„Soll ich zum Beweis
einen Porno drehen?“

Übertrieben weiblich – kein Bleiberecht. Übertrieben männlich – kein Bleiberecht. Asylverfahren für schwule Flüchtlinge werden für die Behörde zur bedenklichen Gratwanderung. Mangels verwertbarer Fakten zählen subjektive Eindrücke

von Chronik - „Soll ich zum Beweis
einen Porno drehen?“ © Bild: Ricardo Herrgott

Sein Verhalten sei eine Schande, für seine Familie, für sein Heimatland. Und genau dorthin gehöre er nunmehr zurückgeschickt und gleich nach der Ankunft getötet, am besten gesteinigt: Louay*, 27, gebürtig aus dem Irak, derzeit als Flüchtling in Graz untergebracht, bekannte sich im Zuge seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Außenstelle Graz, unumwunden zu seiner Homosexualität. Nun macht ihm die arabische Community in der Steiermark in diversen Internetforen die Hölle heiß, und er musste eilends in ein Notzimmer der Caritas mit geheimgehaltener Adresse übersiedelt werden. „Wenn ich zurück in den Irak geschickt werde, ist mein Leben in Gefahr“, sagt Louay in fließendem Deutsch.

Alles nur Panikmache zur Erschleichung eines Aufenthaltstitels? „Die zunehmende Gewalt und das damit verbundene Erstarken nichtstaatlicher Akteure hat Berichten zufolge die Schutzbedürftigkeit von Personen, deren sexuelle Orientierung (…) nicht den traditionellen Vorstellungen entspricht (…), verstärkt, und diese Menschen, einschließlich Kinder, sind (…) häufig zahlreichen Formen von Misshandlungen durch verschiedene staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt“, heißt es etwa in einem Positionspapier des UN-Flüchtlingshochkommissariats zum Irak ziemlich unmissverständlich.

In manchen Regionen des Landes, so die internationalen Beobachter weiter, habe sich eine „strenge Auslegung der Scharia“ durchgesetzt, wodurch „einverständliche sexuelle Handlungen zwischen Männern einen Gesetzesverstoß darstellen und mit Todesstrafe geahndet werden“. Er selbst sei etwa 16 Jahre alt gewesen, als ihm seine sexuelle Orientierung erstmals so richtig bewusst geworden sei, erzählt Louay. Für Make-up habe er sich interessiert, an körperbetonter Kleidung Gefallen gefunden. „Zuerst habe ich ja noch gedacht, dass das eine Krankheit ist.“ Ausgelebt habe er seine Gefühle erstmals hier, konkret in Oberösterreich, wo er über einen Chat einen Mann namens Markus kennenlernte. Zitat aus dem Einvernahmeprotokoll der Asylbehörde: „Wir sind dann zu ihm in seine Wohnung gegangen. Ich hatte große Angst und war aufgeregt. Dort hat er mit mir geredet und mir meine Angst genommen und gesagt, dass wir hier in Österreich sind und mir nichts passieren kann.“ Womöglich eine Fehleinschätzung.

© Ricardo Herrgott „Niemand darf wegen überzogenen Misstrauens in den Tod geschickt werden“ Joe Niedermayer, Obmann der „RosaLila PantherInnen“

Hochnotpeinliches Verhör

Insgesamt elf sexuelle Kontakte habe er bisher gehabt, bekennt er in der hochnotpeinlichen Behördenbefragung, dann rattert er wie bei einer Prüfung die beliebtesten Grazer Schwulenlokale herunter, erzählt von seiner ehrenamtlichen Mitarbeit am Grazer Tuntenball und legt ein Foto vor, das ihn als jenen Mann, der eine Coming-out-Broschüre ins Arabische übersetzte, an der Seite des zuständigen Grazer Integrationsstadtrats Kurt Hohensinner zeigt. „Danke für den Einsatz!“, prangt auf einer überdimensionalen lila Sprechblase aus Karton, die der VP-Politiker lächelnd in die Kamera hält.

„Für mich besteht gar kein Zweifel daran, dass Louay in die Grazer Gay Community voll integriert ist“, sagt Joe Niedermayer, Obmann der Grazer Interessengemeinschaft „RosaLila PantherInnen“. Nachsatz: „Und daran, dass er schwul ist.“ Womöglich zu schwul?

