Ökonomen nach Wien zu holen und sie nicht in einer kleinen Runde, sondern auch mal in der Hofburg in großem Rahmen referieren zu lassen. Diese Leistungs- und Intelligenzfeindlichkeit sehe ich also nicht.

NEWS.at: „Mir sind ein paar Milliarden Schilling Schulden lieber als ein paar hunderttausend Arbeitslose.“ Ist diese wirtschaftspolitische Leitlinie Kreiskys nicht verheerend für die nachfolgenden Generationen gewesen?
Rathkolb: Es gibt inzwischen eine Reihe von Studien, die zeigen, dass der „Austrokeynesianismus“ der späten Kreisky-Phase nicht eine Vergeudung von Steuermitteln war, sondern primär eine Investition in die Zukunft, in Wissenschaft, Forschung, Bildung und Infrastruktur. Vor kurzem hat sogar Josef Taus, einer der schärfsten Gegner Kreiskys, gemeint, dass man diesen Satz eigentlich unterschreiben sollte. Das zeigt, dass der österreichische Sonderweg der 70er Jahre offenbar der richtige war.

NEWS.at: War der Bau des AKW Zwentendorf sein größter Irrtum?
Rathkolb: Kreisky hatte schon sehr früh ein Bauchgefühl, dass das für ihn schiefgehen konnte. Er hat sich für Zwentendorf ziemlich ins Zeug gelegt, wahrscheinlich zu sehr. Viele ÖVP-Wähler, die eigentlich für die Atomkraft waren, hat er damit dazu gebracht, gegen ihn zu stimmen. Letztlich hat er die knappe Entscheidung gegen Zwentendorf aber akzeptiert und den Atomsperrvertrag ohne Wenn und Aber umgesetzt.

NEWS.at: Warum ist Kreisky eigentlich nie zurückgetreten? Gelegenheiten hätte es ja genug gegeben: die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre, das Milliardengrab Zwentendorf und später der AKH-Skandal…
Rathkolb: So schrecklich das klingt: Die Wiesenthal-Affäre war für Kreisky ein riesiger Erfolg. Trotz seiner verletzenden Angriffe auf Wiesenthal hat er in der Bevölkerung eine unglaubliche Zustimmung erfahren. Kreisky war generell ein Politiker, der sogar aus katastrophalen Niederlagen stets gestärkt hervorgegangen ist. 1983 wurde es ihm aber dann doch zu viel.

NEWS.at: Kreisky hat mit einigen Weggefährten und politischen Gegnern erbitterte Sträuße ausgefochten, eben mit Androsch, Wiesenthal und später auch mit Sinowatz. Was sagen diese heftigen Streits über den Charakter Kreiskys aus?
Rathkolb: Er konnte emotional sehr verletzbar sein. Wenn Auseinandersetzungen wirklich den Kern seiner Überzeugungen verletzten, konnte er richtiggehend explodieren. Er hat sehr wohl versucht, seine Emotionalität in den Griff zu bekommen. Nicht umsonst hatte er den Horaz-Spruch „Den Gleichmut wahr dir mitten im Ungemach, wahr ihn desgleichen, lächelt dir hold das Glück“ in seinem Arbeitszimmer hängen. Aber wie die Beispiele zeigen, ist es ihm oft nicht gelungen.

NEWS.at: Kreisky wird oft auch als „Journalistenkanzler“ bezeichnet. Welchen Umgang mit Medien hat er gepflegt? Und käme seine langsame Sprechweise heute noch gut an?
NEWS.at: Ich denke, dass Kreisky der einzige Kanzler war, der selbst gern Journalist geworden wäre. Er hat seine Pressesprecher de facto stets arbeitslos gemacht, weil er die Medienarbeit selber viel besser konnte. Er hat auch nicht nur Luftblasen, sondern konkrete Themen und Inhalte verkauft. Er hat Politik als Bühne verstanden, denken Sie nur an das legendäre Pressefoyer. Er war ja auch ein unglaublicher Jongleur mit der deutschen Sprache, ein "schrecklicher Vereinfacher", auch ein aufgeklärter Populist, er wusste, wie man Botschaften rüberbringt. Ich glaube, es wäre überhaupt kein Problem, wenn Politiker von heute in die berühmten zwei Minuten in der ZIB weniger Wörter, dafür eine spannendere Botschaft verpacken.

NEWS.at: Kreisky hat in den 70ern gewagt, was Faymann nicht im Traum einfallen würde: Nämlich mit der FPÖ, die damals ja eine Schar von ehemaligen Nationalsozialisten war, einen Pakt einzugehen. Später, 1983, handelte Bruno Kreisky mit dem FPÖ-Langzeitobmann Friedrich Peter eine Kleine Koalition aus. Wie erklären Sie sich Kreiskys „Entspannungspolitik“ gegenüber den Blauen?
Rathkolb: Kreisky hatte nur zwei Möglichkeiten: Entweder diesen Pakt des Schweigens über die Vergangenheit zu akzeptieren oder politisch zu scheitern. So absurd das klingen mag, aber die FPÖ der 70er und frühen 80er Jahre unter Friedrich Peter war eine Partei, bei der man noch immer die Hoffnung hatte, dass aus dieser Partei vielleicht eine Art liberale Partei wie die FDP entsteht. Kreisky hatte die Hoffnung, dass das liberale Pflänzchen vielleicht doch noch gedeiht. Auch Peter ließ das anklingen.

