Der Plan B für Kern

Christian Kern ist seit einem Jahr Kanzler. Reicht sein Plan A, um es auch zu bleiben?

Seit einem Jahr ist Christian Kern Bundeskanzler, etwas kürzer SPÖ-Chef. Man kennt seinen Plan A, doch reicht der, um nach der nächsten Nationalratswahl das Kanzleramt für die SPÖ zu halten? Experten sehen noch offene Baustellen bei Bildung, Wirtschaft und Strategie

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Bilanz - Der Plan B für Kern

Einen Punkt auf seiner To-do-Liste hat die ÖVP dem roten Bundeskanzler selbstlos abgenommen. Nämlich: Sich dem linken Parteiflügel als wertetreuer Kämpfer zu präsentieren. In einer Funktionärspostille rückt der schwarze Koalitionspartner Christian Kern mit Hammer und Sichel in die Nähe des Kommunismus. Das Titelbild des 58-Seiten-Pamphlets nimmt grafische Anleihe bei Marx und Lenin. Kern, nicht ganz schmähbefreit, übernahm das prompt als Profilbild auf Facebook. Tage zuvor hatte ihn die Parteijugend beim Wiener SPÖ-Parteitag noch wegen seines Kurses gescholten. "Christian, Vorsitzender welcher Partei bist du eigentlich?????" Nicht immer geht Imagepolitur so schnell.

Seit einem Jahr ist Christian Kern nun Bundeskanzler, und die Vorschusslorbeeren welken schon dahin. Seinen Plan A legte er im Jänner vor. Nicht alles darin freut alle Genossen, vor allem die Tatsache, dass dieses programmatische Papier nicht mit der Partei geschrieben wurde.

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Reicht "a Plan"?

Doch stellt sich die Frage, ob dessen Inhalt und vor allem das bisher daraus Umgesetzte überhaupt reichen, damit die SPÖ bei der nächsten Nationalratswahl stärkste Partei bleibt und den Kanzler halten kann. Aus Sicht vieler Experten und Parteifreunde muss da noch mehr her.

Beispiel Europa: Vielleicht wäre Christian Kern gerne ein großer Europapolitiker, im Alltagsgeschäft strauchelt er aber oft bei der Balance zwischen EU-Skepsis im Inland und europäischem Gemeinschaftsgeist. Da wollte er beim Freihandelsabkommen Ceta den starken Mann spielen, ließ sich in einer SPÖ-Mitgliederbefragung den Rücken stärken und gab dann doch in Brüssel grünes Licht. Das trägt ihm die Parteijugend bis heute nach. Oder das würdelose Gezerre um die innereuropäische Aufteilung von Asylsuchenden, wo Kern erst weitere Aufnahmen ablehnte und dafür in Brüssel eine Abfuhr kassierte.

Der frühere SPÖ-Europapolitiker Hannes Swoboda spricht von einer "notwendigen Gratwanderung: Er muss die Enttäuschung und Kritik der Menschen an der EU aufnehmen und darf ihnen dennoch nicht nach dem Mund reden. Er muss sagen, wir brauchen Europa, aber es muss grundsätzliche Veränderungen geben." Was Swoboda kritisiert: "Kern sucht sich in wichtigen Fragen wie der Entsenderichtlinie noch viel zu wenig Bündnispartner." Kern will die "Personenfreizügigkeit" in der EU bremsen, heißt: Nicht jeder, der nach Österreich kommt, soll sofort Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Genau das ist aber ein Grundgedanke der EU.

Angstthema Pensionen

"Ich halte es nicht für sehr realistisch, dass die EU hier eine neue Regelung zulässt", sagt daher der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes Wifo, Christoph Badelt. Was seiner Meinung nach in Kerns Plänen noch fehlt: "Im Plan A und im Regierungsprogramm steht nicht, wie die Gegenfinanzierung all der geplanten Maßnahmen aussieht. Es gibt ein paar sehr pauschale und sehr ambitionierte Summen, man kann aber nicht einschätzen, wie realistisch die sind." Er hätte sich da transparente Berechnungen gewünscht.

Zudem vermisst er klare Aussagen zur "langfristigen Organisation der materiellen Alterssicherung. Da geht es um die nächsten 20 bis 25 Jahre, wenn die demografischen Veränderungen durchschlagen." Ob Kern sich vor dem Thema drücken wollte? Badelt: "Es gibt so eine Grenze zwischen permanenter Verunsicherung jener, die bald in Pension gehen, und einer sträflichen Vernachlässigung langfristiger Strukturreformen. Politiker scheuen sich, über Pensionsreformen zu reden, weil sie glauben, dass das unpopulär ist. Das ist der Struktur der Wähler geschuldet."