„Besonders auffallend im Laufe Ihrer Einvernahme war auch der Umstand, dass Sie sich erst ab den konkreten Fragen zu Ihrer Homosexualität fortwährend steigernd eines stereotypischen, jedenfalls überzogen ,mädchenhaften‘ Verhaltens (Gestik und Mimik) eines ,sexuell anders Orientierten‘ bedient haben, dies in Ihrem Fall aber lediglich gespielt, aufgesetzt und nicht authentisch auf die Behörde wirkte“, protokolliert das Bundesasylamt. Fazit: „Es ist daher nicht glaubhaft, dass Sie tatsächlich sexuell anders orientiert sind.“ Asylansuchen abgelehnt. „Ja, was soll ich denn jetzt tun? Soll ich jetzt zum Beweis einen Porno drehen?“, fragt sich Louay.

War er im Verhör, bewusst oder unbewusst, zu melodramatisch? Doch auch betont zurückaltendes Verhalten kommt den zuständigen Beamten mitunter ziemlich verdächtig vor. Bereits vor knapp zwei Wochen hatte der „Falter“ über den negativen Bescheid gegen einen Afghanen berichtet. „Weder Ihr Gang, Ihr Gehabe noch Ihre Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass Sie homosexuell sein könnten“, so die Begründung der Wiener Neustädter Behörde. Fazit: nicht schwul genug, Asylansuchen abgelehnt.

Großer Ermessensspielraum

Behördliches Gutdünken? Definitiv. Aber eines ohne allgemeine anerkannte Alternativen. Zum einen gibt es keine seriöse Möglichkeit, die sexuelle Orientierung eines Menschen zweifelsfrei festzustellen. Diverse Versuchsanordnungen, etwa die Vorführung von Sexfilmchen samt anschließender Auswertung der psychischen und physischen Reaktionen, gehen bestenfalls als pseudowissenschaftlich durch. Zum anderen ist es zur weit verbreiteten Gepflogenheit geworden, dass Asylwerber ihre Homosexualität erst im Rahmen der zweiten oder dritten Befragung quasi „entdecken“, um so ihre Bleibechancen zu verbessern – das geht aus den Befragungsprotokollen des letztinstanzlich entscheidenden Bundesverwaltungsgerichtes hervor.

Doch auch Asylwerber wie der 32-jährige Milad, der in seiner iranischen Heimatstadt Gorgan auf einer Schwulen-Fete verhaftet wurde und erst freigelassen wurde, als er sein Fotogeschäft als Kaution verpfändete, erhalten, zumindest in der ersten Instanz, kein Bleiberecht. Milad nennt Namen, Adressen, örtliche Details zu den Vorkommnissen, doch das reicht nicht. „Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in Ihrem Heimatland einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt waren“, heißt es im Behördenbescheid.

Verliebt & verpartnert

Auch Hasaan, einem 22-jähriger Iraker, wurde das Bleiberecht verwehrt. Er hatte bei seiner allerersten Befragung seine Homosexualität nicht erwähnt. Zu wenig Zeit, zu hektische Atmosphäre, zu viel andere Fragen, sagt er. Nunmehr jedoch lebt er mit einem 43-jährigen Grazer Gastronomen zusammen, der im Gespräch mit News unmissverständlich erklärt: „Wir lieben einander und wollen uns raschestmöglich verpartnern.“ Nachsatz: „Und nein, unsere Beziehung ist ganz sicher kein Fake“, fügt er fast flehentlich hinzu.

Das behördliche Dilemma: „Bei diesen Verfahren geht es in der Beweisführung meist nicht um Fakten, sondern darum, wie der zuständige Referent die Indizien und Indizienketten auslegt“, sagt Innenministeriumssprecher Christoph Pölzl. Und das sei „individuell total verschieden“. Dafür gebe es ja aber auch das Bundesverwaltungsgericht, das die vorangegangenen Bescheide bei Bedenken aufheben könne.

„Natürlich gibt es auch Einzelpersonen, die das System überlisten wollen, indem sie angeben, sie seien homosexuell“, räumt Joe Niedermayer von den „RosaLila PantherInnen“ ein. „Aber im Zweifelsfall ist das doch noch immer besser, als jemanden wegen überzogenen Misstrauens womöglich sogar in den Tod zu schicken.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 35 2018