NEWS.at. Warum fährt die SPÖ heute einen anderen Kurs und schließt eine Koalition mit den Freiheitlichen dezidiert aus?
NEWS.at: Zum einen muss man sagen, dass die FPÖ unter Peter noch eine andere war als unter Haider und jetzt unter Strache. Zum anderen hat auch die SPÖ nach der Waldheim-Affäre eine geschichtspolitische Wandlung mitgemacht und die braunen Flecken auch in der eigenen Partei gesucht. Vranitzky hatte hier eine Vorreiterrolle, weil er es strikt abgelehnt hat, die Koalition mit der Haider-FPÖ fortzusetzen. Unter Gusenbauer wurde das dann quasi in den Statuten festgeschrieben.

NEWS.at: "Es gibt dann wirkliche Nazis, die lebensgefährlich sind und immer sein werden. Dazu würde ich heute den Jörg Haider zählen", meinte Kreisky im Jahr 1988 über den inzwischen verstorbenen Kärntner Landeshauptmann. Er wurde dafür auch rechtskräftig verurteilt. Aber was würde Kreisky über Strache, den viele als Haider-Erben sehen, sagen?
Rathkolb: Kreisky erkannte, dass Haider ein äußerst geschickter Politiker war, der nicht nur nach Rechts ganz offen ist, sondern auch im Stande ist, im traditionellen Wählersegment der SPÖ zu wildern. Deswegen hat er auch die Gefährlichkeit betont. Was er zu Strache sagen würde? Das kann ich Ihnen nicht beantworten, da ist zu viel Zeit verstrichen.

NEWS.at: 57 Prozent der Österreicher halten Bruno Kreisky für den besten Bundeskanzler der Nachkriegszeit. Glauben Sie, dass Kreisky auch heute die Wahl mit absoluter Mehrheit gewinnen würde?
NEWS.at: Das ist eine schwierige Frage, weil sich auch die Wählereinstellungen sehr verändert haben. Kreisky hatte aus dem Stand 40 Prozent plus, weil es noch sehr viele SPÖ-StammwählerInnen gab. Die absolute Mehrheit wäre für Kreisky heute wohl nicht mehr möglich, aber ein Politiker, der sowohl eine klare Vorstellung von der Zukunft einer Gesellschaft hat und der auch Gestaltungskraft signalisieren kann, der hat nach wie vor die Chance, 40 Prozent und mehr zu schaffen.

NEWS.at: Als "größte Enttäuschung seines Lebens" bezeichnete Kreisky kurz vor seinem Tod die Entwicklung der österreichischen Sozialdemokratie. Wie sehen Sie diese Entwicklung zwanzig Jahre später?
Rathkolb: Er hat sehr frühzeitig erkannt, dass die Sozialdemokratie extreme Probleme hat, sich vor den neuen Herausforderungen der Globalisierung und der Europäischen Integration neu zu formieren. Diese Sorge hat er hier zum Ausdruck gebracht, aber auch er hatte keine Rezepte anzubieten, wie diese Entwicklung aufzuhalten wäre. Das hat ihn am Ende seines Lebens schwer irritiert.

Jörg Tschürtz

Eine ausführliche Story zum Mythos Kreisky lesen Sie im NEWS 2/11!

Kommentare

melden

Gewonnen - Ihr zahlt! Nachdem meine Ur-u.Urur-Enkel noch Bruno\'s Schuldenpolitik (Stimmenkauf) noch zahlen müssen, verstehe ich diese Geburtstagsfeiern gar gar gar NICHT!!!!!!!!!!!

melden

Re: Gewonnen - Ihr zahlt! @wirsindoben - da post der einzige Österreicher der diesen Wahlschmäh vom "Versagerkanzler" Schüssel noch glaubt! Checkt eben gar gar gar NICHTS!!!!!!!!!!!!!!!

melden

Re: Gewonnen - Ihr zahlt! Also wenns um "Versagerkanzler" geht hätte ich ein ganz anderes Ranking:
1.) Gusenbauer
2.) Faymann
3.) Klima

melden

Re: Gewonnen - Ihr zahlt! Unter welchem Stein bist denn DU hervorgekrochen. Postings löschen lassen, hilft Dir nicht. Jeder der das Deine liest, weiß,was Du für einer bist! Warum vertschüßt Du Dich nicht nach Ru oder Bul, Du anscheinend völlig Ahnungsloser.

Seite 1 von 1