Dagegen meint SPÖ-Sozialsprecher und Gewerkschafter Josef Muchitsch: "Wir haben bewiesen, dass wir das Pensionssystem finanziell stabil halten können. Wir dürfen nicht das Blaue vom Himmel versprechen, denn damit werden wir nicht punkten. Wir müssen immer vermitteln, wofür wir stehen. Für die Pensionen heißt das: Das tatsächliche Pensionsantrittsalter soll steigen, aber mit Maßnahmen wie der Prävention, des Arbeitnehmerschutzes und der Rehabilitation."

Bildungspflicht

Am anderen Ende der Altersskala vermisst der Bildungsexperte der Industriellenvereinigung, Christian Friesl, einiges bei der Bildungsreform. Zwar lobt er, was derzeit verhandelt wird, doch fehlt ihm das Augenmerk auf die "Qualität der Pflichtschulen. Bei 20 Prozent Risikoschülern muss sich die Bildungsqualität heben." Er fordert die Einführung einer "Bildungspflicht, bei der festgelegt wird, was ein Kind nach der Grundbildung können muss. Und nicht eine Schulpflicht, die nach neun Jahren vorbei ist." Zudem befürwortet die IV die gemeinsame Schule der Sechs-bis 14-Jährigen. Das jetzige Autonomiepaket der Schulen müsse die Regierung auch gegen den Widerstand der Lehrergewerkschaft durchsetzen. "95 Prozent der Einwände gegen die Schulreform sind von Eigeninteressen getragen. Doch ein überreguliertes Schulsystem ist nicht im Interesse der Kinder."

Partei und Strategie

Neben diesen politischen Baustellen muss Kern auch die Flügelkrämpfe in der eigenen Partei und die strategische Ausrichtung im Auge behalten. Innerparteilich sitzen seine Kritiker im Jugendsektor. SJ-Chefin Julia Herr sagt: "Jeder sagt, man muss die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen. Da geht es meist um Außen- und Sicherheitspolitik. Aber nicht jeder hat Angst vor Fremden, sondern Angst um den Arbeitsplatz. Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist der zentrale. Das müssen wir bespielen, nicht der FPÖ folgen und dauernd das Fremdenrecht verschärfen. Der Kampf um die Mittelschicht darf nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen werden. Die SPÖ muss nicht zur FPÖ werden, um erfolgreich zu sein."

Genau dieses Mittelstandsthema sei in Kerns jüngster Inszenierungsoffensive allerdings untergegangen, sagt Strategieberater Gregor Schütze. "Die Idee, als Pizzabote Bürgernähe zu suchen, war gut. Die Umsetzung schlecht, das ruiniert die Story. Übrig blieb, wie inszeniert die Geschichte war." Was Kern jedenfalls besser mache als Faymann: "Er redet wieder mit Menschen und kommuniziert diese Gespräche gut in den sozialen Netzwerken. Wobei ganz eindeutig ist, dass er sich im Manager- und Unternehmerumfeld wohler fühlt als auf einem Jahrmarkt", sagt Schütze. Die Frage ist, ob er damit die richtige Zielgruppe beackert, denn: "Bis ein Jungunternehmer die SPÖ wählt, ist es ein weiter Weg." Und die SPÖ-Funktionäre bewege man sowieso weniger mit Inszenierung: "Da muss man inhaltlich liefern, damit sie im Wahlkampf laufen." Doch für den braucht Kern eine Partei, die nicht intern kämpft, sondern nach außen schlagkräftig ist. Hat er dafür einen Plan?

BILDUNG Kern will ein zweites Gratiskindergarten- Jahr und einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr. Brennpunktschulen sollen mehr Geld bekommen. Ab der Volksschule soll es eine "digitale Grundbildung", danach Gratistablets und -laptops für die Schüler geben. In der Uni-Politik ist er für eine Studienplatzfinanzierung, was Aufnahmebeschränkungen bringen wird.

WIRTSCHAFT In seinem Positionspapier "Plan A" kündigt Kern u. a. eine Beschäftigungsgarantie für Über-50-Jährige, einen Zwölf-Stunden-Arbeitstag unter bestimmten Bedingungen und einen Mindestlohn von 1.500 Euro an. Unternehmen bietet er eine Senkung der Lohnnebenkosten. Dafür sollen sie durch ein Lohntransparenzgesetz verpflichtet werden, Einkommen offenzulegen.

EUROPA Kern fordert für Branchen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit einen beschränkten Arbeitsmarktzugang für Bürger aus ökonomisch schwachen EU-Ländern. Den Euro-Stabilitätspakt will er aufweichen, indem öffentliche Investitionen über längere Zeit abgeschrieben werden können. Eine Abfuhr holte er sich zuletzt, als er keine weiteren Flüchtlinge in Österreich aufnehmen wollte.