Das Ende eines Lebens

Ein 28-Jähriger tötete seine Mutter: Die Hintergründe der Bluttat

Im Februar tötete Matthias Sch. seine Mutter. Hinter dem spektakulären Fall steht eine tragische Geschichte: Wie sich ein ganz normaler junger Mann unter dem Einfluss einer schrecklichen Krankheit veränderte.

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Tragödie - Das Ende eines Lebens

Würde man Matthias Sch. auf der Straße begegnen, man würde sich nicht nach ihm umdrehen. Ein ganz normaler junger Mann. Sportlich, intelligent, gutaussehend. Aber Matthias hat auch eine ganz andere Seite. Sie machte sein Leben in den vergangenen Monaten zu einer qualvollen Achterbahnfahrt für alle Beteiligten und führte Mitte Februar zur ultimativen Katastrophe: Matthias tötete seine Mutter. Er erschlug sie mit einer Mineralwasserflasche, würgte sie und inszenierte anschließend einen Unfall, der den Eindruck vermitteln sollte, sie habe sich beim Duschen das Genick gebrochen. Anschließend floh er durch den vier Grad kalten Inn. Seitdem laufen die Ermittlungen, vergangenen Donnerstag fand die Tatrekonstruktion in Polling bei Braunau statt. Adelheid Kastner ist mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens über die Schuldfähigkeit beauftragt. Noch sind viele Fragen offen: Was führte zu einer so unvorstellbaren Tat? Wie wurde aus dem idealen Schwiegersohn ein Muttermörder? Eine Rekonstruktion der vergangenen zwölf Monate:

Bis vor einem Jahr führte der 28-Jährige ein ganz normales Leben. Er arbeitete in einem internationalen Konzern in Nürnberg, studierte Elektrotechnik, hatte eine Freundin. Fotos auf seinem Facebook-Account zeigen einen coolen Typen, lebenslustig, Typ Abenteurer. Im Mai 2017 begann sich die Familie Sorgen um ihn zu machen. Mutter Eleonore, eine Österreicherin, die bis zum Tod ihres Mannes 2012 unweit der Grenze in Deutschland gelebt hatte, und Bruder Johannes brachten ihn zur Behandlung in die psychiatrische Klinik in Braunau. Diagnose: paranoide Schizophrenie mit Verfolgungswahn.

Wahnbilder

Eine Krankheit, unter der quer durch alle Kulturkreise etwa ein Prozent der Weltbevölkerung leidet, erklärt Siegfried Kasper, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien. Es kommt dabei zu einer Störung des Gehirnstoffwechsels. Infolge zu hoher Dopamin-Ausschüttung leiden die Patienten an Symptomen wie Wahnbildern, Halluzinationen, Denkstörungen. Typischerweise tritt die Erkrankung bei Männern zwischen dem 16. und dem 19. Lebensjahr auf, erklärt Kasper, bei Frauen drei Jahre später. Die ersten Anzeichen lösen bei Angehörigen oft Irritation aus: "Es kommt etwa zu einem plötzlichen Leistungsabfall in der Schule, die Patienten verwahrlosen und machen komische Sachen, sitzen zum Beispiel im Winter im T-Shirt draußen oder führen an ihrem Auto sinnlose Reparaturen durch. Wenn man versucht, sie zurechtzuweisen, können sie auch aggressiv reagieren."

Drogenexperimente, möglicherweise als Versuch, sich selbst zu heilen, können den Ausbruch der Krankheit auslösen, sagt Kasper. Meist sind es aber ganz normale Lebenskrisen. Stress im Job, Probleme mit der Freundin. Für normale Menschen bewältigbar. Aber für manche der Anfang vom Ende des Lebens, wie sie es kannten.

Immer wieder brachten Mutter und Bruder Matthias Sch. im Frühsommer 2017 ins Braunauer Krankenhaus. Doch Matthias blieb nicht lange. Er schlug während eines Krankheitsschubs eine Glasscheibe ein und floh. Als er später in die Klinik für Psychiatrie im deutschen Mainkofen verlegt wurde, dasselbe Bild: Er fühlte sich bedroht und versuchte, zu fliehen. Immer wieder. Seine körperliche Fitness, Kletter-und Yoga-Erfahrungen, kamen ihm dabei zugute.

In der Familie herrschte auch zu diesem Zeitpunkt immer noch die Meinung vor, man könne ihn gemeinsam dabei unterstützen, diese Schübe zu überstehen. Eine letztlich fatale Einschätzung. Kurzfristig schien die Strategie jedoch erfolgreich: Matthias erholte sich im Herbst und nahm sein Studium wieder auf.

