Über 5.000 Schwarzfahrer sitzen
in Deutschland im Gefängnis

Gefängnisstrafen für Bagatelldelikte kosten dem Staat rund 200 Millionen Euro im Jahr

Alleine wegen Schwarzfahrens sitzen in Deutschland derzeit über 5.000 Menschen eine Gefängnisstrafe ab. Verurteilt wird zwar meistens zu einer Geldstrafe, gerade notorische Schwarzfahrer können diese aber häufig nicht bezahlen und müssen in Ersatzhaft. Es ginge auch anders.

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Justiz - Über 5.000 Schwarzfahrer sitzen
in Deutschland im Gefängnis

Deutschland geht mit besonders harter Hand gegen Schwarzfahrer vor. Während es sich in Österreich beim Fahren ohne gültiges Ticket "nur" um eine Verwaltungsübertretung handelt, gibt es bei den Nachbarn einen eigens darauf zugeschnittenen gerichtlichen Straftatbestand, das "Erschleichen von Leistungen". Darauf steht theoretisch bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe. Tatsächlich werden zwar gegen Schwarzfahrer fast immer nur Geldstrafen verhängt. Doch es ist gerade diese Gruppe, die besonders häufig dann erst recht im Gefängnis landet. Der Grund: Sie können ihre Strafen oft nicht bezahlen und müssen dann eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen.

Richter fordern Abschaffung des Tatbestandes

Wie Recherchen des ZDF vor kurzem ergaben, betrifft das aktuell über 5.000 Personen. Schon lange wird über die Sinnhaftigkeit des Schwarzfahr-Delikts und des derzeitigen Ersatzhaft-Systems diskutiert. Viele Richter, Anwälte und sogar Gefängnisleiter sind sich einig, dass die meisten dieser Menschen eigentlich nichts in der Haft verloren haben. Meist geht es um Personen, die die Ticketpreise weder jetzt noch in Zukunft bezahlen werden können, weshalb auch durch die Gefängnisstrafe keinerlei "Lerneffekt" eintritt. Erst im Jänner forderte der Deutsche Richterbund eine Abschaffung des Tatbestandes. Denn entgegen seinem Ziel, öffentliches Vermögen zu schützen, bewirkt er eine massive Belastung des deutschen Justizsystems.

Alleine die Berliner Justiz beschäftigten im Vorjahr rund 40.000 Schwarzfahr-Fälle. Sie machen mittlerweile einen großen Teil aller Betrugsdelikte aus. Der Richterbund sieht darin eine Abwälzung der Verantwortung der Verkehrsbetriebe auf den Steuerzahler. Die Verkehrsbetriebe sollten vielmehr den Zugang zu ihren Verkehrsmitteln stärker im Vorhinein, etwa durch Drehkreuze, kontrollieren. Auch finanziell belastet die Haft für Schwarzfahrer den Staat: Ein Hafttag kostet rund 150 Euro. Insgesamt, so hat die ARD-Sendung "Monitor" errechnet, verursachen Ersatzfreiheitstrafen für Bagatelldelikte daher Kosten von rund 200 Millionen Euro im Jahr.

Gratis-Öffis als Alternative?

Dass es auch anders – und zwar völlig anders – geht, zeigt etwa die estnische Hauptstadt Tallinn. Hier sind öffentliche Verkehrsmittel seit 2013 für die Bewohner kostenlos. Somit wird der ohnehin staatlich betriebene öffentliche Nahverkehr gleich zur Gänze aus dem Budget finanziert. Das war zuvor in einer Volksabstimmung mit einer Mehrheit von 75 Prozent befürwortet worden. Der Autoverkehr ging innerhalb weniger Monate um ein Viertel zurück. Tallinn ist zwar die bisher größte Stadt mit "Gratis-Öffis", aber nicht die einzige. Die Busse in Tórshavn, der Hauptstadt der Färöer-Inseln, können schon seit 2007 gratis genutzt werden. Und sogar in der deutschen Kleinstadt Templin in Brandenburg gibt es "fahrscheinlose" Öffis.