Sicherheitsstufe: "Kritisch"

Wie heimische Veranstalter nach dem Anschlag in Manchester reagieren

Nach dem Attentat in der Manchester Arena kritisierten Besucher zu lockere Kontrollen. Der Anschlag zeigt erneut, wie schwierig es ist, Großereignisse zu schützen. Auch österreichische Veranstalter wollen noch einmal nachrüsten.

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TERROR - Sicherheitsstufe: "Kritisch"

In der Manchester Arena regnete es rosa Luftballons. 21.000 Kinder, Teenager und Eltern feierten am Montagabend die US-Sängerin Ariana Grande. Der Popstar spielte noch seine Zugabe "Dangerous Woman" und verschwand hinter der Bühne. Die ersten Zuschauer verließen die Halle. Plötzlich ein dumpfer Knall. Verwirrte Blicke. Waren es die Ballons? Ein Schuss? Es dauerte Sekunden. Eine, zwei, dann brach Panik aus. Eine Mikrofonstimme hallte durch den Konzertsaal: "Vielen Dank für Ihren Besuch. Bitte verlassen Sie in Ruhe die Halle." Doch das hörten die vielen jugendlichen Gäste nicht mehr. Sie kletterten über Stuhlreihen, sprangen über Geländer, rannten die Treppen hinunter, schrien und strömten hinaus. Unter dem Nachthimmel vermischten sich Sirenen und Kinderkreischen. Ein Vater, der gerade seine Tochter abholen wollte, erzählte von einem riesigen Blitz, bevor er einen scharfen Stich im Bein spürte. Bis Redaktionsschluss am Mittwochabend starben 22 Menschen, 59 weitere wurden verletzt, viele kämpfen noch um ihr Leben.

Wieder ein Anschlag, wieder bei einem Konzert, mitten in einer europäischen Großstadt, wieder ein Angriff auf unsere Kultur, unsere Freiheit und unseren Spaß. Was diesen Anschlag besonders widerwärtig macht: Er zielte offenbar auf Kinder und Jugendliche ab. Das jüngste Todesopfer ist ein erst acht Jahre altes Mädchen. Mindestens zwölf Kinder, die jünger als 16 Jahre sind, liegen im Spital. Denn der Popstar auf der Bühne, Ariane Grande, ist besonders bei Teenagern beliebt. Die Sängerin selbst war zum Zeitpunkt der Explosion nicht mehr in der Halle. Als sie mitbekam, was passiert war, schrieb sie auf Twitter: "Gebrochen. Vom Grunde meines Herzens tut es mir so leid. Ich bin sprachlos."

Der mutmaßliche Attentäter heißt Salman Abedi, ist 22 Jahre jung, in Manchester geboren und aufgewachsen. Erst vor wenigen Tagen kehrte er allerdings von einer Reise nach Syrien zurück. Um 22.30 Uhr am Montagabend zündete er eine Nagelbombe an einem der Ausgänge der Arena. Als sie explodierte, flogen Metallteile durch das Foyer. Abedi hat laut des britischen Innenministeriums mutmaßlich nicht allein gehandelt. Dies zeige die elaborierte Ausarbeitung des Anschlags. Im Laufe der Woche nahmen die Behörden weitere Verdächtige fest. Und sie erhöhten die Terrorwarnstufe auf der Insel auf "kritisch" - erstmals seit zehn Jahren. Die britischen Sicherheitskräfte rechnen mit weiteren Anschlägen.

Kinder statt Eliten

Die Brutalität von Attacken wie in der Manchester Arena hat einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht. Der Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer von der Universität Wien sagt, dass wir es längst mit einer neuen Form des Terrors zu tun haben. "Der klassische Terrorismus nämlich, der in seiner sozialrevolutionären wie nationalseparatistischen Variante bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, war noch durch zwei Imperative charakterisiert: Er zielte auf herausgehobene Personen der politischen Klasse und der gesellschaftlichen Elite ab. Und er wollte das System aushebeln." Diese beiden Umstände gaben vor, wie die Terrorabwehr zu funktionieren hatte: Es galt, die potenziellen Ziele der Terroristen zu schützen - und die waren klarer definiert als heute.

Nun zeichnen sich die jüngsten Anschläge terroristischer Akteure jedoch dadurch aus, dass sie nicht mehr gegen bestimmte Politiker oder die Elite gerichtet sind, sondern ihnen jeder Zivilist zum Opfer fallen kann. Es gehe nur darum, möglichst viele Menschen zu töten, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen und so allgemein Angst und Schrecken zu verbreiten. "Der heutige Terrorismus will das System von innen heraus spalten", erklärt Nicolas Stockhammer. Es gebe in den großen europäischen Städten im Prinzip niemanden mehr, der nicht Opfer terroristischer Angriffe werden könne.

Und Stockhammer prognostiziert sogar noch Schlimmeres: "Ich gehe davon aus, dass die Opfer immer jünger werden und die Anschläge grausamer." Das nämlich unterscheide den "neuen" grundsätzlich vom "herkömmlichen" Terrorismus - mit neuen Folgen, die mitbedacht werden müssen. Was hätte man tun können, um Derartiges zu verhindern? Denn in Manchester sind den Behörden und dem Sicherheitsdienst im Vorfeld und bei den Taschenkontrollen offenbar Fehler unterlaufen. Und: Können Großveranstaltungen überhaupt geschützt werden?