Noch war sein Schicksal nicht besiegelt. Mit regelmäßiger Medikation und stabiler Umgebung, sagt Psychiater Kasper, können Schizophrenie-Patienten - vergleichbar mit Diabetikern -jahrzehntelang stabil leben. "Es ist sehr wichtig, dass das Umfeld emotional möglichst ausgeglichen ist. Zu positive oder zu negative emotionelle Äußerungen stürzen den Patienten nur in Verwirrung. Bei diesen Menschen ist die Filterfunktion beeinträchtigt. Verschiedene Eindrücke können ungefiltert ins Gehirn eintreten und werden fast gleichwertig beurteilt und verarbeitet. Angehörige sollten versuchen, sehr ausgleichend mit ihnen umzugehen." Je gleichförmiger die Lebensgestaltung, desto besser, sagt Kasper. Versuche hätten gezeigt, dass es Schizophrenie-Patienten in traditionellen Arbeiterfamilien -der Vater arbeitet, die Mutter kocht und um Punkt sechs steht das Abendessen auf dem Tisch -besser gehe als in Akademikerfamilien, in denen jeden Tag diskutiert wird, wer morgen einkaufen geht. "Ambivalenz ertragen sie nur schwer."

Tragischer Fall

Matthias Sch.s Besserung war nur von kurzer Dauer. Im Februar zog er sich wieder zu seiner Mutter zurück, der er vertraute, bei der er sich geborgen fühlte, um einen neuerlichen Krankheitsschub auszukurieren. Doch dann geschah das Unvorstellbare.

Am 19. Februar, einem bitterkalten Montagmorgen, tötete Sch. seine geliebte Mutter. Er fühlte sich hin-und hergerissen zwischen Angriffslust und dem Bedürfnis, zu fliehen. Er hatte Angst, dass seine Mutter ihm verbieten würde, das Haus zu verlassen. Er fühlte sich bedroht, war überzeugt von einer Verschwörung, in die alle möglichen Personen verwickelt seien. Und dann stand da die Mineralwasserflasche aus Glas. War es so? Äußerlich ja. Was zu dem Zeitpunkt in Sch.s Kopf vorging, ist kaum nachvollziehbar.

Siegfried Kasper kennt den Fall Sch. nicht genauer. Aber er spricht von einem "ganz tragischen Fall". Gewalttaten seien unter Schizophrenie-Patienten nicht weiter verbreitet als in der Restbevölkerung. "In der Krankenhausambulanz trifft man natürlich gewisse Vorsichtsmaßnahmen, indem man sich zum Beispiel nicht alleine mit akut erkrankten Patienten zusammensetzt, sondern im Beisein eines Pflegers in neutraler Atmosphäre. Aber mich hat in 40 Jahren als Psychiater noch nie ein Schizophrenie-Patient angegriffen."

Eleonore hatte keine Angst vor ihrem Sohn. Bis zuletzt nicht. Der Angriff mit der Flasche erfolgte, als sie ihm gerade den Rücken zuwandte.

Nachdem er seine tote Mutter in der Dusche platziert und nass gemacht hatte, um einen Unfall vorzutäuschen, floh Matthias Sch. Zuerst mit dem Auto des Bruders, den er selbst zum Tat-und vermeintlichen Unfallort gerufen hatte. Nachdem er das Auto in einem Kreisverkehr schwer beschädigt hatte, zu Fuß. Schließlich schwamm Sch. durch den vier Grad kalten Inn. Auf der bayerischen Seite des Flusses wurde er rasch festgenommen und in die Maßregelvollzugseinrichtung Straubing gebracht. Schwimmen durch einen eiskalten Fluss -auch das, sagt Psychiater Kasper, sei ein typisches Symptom für Sch.s Erkrankung. "Sie überschätzen sich ganz enorm. Und die Temperaturregulation, die ein zentraler Prozess im Gehirn ist, wird durch die Krankheit verändert. Ich habe schon Patienten erlebt, die nackt auf die Straße gehen. Sie spüren die Kälte nur ungenügend."


In Straubing nutzte Sch. die nächstbeste Gelegenheit und versuchte, über die Krankenhausdächer zu fliehen -erfolglos. Vergangene Woche wurde er nach Österreich überstellt. Derzeit befindet er sich im Neuromed Campus Linz.

Matthias Sch. wird vielleicht lange Zeit im Maßnahmenvollzug verbringen. Kann er sich an den 19. Februar erinnern? Bereut er? Trauert er? Oder sind das Kategorien, die in seiner Welt keine Rolle mehr spielen? Es gibt unterschiedliche Mechanismen, wie psychisch kranke Täter mit ihrer Tat umgehen, sagt Kasper. Eines gilt für sie alle: "Mit normaler menschlicher Logik ist das nicht zu messen."