Raus aus dem Kreisverkehr

Das umstrittene Ponny-Caroussel im Wiener Prater sperrt zu. Tierschützer wollen die Pferde auf der Weide sehen, die Betreiberin hofft auf einen Erhalt des 129 Jahre alten Gebäudes

von Tierschutz - Raus aus dem Kreisverkehr © Bild: Copyright 2016 Matt Observe - all rights reserved.

Murphy trabt zum Radetzkymarsch, und mit ihm die anderen Pferde. Sechs Stunden dauert der Arbeitstag, 250 Runden dreht er pro Schicht. Einmal die Woche steht das ganze Werkl still. So lebt Murphy schon seit über 20 Jahren, recht viel anderes kennt er nicht. Bald aber ist Schluss damit, denn das Karussell soll sich nächsten Sommer nicht mehr drehen. Wie es für ihn weitergeht? Das würde Murphy selbst gerne wissen.

Das Schweizerhaus im Wiener Prater hat für heuer schon seine Pforten geschlossen, das " 1. Wiener Ponny-Caroussel“, das gleich daneben steht, ist auch in der kalten Jahreszeit noch in Betrieb. Im Sommer kündigte die Betreiberin Isabel Groschopf zwar die Schließung der Kinderattraktion an, doch noch ist es nicht so weit. "Wann der Zeitpunkt genau gekommen ist, kann ich noch nicht sagen“, sagt sie. "Vielleicht schon morgen, vielleicht aber auch erst am 31. Jänner 2017.“ Dann aber ganz bestimmt.

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Seit 129 Jahren besteht das Karussell, ein Familienbetrieb in mittlerweile fünfter Generation. Alexander Meyer-Hiestand heißt der Besitzer, Groschopf ist seit 14 Jahren die Betriebsverantwortliche. Den Ersten Weltkrieg hat die Anlage überstanden, im Zweiten Weltkrieg wurde sie zerstört und wieder aufgebaut. Jetzt sieht es so aus, als hätten energische Tierschützer, aufgebrachte Touristen und kritische Medienberichte das Karussell doch noch zu Fall gebracht. "Der Druck auf uns wurde immer stärker“, sagt Groschopf. "Früher konnte man mit fast allen Menschen noch reden, die sich beschwert haben, ihnen alles zeigen. Inzwischen hören viele gar nicht mehr richtig zu. Sogar unsere Mitarbeiter werden übel beschimpft.“

Überdies rechne sich der Betrieb schon seit ein paar Jahren nicht mehr, sagt die Prokuristin. Viele schlaflose Nächte habe sie deswegen gehabt. "Und so kam ich zu dem Schluss, dass das Karussell wohl nicht mehr ganz zeitgemäß ist.“

Lärmbelastung, Monotonie

News dokumentierte vor inzwischen zwei Jahren das Leben von Murphy und den anderen Pferden - Ponys gibt es im "Ponny-Caroussel“ übrigens keine. Mehrmals statteten Redakteurinnen der Anlage Besuche ab, einen Tag lang beobachteten sie den sechsstündigen Karussell-Betrieb ohne Unterbrechung, dokumentieren das Geschehen jede Viertelstunde mit einem Foto. Fazit: Die Laufrichtung wechselten die Tiere niemals, auch an anderen Tagen nicht; Pausen fanden nur zum Ein- und Aussteigen der kleinen Fahrgäste statt. Trotz hoher Temperaturen - es war damals Sommer - wurden die Tiere nie getränkt. Das Hupen von der Kinderautobahn neben dem Karussell zehrte in Kombination mit der monotonen Blechorgel an den Nerven der Pferde.

Die Lärmbelastung war stets ein Hauptkritikpunkt von Tierschützern, die Monotonie der Bewegungen ein anderer. Dass der Betrieb alle gesetzlichen Auflagen erfüllt, kontrolliert das Veterinäramt der Stadt Wien, die MA 60. Sie stellte Jahr für Jahr eine Bewilligung aus, auf der Grundlage von Tierschutzgesetz, Tierhaltungsverordnung und eigener Prüfung. Neben der vorgeschriebenen Kontrolle mussten die Amtstierärzte zusätzlich ausrücken, wenn es Beschwerden von aufgebrachten Pratergästen gab. Das war oft der Fall. Zu beanstanden gab es allerdings nie etwas.