Anschläge auf Musikevents

Selbstmordanschläge, Explosionen, Schießereien an Orten, an denen wir feiern wollen. Man muss gar nicht so weit in die Vergangenheit blicken. Der Anschlag auf das Bataclan in Paris im November 2015: 89 Tote. Die Schießerei in einer Diskothek in Orlando im Juni 2016: 49 Tote. Und zuletzt zu Silvester in Istanbul im Nachtclub Reina: 39 Tote. Sie prägen. Kein Konzertbesucher kann diese Bilder einfach ausschalten.

Zunehmend herrscht Unsicherheit, wenn in Europa große Menschenmengen zusammenkommen, in Stadien, auf öffentlichen Plätzen, in Konzerthallen. Da kann man sich noch so sehr einreden, dass wir uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen. Und noch so sehr mit Trotz nachschieben: "Jetzt erst recht!" Die Unsicherheit ist da. Es stellt sich also die Frage: Wie gehen österreichische Veranstalter mit der latenten Bedrohung durch den neuen Terror um?

Seit dem Attentat im Pariser Bataclan ist auch hierzulande viel zur Verstärkung der Sicherheit geschehen. Ewald Tatar veranstaltet jährlich bis zu 500 Konzerte in ganz Österreich, darunter das größte Rockfestival des Landes, das Nova Rock. "Seit Paris hat sich sehr viel bei den Sicherheitskontrollen geändert. Wir sind international auf absolut höchstem Niveau", konstatiert der Veranstalter. Details könne er nicht verraten, schließlich wolle man potenzielle Gefährder nicht einweihen. Tatar lässt aber durchblicken: "Es gibt mittlerweile viel mehr Personal, es werden den Besuchern Gegenstände abgenommen, die man früher noch für okay hielt, wie zum Beispiel Nietenarmbänder." Aber: "Dass ich mich jetzt herstelle und klipp und klar sage: Ich kann hundertprozentig garantieren, dass bei einer Veranstaltung in Österreich nichts passiert - das wäre grob fahrlässig." Vor solchen Tragödien wie aktuell in Manchester sei man als Veranstalter auch bei den allergrößten Sicherheitsvorkehrungen am Ende nicht gefeit.

Donauinselfest 2017

Bei der SPÖ Wien, Veranstalterin des weltweit größten Freiluftfestivals, dem Donauinselfest, klingt das alles etwas umständlicher: "Das Thema Terror findet sich im schriftlichen Sicherheitskonzept selbstverständlich wieder. Das Risiko wurde bearbeitet und mit entsprechenden Maßnahmen hinterlegt. Aufgrund des aktuellen Vorfalls in Manchester wird es Gespräche zwischen Veranstalter, Sicherheitsverantwortlichem, Polizei und Behörden geben, und es werden allfällige weitere Vorgehensweisen besprochen." Weil es keine festen Eingänge gibt und insgesamt mit etwa drei Millionen Besuchern gerechnet wird, könne nicht jeder Einzelne kontrolliert werden, aber die Zugangsbereiche würden videoüberwacht. Zudem gebe es Schwerpunktkontrollen und zivile Beamte im Einsatz.

Auch mit den Salzburger Festspielen findet ab Juli ein Programm der Superlative statt, das bedeutendste Klassik-Festival der Welt mit einer Viertelmillion Gästen. Auf News-Nachfrage wird ein komplexes Risikomanagement vorgelegt, das sich mit Zutrittskontrollen ins Festspielhaus, Sicherheitsschulungen und speziellen Notfallgruppen befasst. Dieses System bestehe grundsätzlich seit Jahren, unabhängig von aktuellen Terror-Ereignissen. Der Wiener Terrorexperte Stockhammer sieht das Problem in der Kreativität der Terroristen: "Man hat nie die hundertprozentige Vorbereitung auf den Worst Case, sonst würde der ja nicht zur Durchführung gelangen." Stockhammers Beispiel: Die Poller auf den Weihnachtsmärkten, die nach dem Berliner Anschlag im vergangenen Dezember diskutiert wurden. "Das bringt wenig", sagt er, "denn der Terrorismus, wie wir ihn heute sehen, ist anarchisch lernfähig." Wenn Sicherheitsbehörden Poller aufstellen, damit man nicht mit einem Lkw in die Massen rasen kann, dann werde sich der Terrorist eben mit einem Sprengstoffgürtel in die Menge stellen. Stockhammer: "Diese Terrororganisationen und auch die Einzeltäter sind unglaublich flexibel in ihrer Art und Weise, zuzuschlagen und zu planen."

Menschenmassen meiden

Trotzdem beruhigt er: "In unseren Breitengraden funktioniert Terrorabwehr. Ich weiß aus Quellen, wie viele Szenarien es zum Beispiel wöchentlich in Deutschland gibt. Verglichen mit dem, was an Bedrohung da ist, passiert wenig." Der einzelne solle dennoch die Augen offenhalten und - wenn möglich - größere Menschenansammlungen tatsächlich meiden.

Der Terror hat das europäische Leben längst verändert. Wir wollen uns die Freude an großen Konzerten nicht nehmen lassen, doch die Bilder der Anschläge spuken in unseren Köpfen. Der Trotz, sich nicht einschüchtern zu lassen, aber auch das Misstrauen werden weiter mitfeiern.