Warum die Angst vor
Atomkrieg zurückkehrt

Zahl der Atomwaffen seit Kaltem Krieg gesunken, Konfliktherde nehmen aber zu

Drei Jahrzehnte lang schien die Gefahr eines Atomkriegs gebannt. Jetzt kehrt die Angst vor den tödlichsten aller Waffen zurück. Ihre Zahl ist seit dem Kalten Krieg zwar gesunken. Die potenziellen Konfliktherde nehmen aber zu.

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Atomkrieg zurückkehrt © Bild: iStockphoto.com

Im Kalten Krieg war die Gefahr eines Atomkriegs zwar sehr real, aber auch übersichtlich. Es gab zwei Machtblöcke, die jeweils so viele Atomwaffen besaßen, dass ein Angriff ohne einen verheerenden Gegenschlag des anderen unmöglich war. Nukleare Abschreckung nannte man das - ein Prinzip, das zwischen der NATO und Russland bis heute gilt.

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Zahl der Atomwaffen von 70.000 auf knapp 15.000 geschrumpft. Gleichzeitig haben allerdings die potenziellen Konfliktherde für einen Atomkrieg zugenommen. Das größte Problem ist aber: Die Verlässlichkeit in der internationalen Politik und damit auch zwischen den Atommächten hat dramatisch abgenommen, seit Donald Trump vor knapp zwei Jahren ins Weiße Haus eingezogen ist.

Der US-Präsident hat den Ausstieg aus gleich zwei Abkommen erklärt, die einem neuen atomaren Wettrüsten entgegenwirken sollen. Dabei handelt es sich um das Atomabkommen mit dem Iran und den INF-Vertrag über das Verbot atomarer Mittelstreckenraketen in Europa. Nach Ansicht von Experten ist die atomare Bedrohung damit heute wieder so groß wie zur Zeit des Kalten Krieges. Die fünf größten Gefahren:

1. USA und Russland

Die Aufkündigung des INF-Vertrags durch Trump kam plötzlich, aber nicht überraschend. Die USA werfen Russland seit mehr als drei Jahren offen Vertragsbruch vor. Ihrer Einschätzung nach entwickeln und erproben die russischen Streitkräfte eine neue landgestützte Mittelstreckenrakete. Russland wirft den USA im Gegenzug vor, den Vertrag mit der Errichtung einer Raketenabwehrstation der NATO in Rumänien verletzt zu haben.

Vertragsunterzeichner und Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow prophezeite bereits im vergangenen Jahr dramatische Auswirkungen für den Fall einer Aufkündigung des Vertrages: "Wenn das System der Atomwaffenbegrenzung zusammenbräche (...), wären die Folgen katastrophal." Der Vertrag gilt als Basis einer 30-jährigen Phase atomarer Abrüstung. Die Aufkündigung könnte die Wende zu einem neuen Wettrüsten in Europa bedeuten.

2. China

Der geplante Rückzug der USA aus dem INF-Abrüstungsabkommen hat mindestens so viel mit China zu tun wie mit Russland. Nach US-Angaben hat Chinas Volksbefreiungsarmee das weltweit größte Arsenal von mehr als 2.000 ballistischen Raketen und Marschflugkörpern. Davon würden 95 Prozent unter das Abkommen fallen, wenn China Vertragspartner wäre.

Die Atommacht China ist mit rund 280 nuklearen Sprengköpfen zwar klein im Vergleich zu den USA mit 6.450. Aber es geht den USA genauso um konventionelle Schlagkraft. Denn die Raketen können China im Kriegsfall dazu dienen, die US-Streitkräfte im Pazifik zu stören und ihnen den Zugang zu strategisch wichtigen Gebieten zu verwehren.

Die USA können den chinesischen Waffen bereits jetzt Raketen auf Schiffen oder an Flugzeugen entgegensetzen, die nicht vom INF-Vertrag betroffen sind. Aber Experten denken daran, sich von den Beschränkungen des Abkommens zu befreien, um Mittelstreckenraketen auf der US-Pazifik-Insel Guam oder im Norden Australiens zu stationieren und damit auf China zu zielen.

Das Vorgehen passt in die Eindämmungspolitik der USA gegenüber China, die Trump auch mit seinem Handelskrieg verfolgt, den viele schon als Teil eines neuen "Kalten Krieges" gegen China sehen. Eine neuen Abrüstungsvertrag mit China und Russland gemeinsam zu verhandeln, wie Trump vorgeschlagen hat, halten Diplomaten für illusorisch. China argumentiert, dass die Mittelstreckenraketen dazu dienen, seine mehr als 20.000 Kilometer langen Grenzen zu schützen. Da geht es auch um andere Länder - allen voran den Rivalen Indien.

3. Indien und Pakistan

Indien ist seit vielen Jahrzehnten Atommacht, galt aber lange Zeit als Verfechter nuklearer Abrüstung. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre vollzog das Land eine Kehrtwende und testete 1998 sogar erstmals wieder Atomwaffen. Das indischen Nukleararsenal dient vor allem der Abschreckung Pakistans. Der Konflikt zwischen den beiden Ländern geht auf das Ende der britischen Kolonialzeit zurück und führte seit 1947 zu vier Kriegen. Beide Länder verfügen über etwa gleich viele Atomwaffen. Das Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt die Zahl auf jeweils 130 bis 150.

4. Iran und der nahe Osten

Im Mai hat Trump die Welt bereits mit seinem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran schockiert. Es war zu diesem Zeitpunkt noch keine drei Jahre in Kraft. 2015 hatten sich darin die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats und Deutschland verpflichtet, Sanktionen gegen die Islamische Republik aufzuheben, um die Entwicklung einer iranischen Atombombe zu verhindern.

Mit dem Ausstieg der USA ist die Vereinbarung stark ins Wanken geraten. Die Europäer versuchen zwar noch, sie zu retten - die Chancen stehen aber nicht besonders gut. Platzt das Abkommen, könnte das zu einem atomaren Rüstungswettlauf im Nahen Osten führen. Auch Saudi-Arabien könnte dann nach der Atombombe greifen. Und in Israel lagern laut Sipri bereits jetzt 80 Nuklearwaffen.

5. Nordkorea

Nordkorea besitzt Mittel- und Langstreckenraketen, die vermutlich auch mit Atomsprengköpfen bewaffnet werden könnten. Der stalinistische Staat soll zwischen 10 und 20 nukleare Sprengköpfe besitzen. Die USA fürchten, dass Machthaber Kim Jong-un damit auch amerikanisches Territorium treffen könnte. Zwar sind die wirklichen technischen Fähigkeiten Nordkoreas ungewiss, aber zuletzt testete das Land im September 2017 sogar eine gewaltige Wasserstoffbombe.

Vielleicht weil Kim Jong-un seine Kapazitäten ausreichend unter Beweis gestellt hat und die massiven internationalen Sanktionen weh tun, verfolgt der Machthaber seit Jahresanfang überraschend eine Annäherung an Südkorea und die USA. Drei innerkoreanische Gipfel und das historische Treffen zwischen Kim und Trump im Juni in Singapur wecken Hoffnungen auf eine nukleare Abrüstung. Wann und wie abgerüstet werden kann, ist aber völlig offen. Schon der Verhandlungsprozess könnte sich über Jahre hinziehen, während Nordkorea praktisch Atommacht bleibt und die Sanktionen bröckeln.

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