Wie mich Sigi Maron auf Bablers Seite brachte

Unzweifelhaft hat die SPÖ schon wesentlich bessere Tage erlebt. Dass man als sprichwörtlich gepeinigter Stammwähler ohne Parteibuch dennoch frohlocken kann, ist möglich

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Was ich schon auf die EU geschimpft habe, vor, während und nach 2020, im öffentlichen, halbprivaten und privaten Wort- und Schriftverkehr! Und natürlich bin ich Marxist. Jeder ist es auf irgendeine Weise, der nicht dermaßen hart auf der anderen Seite logiert, dass ich ihn am liebsten gar nicht kennen würde. Kreisky war Marxist und Stalin ebenso, Albert Schweitzer und Pol Pot, so wie heute Kim Jong-un und Papst Franziskus. Auch dessen Oberbefehlshaber, der Herr Jesus, müsste sich heute von publizistischen Kameradschaftsbündlern und geläuterten Kurz-Groupies diesbezüglich einiges anhören (so wie insgesamt gegen eine beliebige Auswahl an Religionsstiftern marxismustechnisch mindestens Vorerhebungen angezeigt wären). Es kommt nämlich nur darauf an, was man sich heraussucht: die Gerechtigkeitsvision oder die teils perversen Strategien ihrer Umsetzung. Deshalb bin ich auf eine Art auch Christ, so lange kann ich gar nicht ausgetreten sein, und sympathisiere trotzdem weder mit der Inquisition noch mit dem polnischen Schurkenregime.

Und deshalb frohlocke ich, der sprichwörtlich gepeinigte SPÖ-Stammwähler ohne Parteibuch, auch scheinbar gegen alle Vernunft über den Status quo. Schön, dass Babler auf die EU schimpfen und sich einen Marxisten nennen durfte und trotzdem gewonnen hat.

Freilich vorbehaltlich der bei Redaktionsschluss noch obwaltenden Unwägbarkeiten. Insgeheim befürchte ich nämlich, es könnte in Wahrheit der dritte Kandidat - "der mittelburgenländische Unternehmer Berthold Felber (69)" - sämtliche Delegiertenstimmen auf sich vereinigt haben. Was dann auf dem Weg zur Löwelstraße in den Billa-Taschen vorgefallen ist, wird von der Forensik bzw. der Grenzwissenschaft zu beantworten sein.

Ändert sich am Resultat aber nichts mehr, so freut mich das von Herzen: dass Babler es wurde, aber beinahe ebenso, dass Doskozil es nicht wurde. Wenn Sie mit mir überlegen wollen, wer der SPÖ seit der Jahrtausendwende am meisten geschadet hat, so müssten wir mit Kanzler Viktor Klima (1997-2000) beginnen. Aber sein einziges Vergehen war sein Mittelmaß, das nach brillanten Köpfen wie Kreisky, Sinowatz (jawohl!) und Vranitzky nicht mehr für die Macht gereicht hat. Gegen Schüssel und Haider war er intellektuell wehrlos. Gusenbauer? Hat zumindest die Parteifinanzen saniert. Faymann? War in Wirklichkeit ein Glücksfall, wie der demselben Biotop entwachsene Ludwig einer ist. Vernunft und Pragmatismus sind eine nicht zu unterschätzende Kombination.

Das Unheil hat sich in der Gestalt narzisstischer Selbstverwirklicher aufgebaut. Christian Kern war eine wahrhaft verhängnisvolle Gestalt. Der offenkundige Selbstzweck seiner Mühewaltungen, der aberwitzige Wahlkampf, die Würdelosigkeit des Rückzugs, als ihm sein begabterer Charakterzwilling Kurz den Meister gezeigt hatte: Pamela Rendi-Wagner übernahm in trostlosen Umständen. Sie hat sich der Aufgabe alles andere als virtuos entledigt. Aber im vergangenen Herbst lag die SPÖ, wesentlich ohne eigenes Zutun, im Gefolge der schwarzen Apokalypse bei kommoden 30 Prozent, und die Vorsitzende wurde schon zur alsbaldigen Kanzlerschaft beglückwünscht. Bis?

Ja, bis Doskozil ohne Not und Anlass, aus offenbarer Privatbefindlichkeit, aus der pannonischen Tiefebene Umfragen lancierte, denenzufolge es der SPÖ mit ihm an der Spitze noch besser ginge. Und schon ging es bergab, so rasant, wie kein Albtraum es hatte voraussehen können, wobei Doskozil in den wahnsinnigsten Kurven noch das Gaspedal durchdrückte. Als dann auf dem Sozius nach Art eines Springteufels auch noch Kern auftauchte, wurde mit angst und bang.

Auch erinnerte ich mich an das Dosko-affine Ausnahmetalent Grubesa, das einst dem Kunstminister Drozda vorwarf, ein Bobo zu sein, weil er einen Anzug trägt und Shakespeare kennt. In dem hier vermittelten Bild des Idealsozialdemokraten - im Lendenschurz "Hossa, hossa" grölend - wollte ich mich nur noch zögernd wiedererkennen. Und dann war plötzlich Babler da, ein Linker mit viel Wenn und etwas Aber. Eine Hoffnung wie auch die grundsympathischen Reformkommunisten, die mich an persönliche Lichtgestalten wie Dubcek oder Berlinguer erinnern. Und wissen Sie, wann mich Babler vollends auf seiner Seite hatte? Als ich auf dem Aufmacherbild für ein "Krone"-Interview hinter ihm das riesengroße Porträt meines verstorbenen Freundes, des Liedermachers Sigi Maron, erkannte. So etwas wie damals, dachte ich, als linke Künstler in der Arena, in Zwentendorf und Hainburg den Betonschädeln mehrerer Fraktionen den Marsch bliesen: Das wäre wieder gefragt, seit die Grünen den Platz freiwillig geräumt haben.

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