Auch die Tierschutzorganisation "Vier Pfoten“ wurde mit E-Mails und Anrufen besorgter Praterbesucher geradezu bombardiert, viele davon erreichten sie aus dem Ausland, wie die Vorsitzende Indra Kley erzählt. "Die Forderung an uns war immer: Macht endlich etwas! Doch wir sind keine Behörde, wir können das Karussell nicht einfach so schließen.“

Darum habe sich die Organisation immer wieder an das Veterinäramt sowie die Tierschutzombudsstelle der Stadt Wien gewandt. Die Auskunft war immer die gleiche: Alles sei völlig in Ordnung, die Auflagen würden zur Gänze erfüllt, die Tiere seien gesund. Dann änderte Indra Kley ihre Strategie.

Verhandeln um jedes Tier

Im Gebäude zwischen dem Karussell und den Stallungen sitzen Betreiberin Groschopf und Tierschützerin Kley inzwischen beisammen und trinken Kaffee. "Wir lieben unsere Tiere über alles, wir behandeln sie sehr gut“, sagt die eine. Die andere sagt: "Es mag ja sein, dass im Betrieb alles passt, aber für uns als Tierschutzorganisation geht es um Grundsatzfragen. Diese Art der Nutzung von Tieren und die Zurschaustellung lehnen wir völlig ab, sie ist nicht ethisch.“

Die Fronten sind damit klar, verhärtet sind sie nicht. Das Gesprächsklima ist nicht freundschaftlich, aber freundlich. Am Tischbein reibt sich eine Katze, im Flur schnarcht laut der Hund. Weil es regnet, hat Murphy heute frei und steht im Stall.

Vor mehr als einem Jahr fand das erste Gespräch der beiden Frauen statt, mit Bauchweh auf beiden Seiten. Von der Offenheit der jeweils anderen, so bestätigen beide, wären sie überrascht gewesen. "Selten trifft man auf eine so gesprächsbereite Kontrahentin wie Frau Groschopf“, sagt die 34-jährige Kley. "Ich bin froh, von Frau Kley Unterstützung zu haben“, sagt die 38-jährige Groschopf. Immer wieder sprachen sie über eine mögliche Schließung, vor wenigen Monaten wurde diese durch eine Presseaussendung der Prater Wien GmbH besiegelt.

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Jetzt gehen die Verhandlungen in die nächste Runde. Was die Zukunft der Tiere betrifft, sind die Positionen konträr. Die Vier-Pfoten-Chefin möchte am liebsten alle Pferde "in einer artgemäßen Umgebung sehen“, wie sie sagt. Die Unternehmerin möchte so viele wie möglich in den Reitbetrieb integrieren, der gleich neben dem Karussell stationiert ist. Dort werden die Pferde von Mitarbeitern auf der Bahn geführt, auf den Rücken der Vierbeiner sitzen die Kinder.

Wie viele Tiere sich vom Karussell auf den Reitbetrieb umschulen lassen, werde sich zeigen. Versuchen möchte sie es jedenfalls mit fast allen. "Schließlich sind die Tiere das Arbeiten gewöhnt, ihre Gewohnheiten und ihre Umgebung von heute auf morgen zu ändern wäre sowieso nicht gut“, sagt sie. Kley aber kämpft um jedes einzelne Pferd. Schöne Weideplätze wären mehr als ausreichend vorhanden, sagt sie, Vier Pfoten würde von Angeboten geradezu überschwemmt. Im Moment sei man dabei, aus der Vielzahl auszuwählen.

Möglich also, dass sich der Ton zwischen den beiden Parteien bald verschärfen könnte. Von neun bis zehn Pferden sei zu Beginn die Rede gewesen, die direkt aus dem "1. Wiener Ponny-Caroussel“ in Rente gehen sollten, sagt Tierschützerin Kley. Laut Groschopf werden aber nur fünf Vierbeiner mit Sicherheit ihr Gnadenbrot erhalten, nämlich Emmely, Flora und Fritzi aus dem Reitbetrieb sowie Ronja und Lolly aus dem Karussell. Murphy jedenfalls nicht.

Die Zukunft ist ungewiss

So sicher die Schließung sein soll, so unsicher ist die Zukunft des "1. Wiener Ponny-Caroussels“. Der erste Plan, das 129 Jahre alte Bauwerk in ein mechanisches Ringelspiel umzurüsten, scheiterte angesichts eines Kostenvoranschlags von rund 60.000 Euro. Dabei sei noch nicht einmal die wahrscheinlich nötige Sanierung der Orgel einberechnet, sagt die Betreiberin. Das könne man sich ohne finanzielle Unterstützung wohl nicht leisten: "Ich wundere mich schon sehr, dass niemandem daran liegt, etwa der Stadt Wien, eine solch alte Einrichtung zu erhalten“, sagt Isabel Groschopf. "Aber alle Versuche in dieser Hinsicht sind bislang gescheitert. Auch das schmerzt.“ Die Hoffnung will sie noch nicht aufgeben. Vielleicht findet sich ja noch ein Geldgeber, vielleicht ein Plan B.

Bis dahin wummert weiterhin die Orgel, und Murphy und die anderen Pferde ziehen Kreise um sie herum. 28 Jahre ist der Braunschecke inzwischen alt, in den Familienbetrieb wurde er hineingeboren. Vielen Kindern hat er glückliche Minuten bereitet, manche sind inzwischen selber Eltern. Seit seinem fünften Lebensjahr trabt Murphy im Takt des Radetzkymarsches.

Vier Pfoten um Tiere besorgt

„Wir fordern den Betreiber auf, seine Position nochmals zu überdenken“, appelliert Indra Kley, Leiterin des Österreich-Büros von Vier Pfoten. „Schließlich geht es um das Wohl der Tiere. Das Pony-Karussell ist bald Geschichte – ein Happy End für die Ponys sollte unser beider Anliegen sein und gemeinsam vorangetrieben werden.“

Für Vier Pfoten ist die aktuelle Entwicklung nicht nachvollziehbar. Indra Kley: „Als Tierschutzorganisation sind wir nicht nur den Tieren verpflichtet, sondern müssen auch zu unserem Wort stehen, um glaubwürdig zu bleiben. Wir hatten gemeinsam mit dem Betreiber versprochen, dafür zu sorgen, dass die Tiere nach den vielen Jahren im Pony-Karussell einen würdevollen Lebensabend an für sie geeigneten Orten verbringen dürfen.“ Der geplante Einsatz fast aller Karussell-Pferde auf der Reitbahn kann daher kein Kompromiss sein. Unter den Ponys aus dem Karussell sind zahlreiche sehr betagte Tiere, betont Kley – diese nun für den Reitbetrieb „umzuschulen“ und weiter zu nutzen ist nach Ansicht der Tierschützer ethisch nicht vertretbar. „Der Betreiber hat es in der Hand: Wir sind nach wie vor bereit, gemeinsam mit ihm die beste Lösung für die Tiere zu finden“, appelliert Kley noch einmal. „Der Ball liegt eindeutig bei ihm."

Kommentare

Le sourire et le conte du cœur.

Quelquefois
le murmure de
la soirée m'invite
à traduire le
chant de la mort,
et alors le sourire
devient le manteau
et un son délicat.

Francesco Sinibaldi

Wir leben alle in der Gegenwart und sollten unser Umfeld schützen und niemanden etwas zumuten wo man bedenken haben könnte. Die Grünen widersprechen sich, auf der einen Seite Tierschutz auf der anderen fördern sie die Verursacher von Halal Fleisch. Ich bin gegen Schlachthöfe und Tiertransporter über Grenzen. Gefördert von der GUTEN EU!

strizzi1949
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Schön langsam wwerden diese "Tierschützer" eine Seuche! Mischen sich überall ein! Aber dort, wo es notwendig wäre - z.B. bei den Tiertransporten - da hört man nix von ihnen! Wenn die zuständige Behörde sagt, es ist alles in Ordnung, so hat das zu genügen! Dann hat man den Betrieb in Ruhe zu lassen!

strizzi1949
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Wenns Euch nicht passt, dann schaut, dass das Gesetz geändert wird und lasst die in Ruhe, die sich an das Gesetz halten! Und was der Betrieb mit seinen Pferden macht, geht Euch gar nix an, solange sie gesetzeskonform behandelt werden!

Roland Mösl

Für arbeitslose Pferde gibt es kein Arbeitslosengeld sondern den Pferdemetzger.

Michael Dantine
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Jetzt habens jahrelang gegen das Ponyreiten gehetzt, endlich habens es zugsperrt, entgegen den Wünschen aller, und jetzt jammerns, die depperten, unwissenden Tierschützer, dass es den Pferden nur ja recht gut geht! Warum übernehmens denn nicht die Tiere und fütterns auf eigene Kosten auf riesigen Weiden durch? Immer die ständige, besserwisserische Jammerei! Das Kot..... könnte einem kommen!

bodomalo
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Im Artikel steht nirgendwo, dass die Kosten dafür nicht übernommen werden (Es haben sich Interessenten gemeldet die die Pferde übernehmen steht da - ich denke das ist sicher kostenlos)
Die Betreiberin wird allerdings Pferde für Ihren Reitstall benötigen, daher möchte sie die Pferde weiter verwenden.
Geschlossen wird das ganze wohl auch nur weil es seit Jahren unrentabel ist.

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